Padam … Padam … Padam
– Ja, und? Sechzehn sein, raus aus der Schule und nichts wie weg. Am besten Weg von zu Hause. Nichts Neues in einem Alter, wo sich die ersten Schuppen der Adoleszenz zu lösen beginnen. Lucas Palm weitet diesen Drang in seinem Debüt gewitzt aus auf grundlegende Fragen nach der eigenen Identität. Von Senta Wagner
Besagter Sechzehnjährige ist Christian, die Hauptfigur des handlichen Romanerstlings „Weg von hier“ mit dem dürftigen Cover. Der gebürtige Wiener Autor Lucas Palm ist Jahrgang 1988, nur um wenige Jahre älter als sein Protagonist also, ähnliche Christian-Zeiten scheinen hinter ihm zu liegen. Für ein Debüt darf das kreative Schöpfen aus der bis dato angereicherten Biografie erst einmal genügen. Es sei an dieser Stelle auch gleich als Jugendbuch empfohlen. Christian ist mehr als ein Bilderbuchjugendlicher, er ist ein sozial privilegierter Typ, der in „einem unbeweglichen Ernst gefangen“ ist und mit zehn bereits Jazz gehört hat, von pubertärem Gehabe keine Spur. Leichthändig und unbefangen erzählt Palm nun von diesem Geflecht aus Fremdheit, Zugehörigkeit und Identität, in dem der Jüngling steckt.
Von Anbeginn der Geschichte fühlt sich Christian unwohl in seiner Haut, schnell wird klar, der sitzt zwischen den Stühlen, weiß nicht, wo er hingehört. Renitenz zeigt er seit einigen Jahren. Der ganze Gefühlstrouble liegt in seiner Herkunft zweier sich kreuzender Linien begründet, denn der Vater ist Österreicher, die Mutter Französin, die Familie wohnhaft in der Schweiz, in Zürich, Verkehrssprache: das Deutsch, das bei dieser Mischung herauskommt. Die Mutter hält also alles Französische hoch, der Vater alles Österreichische. Hier bewegt sich der Text auf der Ebene von Klischees. Christian beutelt es zwischen einer Identität als Schweizer und der als Franzose hin und her. Das Wohin-Gehören ist freilich ein typisches Dilemma von Migranten. Ein hochaktueller Bezug wäre die Schweizer Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“. „Er hasse dieses Land, er hasse es, ja, dieses Land sei sein Lebensgeschwür, und im Grunde habe er nur ein Ziel: Dieses von der Schweiz ausgehende Weltbild auszulöschen …“ Hochfahrende antischweizerische Worte für einen Youngster, die in der Schwebe bleiben. Von den Eltern erntet er wenig Verständnis. Sein Zuhause wird ihm zur Durchgangsstation. Die spätere elterliche Trennung klingt höchstens zwischen den Zeilen durch. So wird auch hier auf den motivisch sich durch den Roman ziehenden Gegensatz zwischen dem Trennenden und dem Verbundensein angespielt.
Es ist Sommer und Christian verbringt seine Ferien im großmütterlichen Frankreich am Meer, der Moment einer inneren Einheit scheint gekommen zu sein, in der Tarnkappe des Franzosen. Misslingt vollends, gerade Aussprachespiele unter französischen und österreichischen Jugendlichen treiben ihn zurück – in die Schweiz. Statt sich locker und selbstverständlich im Sprachengewirr als einer gesellschaftlichen Realität zu bewegen, schraubt Christian seine Ansprüche hoch und scheitert daran. Kennt sie aber nicht einmal selbst. Christians Zwillingsschwester wird in solchen Situationen als Gegenpol an juvenilem Amüsement und Sorglosigkeit gezeichnet.
Sprachlich hat auch Palm seine Ansprüche, ungelenk und lesehemmend wirken aber vor allem die zahleichen Einschübe in Gedankenstriche: „Der Vater – er war gerade noch durch das Licht, das aus dem Gang ins Zimmer drang, zu erkennen – lag im Bett, die Arme kreuzweise über Stirn und Augen gelegt. “ Dort wäre auch gleich noch eine der uneleganten nachgestellten Infinitive zu beobachten. Redundanzen betreffen den Bereich der Wortwiederholungen.
Lehre statt Gymnasium
Die Lagerbildung spiegelt sich im symmetrischen Aufbau des Buches wider, jeder der beiden Teile hat jeweils neun Kapitel. Und sie erfährt gerade im zweiten Teil „Namen“ ihre besondere Überspitzung, wo sich Palm als pointierter Erzähler erweist. Christian beginnt eine Ausbildung in einem Musikgeschäft, in der Abteilung Pop, das wäre zu betonen. Macht dort natürlich einen auf Franzosen. Das Ablauschen der Sprachen anderer ist ihm längst zu einer Obsession geworden. Der Laden verlangt eine scharfe Trennung der Sparten Pop und Klassik sowie ihrer Mitarbeiter, eine abteilungsübergreifende Kollegialität ist unerwünscht, vielmehr werde „eine offene Feindschaft kultiviert“. Wenngleich, das Verlockende ist immer das andere. Am „Stumpfsinn“ seiner Lehrtätigkeiten entfacht sich bald seine Wut.
Im stillen Kämmerlein klassische Musik (französische) zu hören, ist für ihn wie eine „Heimaterfahrung“ und kommt einem wahren Erweckungserlebnis gleich. Dieser Moment der Exklusivität schließt für ihn die allgemeine, nicht näher bezeichnete, „Grobheit“ der Welt aus. Er scheint bei sich angekommen zu sein. Beherzt erlaubt er sich daraufhin die heimliche Fraternisierung mit dem Klassikabteilungsleiter. Einen weiteren Höhepunkt stellt für Christian schließlich die Begegnung mit Richard Wagner dar. Nach der Lektüre der „Walküre“ heißt es: „… Christian hatte das Gefühl zu etwas Vielversprechendem durchgedrungen zu sein, zu etwas, dem er mehr Platz einzuräumen bereit war als allem Anderen, Bisherigen.“ Verrätselt war der Text bisher nicht, jetzt legt sich zudem noch eine Schwere auf ihn. Führt tatsächlich das Wagner’sche Idiom zu einer Umkehrung alles bisher Gedachten und Erlebten: „Was hatte er sich die ganze Zeit über nur vorgemacht?“ Ein aberwitziger Eklat auf der Chefetage im Musikgeschäft ist die Folge. Dieser weist weit über einfache nationale Zugehörigkeiten hinaus auf die Frage, ob man wirklich der ist, für den man sich hält. Klug setzt Palm daher in seiner Er-Erzählung bei der Figurenrede auf die indirekte Rede und bricht damit ihren indirekten autobiografischen Gehalt auf ironische, distanzierte Weise.
Wahrscheinlich, so sagt uns „Weg von hier“, kann man im Leben allerhand Identitäten ausprobieren, letztendlich geht es darum, das Richtige zu tun. Und das ist ja nicht gerade einfach. Und so geht es für Christian von vorne los: weg von hier.
Senta Wagner
Lucas Palm: Weg von hier. Salzburg: Müry Salzmann Verlag 2013. 183 Seiten. 19,00 Euro.