Tragisches Ende eines großen Traums
Zum seinem 100. Geburtstag liegt Max Aubs Romanzyklus über den Spanischen Bürgerkrieg nun auch in deutscher Übersetzung vor.
Die spanische Literaturkritik feierte „Das Magische Labyrinth“ begeistert als literarisches Gegenstück zu Picassos Guernica. Dank einer verlegerischen Großtat und insgesamt fünfjähriger Übersetzungsarbeit liegt mit „Bittere Mandeln“ nun auch der grandiose Schlussstein von Max Aubs sechsbändigem Romanzyklus über den Spanischen Bürgerkrieg in deutscher Fassung vor –und so kann auch hierzulande ein bisher kaum bekanntes Stück Weltliteratur von den Lesern entdeckt und erobert werden.
Max Aub, der heute zu den wichtigsten Schriftstellern Spaniens zählt, wurde im Juni 1903 in Paris als Sohn eines wohlhabenden Deutschen und einer Französin geboren. Während des Ersten Weltkriegs emigrieren seine Eltern nach Spanien. Nach dem Abitur tritt Max Aub in die Fußstapfen seines Vaters und reist als Handelsvertreter durch sein neues Heimatland. Dabei knüpft er vielfältige Kontakte zur künstlerischen Avantgarde und beginnt auch selbst zu schreiben und zu filmen. Der Spanische Bürgerkrieg wird für Max Aub zum Ausgangspunkt einer lebenslangen Odyssee: Nach Francos Sieg flieht er nach Frankreich, wird dort inhaftiert und in ein algerisches Konzentrationslager verschifft. Ihm gelingt die Flucht nach Marokko und von dort nach Mexiko, wo er mit der Arbeit an seinem „Magischen Labyrinth“ beginnt und diese im Jahr 1968 abschließt.
Im Zentrum von Max Aubs gewaltigem Romanzyklus stehen einfache Menschen, an deren Schicksal er die spanische Bürgerkriegsgeschichte in seiner ganzen Spannbreite und bis zum tragischen Ende hautnah spüren lässt. In den „Bitteren Mandeln“ fliehen die Republikaner so vor Francos heranrückenden Truppen in die Hafenstadt Alicante. Der revolutionäre Traum ist beendet, die ganze Welt scheint auseinander zu brechen: jeder ist sich nun selbst der nächste, Gerüchte, Intrigen, Verrat und Denunziation haben Hochkonjunktur.
In kurzen, oftmals unvermittelten Szenen – Dialogen, Rückblicken, Kurzbiographien – führt Max Aub peu à peu sein unzähliges Romanpersonal ein. Mitten darunter auch Vicente Dalmases, der in Alicante seine Frau Asunción zu finden hofft und uns als einer der wenigen Figuren über die 800 Seiten des Romans begleitet. Auf faszinierende Weise zeigt uns Aub Menschen in tragischen Verflechtungen und existentiellen Entscheidungssituationen. Geschickt verknüpft er dabei das Menschliche, Allzumenschliche mit den politischen Debatten und dem historischen Geschehen. Immer vertraut er der Kraft des konkreten Augenblicks und verzichtet weitestgehend auf kommentierende Einordnungen. Hierdurch spiegelt sich ebenso wie durch seine rhythmisch vibrierende Stakkato-Prosa die in diesen Tagen herrschende Atmosphäre der ungeheuren Auflösung, Verwirrung und Verzweiflung intensiv wieder: „Die Leute abgerissen, unrasiert. Überall Bärte. Nieselregen. Tristesse.“
Max Aubs beeindruckend komplexe Romankomposition gleicht einem rotierenden Kaleidoskop, in dem sich unzählige Facetten zu einem authentischen Gesamtbild vereinen, das jedoch immer in der Schwebe bleibt. Er löst somit ein, woran er in den „Bitteren Mandeln“ noch selbst zu (ver) zweifeln scheint: „Um eine Vorstellung von der Wirklichkeit zu geben, müsste der Autor Tausende von Schädeln öffnen, Tausende ineinander verdrehte Gedanken darstellen […], die Qualen erklären, die Hoffnungen, die Enttäuschungen.“
Zwischen tiefster Depression und Galgenhumor drängen sich die Verlierer des Spanischen Bürgerkriegs in den letzten Märztagen des Jahres 1939 im Hafen von Alicante zusammen – 30.000 Menschen hungern, frieren und wachen hier, vernichten die Papiere, die sie als Republikaner verschiedenster Couleur verraten würden. Sie hoffen auf „Schiffe, Schiffe, um aus dieser Falle, aus diesem Labyrinth herauszukommen, das die meisten in Gefangenschaft und in den Tod führen wird, unweigerlich“.
Mit dramatischer Wucht zeigt Max Aub, wie diese Prophezeiung eintritt – Franco-Truppen rücken in die Stadt ein, kesseln den Hafen ein, wo die ersten Republikaner beginnen, sich selbst zu richten. Die versprochenen Schiffe, mit denen die Flüchtlinge ihre Reise ins Exil antreten sollten, bleiben aus, entpuppen sich immer wieder nur als luftige Wolkengebilde. Der Schrecken, der folgt, lässt den Leser in schlichtweg sprachlosem Entsetzen zurück und bleibt für lange Zeit haften.
Karsten Herrmann
Max Aub: Das Magische Labyrinth, Band 6: Bittere Mandeln. Aus dem Spanischen von Albrecht Buschmann und Stefanie Gerhold. Herausgegeben und kommentiert von Mercedes Figueras. Eichborn 2003. 800 Seiten. 34,90 Euro. ISBN 3-8218-0669-9