Duell mit der Medienwirklichkeit
Frank Beck, 38, geschieden, ist eine traurige Gestalt mit käsiger Haut, schlaffen Schultern, Fettansatz am Bauch und mit der „bewährten, ruhigen Gewissheit, auf der ganzen Linie gescheitert zu sein.“
Doch nichtsdestotrotz ficht dieser Frank Beck einen ebenso großen wie aussichtslosen Kampf aus: Er steht in einem verbissenen, monomanischen (Rede-) Duell mit der übermächtigen Medienwirklichkeit, versucht ihre Strukturen und Funktionsweisen bloß zu legen, ihre destruktive Kraft zu bannen: „Wo alles auf die Spitze getrieben ist, wirkt alles gleich flach und bedeutungslos.“
Je mehr Beck die flimmernden Talkshows, fetten Schlagzeilen und das ewig rotierende Life-Styling der Medien in sich aufsaugt, desto mehr verflüchtigt sich die sinnliche und sinnhafte Welt – doch im universell wabbernden Nichts gärt die Gewalt, findet ihren Ausbruch in zerstörerischen Amokläufen rund um die Welt, die Beck sorgfältig studiert und dokumentiert.
Norbert Niemann betreibt in seinem neuen Roman eine Archäologie der Gegenwart, versucht in ihr virtuelles Herz vorzustoßen. Seinen Protagonisten Beck schickt er dabei durch alle quälenden Untiefen, Zweifel und Verwirrungen einer radikalen Selbst- und Weltverständigung – und fast klingt es wie ein Remix von Rolf Dieter Brinkmanns schon in den 70er Jahren entstandenen autobiographischen Spätwerken „Rom, Blicke“ oder „Erkundungen“. Und wie schon dort, treffen die Grabungen und Schürfungen auch bei Beck auf keinen Grund mehr: Der Zugriff auf sich selbst und die von einem Medienphantom beherrschte Welt scheitert. So bleibt ihm nur die verzweifelte Wut auf den unbezwingbaren Gegenspieler: „Du bist nichts und hast das Monopol auf alles.“
Seine ebenso treffende wie in den Grundzügen von Virilio, Baudrillard und Postmann her bekannte Kultur- und Medienkritik hat Norbert Niemann in einen Roman-Plot eingebettet: Der Lehrer Beck fühlt sich von der 17jährigen Nadja, von ihrer unbekümmerten Selbstsicherheit und Sinnlichkeit angezogen. Die beiden nähern sich an und Beck glaubt, „durch Nadja so viel mehr zu begreifen.“ Er beschließt, seinen alten virtuellen Gegenspieler auszulöschen und stattdessen Menschen sichtbar zu machen: „Die Sprache schlüpft hinein in diese Unbegreiflichkeit, sie ertastet sie, von innen heraus.“ Das Verhältnis, das für Beck kein sexuelles, sondern eine Tür zur Lebenswirklichkeit der Jugendlichen darstellt, ist für Nadjas Clique eine ungeheure Provokation. Auf einer Klassenfahrt nach Leipzig spitzen sich die Ereignisse zu, Gewalt und Terror entladen sich. Der psychisch zerrüttete Beck stellt jede Gegenwehr ein und sieht seine Rolle nur noch als „das Medium, durch das eine Realität sich offenbart, die sonst nie an die Oberfläche dringt.“
Norbert Niemann hat mit der „Schule der Gewalt“ ein widerspenstiges Roman-Monstrum geschaffen, in dem die Welt ebenso anämisch und abstrakt wie die Sprache spröde und ungelenk erscheint. Der Plot bleibt im Grunde nur ein fadenscheiniges Vehikel, um mit der unfassbaren Medienwirklichkeit und den von ihr endlos reproduzierten Zombies zornig abzurechnen.
Karsten Herrmann
Norbert Niemann: Schule der Gewalt. Hanser, 318 S., 39,80 DM.