Der Preis des Glücks
– Zwei kleine Kinder liegen tot in ihrem Kinderzimmer auf dem blutgetränkten Prinzessinnenteppich, inmitten des umgestürzten Wickeltisches und verstreuter Spielsachen – wie ein Splattermovie beginnt der französische Bestseller „Dann schlaf auch du“ von Leila Slimani, um dann behutsam das Geschehen bis zu diesem schockierenden Fanal aufzurollen.
Die toten Mila und Adam sind die Kinder von Myriam und Paul Messés, einem jungen französischen Paar in Paris. Während Paul als Toningenieur arbeitet, scheint Myriam nach ihrem Jurastudium ganz in einer „instinktiven Mutterschaft aufzugehen. Das Leben in einem Kokon“. Doch mit der Zeit droht ihr die Decke auf den Kopf zu fallen und sie möchte endlich als Anwältin arbeiten. Eine Nanny muss her und als Louise sich vorstellt, sind sie und Paul auf Anhieb begeistert – und „in wenigen Wochen ist Louise für sie unentbehrlich geworden.“ Sie betreut nicht nur die Kinder bis spät in den Abend, sondern räumt auch auf, putzt und kocht perfekt. Myriam und Paul können sich unbeschwert ihren Karrieren widmen und auch mal einen Abend zu zweit genießen – welch ein Glück!
Peu á peu enthüllt Leila Slimani jedoch die Welt hinter der perfekten Nanny-Kulisse von Louise. Einsam und von Schulden erdrückt lebt sie in einem schäbigen Zimmer und ihre Gedanken sind von „Härte und Düsternis“ bestimmt. Der Job bei den Messés ist ihr letzter Rettungsanker und bald müssen Myriam und Paul feststellen, dass sie „sich so gründlich in ihrem Leben eingenistet [hat], dass es jetzt unmöglich erscheint, sie daraus zu entfernen.“
Leila Slimani ist eine lakonische Erzählerin und überzeugt mit einer geschliffenen Prosa und einem fast Hemingwayschen Kurzsatz-Stil. Vielen Eltern wird die Mutter eines sechsjährigen Sohnes aus der Seele sprechen, wenn sie deren oft unausgesprochenen Sorgen und Nöte an Tageslicht bringt, ihre ewige Zwickmühle zwischen der absoluten Liebe zu ihren Kindern einerseits und ihrer absoluten Fremdbestimmung durch diese andererseits. Da bietet eine Nanny einen willkommenen Ausweg und mit psychologischer Raffinesse und subtiler Spannung zeigt Leila Slimani in „Dann schlaf auch du“ die Verstrickungen und Fallstricke in dieser neuen, immer auf Ungleichheit basierenden Familienkonstellation. Mit ihrem dramatischen Schlussakt stellt sie letztlich die Urfrage aller zwischenmenschlichen Beziehungen: Wie weit kann ich einen Menschen durchschauen und wie weit kann ich ihm vertrauen?
Karsten Herrmann
Leila Slimani: Dann schlaf auch du. Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Luchterhand 2017. 222 Seiten. 20,00 Euro