Wer für die anstehenden Feiertagen noch inspirierende Lektüre sucht, ist mit den folgenden vier Büchern bestens beraten: Visionäre Modeschöpferinnen, außergewöhnliche Künstlerinnen, spektakuläre Lebensgeschichten, tolle Fotos – was will man mehr?
Emilie Flöge – Auf Freiheit zugeschnitten
Es ist fast ein bisschen schade, dass der Untertitel der Biografie von Modeschöpferin Emilie Flöge auf deren Beziehung zu Gustav Klimt verweist – als würde ein Buch über Flöge erst durch diesen Umstand legitimiert. Aber es ist ja auch tatsächlich so: Klimt, bedeutendster Vertreter der Wiener Secession, ist weltberühmt, sein Status unbestritten; den Namen seiner Lebensgefährtin, die ebenso produktiv war wie er, kennt kaum jemand. Deshalb ist Margret Greiners Buch umso wichtiger: Die Freiburger Germanistin und Historikerin wagt sich an das schwierige Genre der Romanbiografie, um das Leben der Wiener Schneiderin nachzuzeichnen.
Emilie Flöge (1874 – 1952) betrieb mit ihren beiden Schwestern ab 1904 in Wien den „Salon Flöge“, um mit revolutionären Entwürfen die österreichische Frau von Korsett und Mieder zu befreien. Ihre wichtigste Kreation war das sogenannte „Reformkleid“, lose geschnitten, mit weiten Ärmeln und grafischen Mustern – das leider nur wenige Damen tragen wollten, weshalb die Flöge-Schwestern ihr Geld mit meist konventionellen Anfertigungen verdienten. Emilie verlor jedoch nie den Glauben an den Wandel der Mode: Regelmäßig reiste sie nach Paris, um Stoffe zu kaufen, war mit Modeschöpfern wie Paul Poiret befreundet und ließ ihren eigenen Laden im Stil der neuen Zeit einrichten. Sie arbeitete bis zu ihrem Lebensende mit unablässiger Begeisterung und dem Ziel, Frauen Selbstbewusstsein und Geschmack zu vermitteln.
Emilie Flöges Lebensweg und -werk wäre auch so schon spannend genug, ihre jahrzehntelange Verbindung mit dem Jugendstilmaler Gustav Klimt macht Flöge auch für an Mode desinteressierte Menschen zur wichtigen historischen Figur: Als Muse war sie eher ungeeignet (schließlich hatte sie selbst genug zu tun, dekorativ herumzusitzen war nichts für Emilie), dennoch kam es zum Unvermeidlichen – Klimt porträtierte sie mehrfach, mit direkter Namensnennung bereits 1902; überdies gilt es heute als gesichert, dass Klimt die Beziehung zu Flöge in berühmten Gemälden wie „Der Kuss“ darstellte, ohne dass Emilie deutlich erkennbar ist.
Flöge und Klimt waren ein Paar und doch keins, sie waren nie verheiratet, lebten nicht zusammen und verbrachten doch immens viel Zeit miteinander; Schwerennöter Klimt zeugte zahlreiche uneheliche Kinder, aber keins mit Emilie; Klimt war für Exzentrik bekannt und verbrachte dennoch jedes Jahr die Sommerfrische mit Familie Flöge am Attersee – Paradoxien noch und noch, doch bis zum Tode Klimts die Geschichte einer offensichtlich großen (Lebens-)Liebe.
„Auf Freiheit zugeschnitten“ ist (auch wenn manche der erfundenen Dialoge ein wenig gestelzt wirken) ein bedeutender Schritt zur Sichtbarmachung der zu Unrecht vergessenen Emilie Flöge. Viele Fotos (Klimt mit Flöges im Urlaub – großartig!) und kulturhistorisch kompetente Einordnung Emilie Flöges in Wien und darüber hinaus runden diese lesenswerte Biografie ab.
Margret Greiner: Auf Freiheit zugeschnitten: Emilie Flöge. Modeschöpferin und Gefährtin Gustav Klimts. Gebunden mit Schutzumschlag. Kremayr & Scheriau 2014. 304 Seiten. 24,00 Euro.
Shocking Elsa
Das Leben der italienisch-französischen Modeschöpferin Elsa Schiaparelli (1890 – 1973) ist nicht minder spektakulär als Emilie Flöges – „Schiap“, wie sie sich selbst abkürzend bezeichnete, nannte ihre Autobiografie passenderweise „Shocking Life“, eine Anspielung auf ihr Parfum „Shocking“ und ihre Farbkreation „Shocking Pink“. Das Buch ist ein Parforceritt: Assoziativ, voller Spleens, dabei nie arrogant oder überheblich springt Schiap von einem Thema zum nächsten, man muss hellwach sein, will man der Autorin folgen – und doch formt sich Seite für Seite ein beeindruckendes Gesamtbild, ein Leben, das für eine Person allein fast zu prall erscheint.
Mit der ihr eigenen Mischung aus Selbstironie und -bewusstsein lässt Schiap die Welt an ihrem Werdegang teilhaben, der zunächst (anders als bei Flöge beispielsweise) kein Indiz dafür gab, dass aus der Tochter des Orientalisten Celestino Schiaparelli dereinst die Modeavantgardistin Schiap werden sollte, die in Paris und auf der ganzen Welt Boutiquen führte. Elsa heiratete jung, bekam eine Tochter, verlor ihren Gatten früh und war fortan auf sich allein gestellt – aus Geldmangel strickte sie ihre Pullover selbst: Aus dem Stand populär wurde ihr Trompe l’euil-Pullover mit eingestrickter Schleife. Tout Paris wollte diesen Pullover – und ihr unaufhaltsamer Siegeszug nahm seinen Lauf. Nach den Pullovern kamen Auftragsarbeiten für Röcke, Kleider, Mäntel – Nähen konnte Schiap allerdings nicht. Sie konnte aber ihre Vorstellungen außerordentlich gut weitergeben und leitete bald ein großes Atelier mit vielen Mitarbeiterinnen. Ihre revolutionären Designs, ihr unfehlbarer Stil und ihr Verständnis des weiblichen Körpers machten sie rasch zur wichtigsten Schneiderin für Schauspielerinnen wie Joan Crawford, Mae West und Greta Garbo; quasi nebenbei ergaben sich Freundschaften mit Künstlerin wie Man Ray und Salvador Dalí, die Schiap als ebenbürtige Künstlerin erkannten. Ihre Kleider, Hüte – die eher Skulpturen gleichen -, Accessoires sind auch vom heutigen Blickpunkt aus hypermodern, gewagt, visionär und finden ihren Nachhall in zeitgenössischem Modedesign.
Während des Zweiten Weltkriegs musste Schiaparelli ihre Boutiquen in Frankreich aufgeben und durfte erst nach vielen Jahren im amerikanischen Exil zurückkehren – trotz Entbehrungen, Trennung von ihrer Tochter und finanziellem Ruin verlor Schiap nie Humor und Sendungsbewusstsein, auch sie arbeitete bis zu ihrem Lebensende an der Verschönerung von Frauen und der Welt im Allgemeinen. Ihre Autobiografie ist ein Leseerlebnis, man liebt diese unbequeme Frau (auch wenn sie die Suffragetten verachtete und ganz selbstverständlich empfahl, dass man stets „den Körper dem Kleid und nicht umgekehrt“ anzupassen habe) – wahrscheinlich hätte sie eine(n) zunächst aufs Heftigste beschimpft, und dann doch das schönste Kleid der Welt auf den Leib entworfen.
Elsa Schiaparelli: Shocking Life. Mit circa 40 s/w-Abbildungen. Broschur. Parthas Verlag 2014. 352 Seiten. 19,80 Euro.
Vivienne Westwood
Dass Vivienne Westwood eine der, wenn nicht DIE bedeutendste lebende Modedesignerin ist, darf als gesichert gelten. Ebenso die wichtigsten biografischen Facts der inzwischen 73-jährigen Dame Westwood: Sie arbeitete jahrelang als Grundschullehrerin, war junge Mutter und früh geschieden, bevor sie aus Geldnot und Experimentierfreude zu Nadel und Faden griff. Dann traf sie Malcolm McLaren und eine unvergleichliche Liebes- und Arbeitsbeziehung nahm ihren Lauf: Vivienne und Malcolm sind die PatInnen des Punk, vor allem des Punk-Design. Irgendwann war Punk „durch“, aber nicht Viviennes punkige Haltung, die sie binnen weniger Jahre und spektakulärer Fashionshows zu Ruhm und Rang brachte. Es gibt nur wenige DesignerInnen, die so dezidiert politisch agieren wie Westwood, die um die Paradoxien ihrer Arbeit weiß und dennoch auch heute noch so unermüdlich, neugierig und kreativ ist wie als junge Frau.
Auch wenn man vieles über Westwood weiß, ihre Entwürfe und auch den Namen ihres Gatten (Andreas Kronthaler) kennt, ist ihr noch kein Biograf so nahe gekommen wie Autor und Schauspieler Ian Kelly, der in den Harry-Potter-Filmen Hermiones Vater darstellt und sich darüber hinaus mit Büchern über Casanova und Beau Brummel einen Namen gemacht hat. Kelly begleitete Westwood ein Jahr lang zu Modeschauen und privat und schrieb „ganz nebenbei“ ihr Leben auf – in ihren Worten, die offen, schonungslos (auf sich und andere bezogen) einige bekannt geglaubte Details in anderes Licht rücken.
Ihre Beziehung zu McLaren beispielsweise war von Anfang an schwierig, dennoch hielt sie an ihm fest, weil sie seine Begabung erkannte – und wusste, dass sie zusammen die Welt verändern konnten, was sie schließlich auch taten. Die Trennung vom „Impresario des Punk“ war schmerzhaft und ruinös, aber Westwood stieg in den frühen 1980ern buchstäblich wie Phoenix aus der Asche: mit mutigen Kollektionen, die ihre wildesten Visionen ausdrückten, und gleichzeitig Zeugnis ihres mittlerweile sprichwörtlich gewordenen strengen Arbeitsethos und unvergleichlichen Talents ablegten.
Kellys Biografie ist intimer Einblick und kulturhistorisch kompetentes Werk in einem – dem man kleinere Ungenauigkeiten (Kelly und/oder die Übersetzerin machen z.B. aus der New Yorker Punkkeimzelle CBGB gleich zwei Läden: der CBGB-“Untertitel“ OMFUG wird bei Kelly zu einem eigenen Club) verzeiht, die Westwood selbst natürlich niemals durchgehen lassen würde.
Vivienne Westwood & Ian Kelly: Vivienne Westwood. Übersetzt von Stefanie Schäfer. . Gebunden mit Schutzumschlag. Eichborn Verlag 2014. 576 Seiten. 24,99 Euro. Zu den Homepages von Vivienne Westwood und Ian Kelly.
Ab nach München!
Ende des 19. Jahrhunderts war München neben Paris die führende Kunststadt Europas: Zahlreiche Akademien, Universitäten, Museen, Galerien und nicht zuletzt die Schönheit der Stadt zogen Künstler aus Deutschland und aller Welt an – und ab 1884 auch KünstlerINNEN. Bis dahin war es Frauen nicht erlaubt, an Universitäten zu studieren, 1884 wurde die Münchner Damen-Akademie gegründet, die es endlich auch Frauen möglich machte, eigenständig ihren Talenten nachzugehen und nicht nur als Anhängsel ihrer Männer, Brüder oder Förderer.
Im Münchner Stadtmuseum läuft noch bis Mitte Februar 2015 die Ausstellung „Ab nach München – Künstlerinnen um 1900“, die die Werke und Lebenswege der Frauen zeigt, die in die bayrische Metropole zogen, um dort zu arbeiten. Schon der Ausstellungskatalog ist ein wahres Fest: Auf über 400 Seiten werden Künstlerinnen aller Bereiche (Fotografie über Malerei, Töpferei, Textildesign, Skulptur, Radierung, etc.) und ihre Werke vorgestellt.
Die Begleittexte sind kundig und gut geschrieben, kunsthistorische Einführung, Personenregister und Anmerkungsapparat angemessen umfangreich. Einige der Künstlerinnen wurden berühmt: Käthe Kollwitz, Fanny zu Reventlow, Marianne von Werefkin, Gabriele Münter oder Anita Augspurg ließen sich in München nieder. Viele jedoch gerieten in Vergessenheit oder erlangten nie den verdienten Respekt für ihre Arbeit: Die fantastischen Werke der Scherenschnittkünstlerin Paula von Goeschen-Rösler beispielsweise können nun dank Buch und Ausstellung wiederentdeckt werden, ebenso die Bronzeskulpturen von Sofie Burger-Hartmann und Elfriede Reichelts kunstvolle Landschaftsfotografien. Hunderte von Abbildungen machen den Katalog zum unverzichtbaren Werk für alle an weiblicher Kunst Interessierte.
Antonia Voit (Hg.): Ab nach München – Künstlerinnen um 1900. Gebunden. Süddeutsche Zeitung Edition 2014. 192 Seiten. 29,90 Euro. Zum Museum.
Christina Mohr