Geschrieben am 13. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Nika Bertram: Der Kahuna Modus

Kafka im Cyberspace

Nika Bertram klickt den Leser in ihrem Romandebut von der ersten Seite an in eine kafkaeske Cyberwelt der Überwachung und der permanenten Transformationen. Unter vagen Anschuldigungen wird ihre Protagonistin Nadine – eine junge lesbische Comiczeichnerin – in einem blauschimmernden „Milchkeller“ gefangengehalten und damit beauftragt, ihr eigenes Leben zu erzählen: „Mehr erfuhr ich nicht. Nicht den Namen meiner Krankheit oder meines Verbrechens, nicht einen Grund dafür, weshalb ich nun überwacht wurde.“

So seltsam wie der Auftakt entfaltet sich nun auch die in der Bretagne beginnende und mit Comic-Zeichnungen von Illian Mousli illustrierte Lebensgeschichte von Nadine: sie ist prall gefüllt mit archaisch-surrealen Bildern und oszilliert ständig zwischen der Schönheit und dem Schrecken. Munter fabuliert Nadine in ihrem Milchkeller drauflos, schweift ab, assoziiert und durchlöchert die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit – bis ihr Wärter sie ermahnt, sie „möge bitte wieder zur Sache kommen.“

Wer jetzt etwas mehr bodenständigen Realismus erwartet, der sieht sich schwer getäuscht: Die Realität bleibt ein Traum und der Traum eine Realität: Die mittlerweile in den zwanzigern angekommene Nadine spannt ihrem Bruder Arthur die Freundin aus, um kurz darauf ihre erste physische Transformation zu erleben: „Die weibliche Form, meine frühere Existenz, wurde zu einem Tippfehler in meinen Dokumenten“ und Nadine darf die Welt nun aus der männlichen Perspektive erleben – eingeschlossen der Schwängerung ihrer Freundin.

Nach dieser Initiation sind alle Identitäts-Dämme gebrochen und Nadine verwandelt sich am laufenden Band: in eine Ratte, einen Vampir, einen Raben und in eine Meerjungfrau. Die Welt bevölkert sich währenddessen mit mysteriösen Doppelgängern bzw. Anti-Ichs und langsam – wir sind im Buch wie in einem virtuellen Computerspiel bis zum „Level 3“ gelangt – offenbart sich ein schwerwiegender Teufelspakt.

Nika Bertram betreibt im „Kahuna Modus“ ein virtuoses (Genre-) Spiel mit einer Wirklichkeit, die keine feste Größe mehr ist: Durch Traum, Fiktion, (gentechnische) Transformation und digitales Cyberspace wird sie zur beliebig modellierbaren Versuchsmasse. Auf mitreißende Weise morpht sich die 30jährige Jung-Autorin durch die verschiedensten Seinszustände – „Nichts ist unmöglich…!“ – und scannt die Welt ebenso vielperspektivisch wie plastisch ein. Genau lotet sie dabei auch die Potenziale zwischen der kafkaesken Bedrohung und dem Grauen sowie der am Horizont leuchtenden Befreiung aus – „Break o¬n through the other side“ sangen schon die „Doors“ emphatisch.

Im Internet ist ein aus dem Roman generiertes Textabenteuer unter www.kahunamodus.de multimedial zu erkunden.

Textauszug:

„Ich bin nicht krank! habe ich ihm immer wieder gesagt, dem Transparenten, meinem Wärter, der sich mir zwar nie als solcher vorgestellt hat, doch bisher nicht von meiner Seite gewichen ist, seit heute abend, seit ich hier festgehalten werde. Zu meinem eigenen Besten, zur Erholung, um, wie er sagte, den Genesungsprozeß zu begünstigen. – Welche Krankheit und wessen Genesung? Wollte ich wissen. – Meine, hieß es. Mehr erfuhr ich nicht. Nicht den Namen meiner Krankheit oder meines Verbrechens, nicht einen Grund dafür, weshalb ich nun überwacht werde. Okay, da waren ein paar merkwürdige Sachen, aber…“

Karsten Herrmann

Nika Bertram: Der Kahuna Modus. Eichborn, 331 S., 39.80 DM. ISBN 3-8218-0697-4