Raito Noberu, Soshoku-Kei Danshi, Ikikata No Hon: Das wollen wir lesen!
Der wunderbare Literaturführer YOMITAI! („Das will ich lesen“) berücksichtigt nicht nur alle bekannten japanischen Gegenwartsautoren, er zeigt auch mit frappierenden Einblicken in eine exotische, vitale Nischenliteratur und spezielle New Media-Varianten (Handy-Romane usw.), wie lebendig und kreativ die gesamte japanische Literaturszene ist. Von Peter Münder
Mag ja sein, dass die Reflexionshöhe in Banana Yoshimotos Teenager-Romanen („,Kitchen“, „Tsugumi“), wie die FAZ mal in einer Rezension befand, „konstant auf Futonhöhe“ verharrt, aber der Leser taucht doch ein in eine bunte, faszinierende und völlig unterschiedliche Kultur. Wer diese Faszination des Fremden weiter kultiviert und sich auf Autoren wie den gesellschaftskritischen Ryu Murakami („In der Misosuppe“), Seishu Hase („Club 9-11“, „Tokyo Babylon“) oder den immer noch als Kultautor und Nobelpreiskandidat gehandelten, inzwischen aber auf krypro-mystischen Hokuspokus (Vgl. CM-Rzension zu „1Q84“) fixierten Haruki Murakami kapriziert hat, möchte sich gern anhand eines Literaturführers einen genaueren Überblick über die japanische Gegenwartsliteratur und ihre Trends verschaffen.
„Yomitai“ ist dafür das perfekte, äußerst liebevoll illustrierte und gestaltete Kompendium; es liefert aber noch viel mehr: Nämlich biografische Angaben zu allen Autoren, Interpretationen ihrer wichtigsten Werke und Hinweise auf neueste Medientrends. Außerdem liegt im Band eine hübsche Landkarte, auf der diverse Inseln wie „Nostalgia“, „Yellow Trash“, „Blaue Lagune“ oder „ The L World“ entsprechenden Autoren zugeordnet werden. Die nicht gerade zimperliche Krimi-Queen Natsuo Kirino herrscht hier folglich ganz allein auf „Hate Island“, während Hideo Okuda der Herr der „Anarchy Mountains“ ist. Klassifikationsmodelle wie „Raito Noberu“ (Light Novel=Unterhaltungsroman), „J-Literatur“, „Yellow Trash“ , „Soshoku-kei-danshi“ (Vegetarier-Männer= hypersensible Weicheier“), oder „Ikikata-Texte“ (Ratgeber zum Glücklichwerden) sind eher als erste Orientierungshilfen und Anhaltspunkte interessant.
Spannende Entdeckungsreisen
Die akribisch sortierten Buchhalter- Schubladen für neue Trends und Stilrichtungen werden auch nur so pedantisch auf systematische Ordnung getrimmt, weil es immer neue gesellschaftliche Randgruppen zu entdecken gibt (koreanische Minderheiten, mörderische Hausfrauen, Unterschicht-Singles, die sogenannten „Freeter“ oder die kontaktscheuen Jugendlichen, die sich von der Umwelt isolieren, die „Kikimori“ ) und sich neue literarische Gattungen entwickeln, die von technologischen Innovationen beeinflusst wurden. Japanische Bahnfahrer sind nicht nur eifrige Manga-Leser, sie haben nun auch für ihre langen Pendlertrips den Handy-und –Internet-Roman entdeckt.
Die Frankfurter Japanologin Lisette Gebhardt hat diesen spannenden Literaturführer mit einem Team von 26 Japanologie-Studenten und Professoren zusammengestellt. „Yomitai“ ist ideal für alle, die sich auf Entdeckungsreisen einlassen und neue Autoren kennen lernen wollen; der Band bietet aber auch Fans von Hard-Boiled-Crime interessante Hinweise: Zum Glück gibt es noch Autoren wie den preisgekrönten Kenzo Kitakata („Von fern erklingt die Totenglocke“, „The Cage“, „Umschlingende Schatten“), der seine Figuren in einer Grauzone zwischen einschläferndem Büro-Alltag und mörderischem Yakuza-Ambiente angesiedelt hat – ein großartiger Tipp, auch für den Rezensenten!
Auch Liebhaber von so etablierten Autoren wie dem Nobelpreisträger Kenzaburo Oe kommen hier auf ihre Kosten. Weshalb man aber den wunderbaren Arimasa Osawa, den Erfinder des „Hai von Shinjuki“ nicht erwähnt hat, kann ich nicht nachvollziehen. Da „Yomitai“ auch Hinweise zu Buchläden, Bestsellerlisten und Literaturpreisen, zu Debütanten sowie ein umfangreiches Register enthält, lässt dieser herrliche, extrem informative Band für Interessenten der japanischen Gegenwartsliteratur eigentlich keine Wünsche offen.
Peter Münder
Lisette Gebhardt (Hg.): Yomitai! Neue Literatur aus Japan. EB-Verlag Berlin 2012. 422 Seiten. 34,80 Euro
Dies.: Nach Einbruch der Dunkelheit. Zeitgenössische japananische Literatur im Zeichen des Prekären. EB-verlag, 310 Seiten. 24,80 Euro.
Johanna Mauermann: Handyromane: Ein lesephänomen aus Japan. EB-Verlag, 296 Seiten. 22,80 Euro.
(Die Autorennamen habe ich nicht, wie in Japan üblich, mit dem Nachnamen zuerst genannt, weil das dt. Verlagswesen diese Praxis auch nicht übernommen hat)