Geschrieben am 11. März 2007 von für Bücher, Litmag

Pawel Sanajew: Begrabt mich hinter der Fußleiste

Kranke Kindheit

Pawel Sanajew debütiert mit einer tragikomischen Lebensgeschichte. Ein großer Roman über einen kleinen Jungen und die leidvolle Suche nach dem Glück.

In der Regel sollen sich Großmütter ja rührend und liebevoll um ihre Enkel kümmern. Nicht so in Pawel Sanajews erstem Roman. Hier ist die Babuschka eine streitsüchtige, misstrauische, vom Leben gezeichnete wie enttäuschte Alte. Nachbarn, Ehemann und Freunde sind Opfer ihrer Unzufriedenheit. Leiden muss aber vor allem ihr permanent kränkelnder Enkel Sascha, den sie ihrer angeblich liederlichen Tochter weggenommen hat. Dabei wünscht sich Sascha doch nichts sehnlicher als die Wärme seiner Mutter. Aber genau dieses Gefühl versucht der Hausdrachen mit allen nur erdenklichen Mitteln im Keim zu ersticken. Gerade ein Mal im Monat für zwei Stunden darf die Mutter ihr Kind sehen. Und auch diese Stunden weiß die Großmutter den beiden mit Vorwürfen und Beleidigungen zu verhageln.

In der Zwischenzeit erträgt der verängstigte wie verzweifelte Junge die Heulanfälle, Verwünschungen und Erniedrigungen seiner Großmutter. Schluckt ihre Pillen, trinkt ihren ungenießbaren Kräutertee, verdaut ihre fleischlose Kost und ergibt sich seinem Schicksal, dass ihm weder Eis noch Karussellfahrten gönnt. Er weiß, dass seine Großmutter ihn nie im Stich lassen würde. Aber er weiß auch, dass er von ihrer zwischen Liebe und Hass schwankenden Zuwendung gnadenlos abhängig ist.

Mitreißender Erstling

Ein emotionales Dilemma, das auf der zarten Kinderseele lastet. Fürwahr ein Teufelskreis der ganz besonderen, aber auch der typisch russischen Art: anziehend und abstoßend zugleich, aber niemals sentimental, wie es die dramaturgische Konstellation vermuten ließe. Die derben Tiraden der Großmutter gegen alles und jeden, aber auch ihre grotesk überzeichnete Fürsorge lassen keinen Zweifel daran, dass wir hier kein Rührstück vor uns haben.
In diesem Debüt steckt vielmehr ein ungeheures Maß an Lebensweisheit, das sich nicht in platten Sinnsprüchen, sondern in der Verzweiflung und Sehnsucht der Figuren mitteilt. Und sich in solchen, für alle Figuren des Romans gültigen Sätzen offenbart: „Ich war dem Leben davongelaufen, aber es hatte sich nichts verändert, das Leben war immer noch da und wollte dem Glück seinen Platz nicht abtreten.“ Wie Sascha bleibt auch der Leser gebannt von der allzumenschlichen Tragödie. Mehr kann man von einem ebenso mitreißenden wie meisterhaft geschriebenen Erstling nicht erwarten.

Jörg von Bilavsky

Pawel Sanajew: Begrabt mich hinter der Fußleiste. Roman. Aus dem Russischen von Natascha Wodin. Verlag Antje Kunstmann 2007. 192 Seiten. 17,90 Euro.