Geschrieben am 6. November 2013 von für Bücher, Litmag

Mark Kubitzke: Mit Tomsky über Grenzen

Mark Kubitzke_Mit Tomsky über GrenzenFür Oscar, zum Vorlesen

– Eine Katzengeschichte, die beste, die ich kenne, und hat nur den Nachteil, dass sie zu Ende ist, eh man’s gedacht. Andererseits liegt genau darin der Reiz, sie ist so dicht gestrickt, dass die Leserphantasie immer aufs Neue angekratzt und auf Touren gebracht wird. Bei jedem Szenenwechsel gibt’s sozusagen einen sanften Ratsch mit der Kralle: Achtung, stell dir das bitte ausführlich und deutlich vor, mit Tageszeit, Temperatur, Personen, Hundegebell und lausekalter Grenzerhütte! Passiert ungefähr dreimal pro Seite, man muss aufpassen und darf über keinen noch so kurzen Satz weglesen, und wenn man dann durch ist und Tomsky loslassen und ein bisschen schlucken muss, sollte man wieder von vorn anfangen.

Tomsky heißt die Katze, und Mark, der Ich-Erzähler, findet sie halb tot vor seiner Tür, aber nicht in Berlin, wo er zu Hause ist, sondern weit, weit weg. Mehr Inhalt verrate ich nicht, weil die Geschichte, wie gesagt, kurz ist, und wenn ich jetzt anfinge, sie nachzuerzählen, käme ich im Nu auf die 16 Seiten, die sie hat, und jeder dächte, dass er sich Kaufen und Lesen sparen kann. Aber kaufen und lesen sollte man sie unbedingt, weil es eine sehr besondere Geschichte ist, in der eine Menge passiert, und eben wegen der Erzählweise.

Mark Kubitzke_Mit Tomsky über Grenzen

Mark Kubitzke war Maler. Weil ihn die Malerei nicht ernährte und weil er neugierig war auf die Welt, hat er Lastwagen quer über die Kontinente gefahren. Und zwischendurch, wenn er wieder in Berlin war, seinen Freunden davon erzählt. Er muss ein genialer Erzähler gewesen sein, wie es ja nicht wenige Menschen gibt, denen man atemlos zuhört, die aber keinen Drang zu Tastatur und Papier haben. Ihre Worte und Geschichten verwehn, ist eben so und muss ja auch nicht alles in die Datei und den Druck. Aber hier, in diesem Fall, war es doch ein Glück, dass Kubitzke einen guten Freund besaß, der eine Veranstaltung im Museum Hamburger Bahnhof mit ihm machte und das Aufnahmegerät anschaltete. Der Freund war Ulf Erdmann Ziegler, Suhrkamp-Autor, Preisträger, shortlist-Erreicher usw. Er hat die Tomsky-Geschichte nicht bloß ins Schriftliche gebracht, sondern den Rhythmus und das Tempo und die Spontaneität des Mündlichen bewahrt, auch die Schnitte nicht zugekleistert, sodass der Leser liest, aber gleichzeitig den Erzählenden hört. Das ist ungewohnt und bereitet großes Vergnügen.

So entstand ein gelbes „Schöner Lesen“-Heftchen, die Jubiläumsnummer 100, genauer gesagt, die von fern wie Reclam aussieht. Doch das Cover (auch von Kubitzke) ist viel delikater als bei Reclam und trifft genau die Winternebel- und Bloß-weg-Stimmung des Textes. Das Büchlein kostet 1 Euro und kann im Verlag SuKuLTuR Berlin bestellt werden, vielleicht zusammen mit dem zweiten Heft von Kubitzke („In Las Vegas“). Aber besser ist: „Tomsky“ mehrfach ordern, denn was den Mitten-ins-Herz-Faktor betrifft, ist er nicht zu toppen.

Mark Kubitzke starb vor ziemlich genau zwei Jahren, Ulf Erdmann Ziegler hat ihm in der taz einen Nachruf geschrieben. Die Zeit, wie bekannt, flieht, Körper und Seele mit ihr, der Lastwagen auf dem Cover sowieso und Tomsky, das Kätzchen …

Gisela Trahms

Mark Kubitzke: Mit Tomsky über Grenzen. Schöner lesen 100. SuKuLTuR,  Berlin 2010. 20 Seiten. 1,00 Euro. Mehr hier.

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