Geschrieben am 29. Mai 2013 von für Bücher, Kolumnen und Themen, Litmag

Kolumne: Annes Andere Welten: Neues aus Science Fiction und Fantasy

Science Fiction und Fantasy kamen bislang im CULTurMAG nur recht selten vor. – Dies wird sich nun ändern: In ihrer Kolumne „Annes Andere Welten“ stellt uns Anne Schüßler ab sofort regelmäßig interessante Bücher aus Genre und Subgenres vor. Diesmal versorgt sie uns mit ein paar interessanten Weltuntergängen.

Adobe Photoshop PDFEin Weltuntergang kommt selten allein

– Diesen Monat konnte ich gleich mehrere Apokalypsen erleben, wenn auch glücklicherweise nur auf dem Papier. Sieben Staffeln „Buffy“ haben mich zwar abgehärtet, was Apokalypsen angeht, allerdings konnte man sich damals in Sunnydale wenigstens auf ein paar Konstanten verlassen. Da tut sich der Höllenschlund auf, der ein oder andere Dämon kommt heraus, um die Welt zu vernichten, scheitert aber kläglich an der Vampirjägerin vom Dienst, Ende. Kein Grund zur Panik also.

Abwechslungsreicher kommen da die Endzeitvisionen von Peter Heller, Paolo Bacigalupi und Hugh Howey daher, die diesen Monat auf meinem Tisch, oder vielmehr auf meinem Sofa landeten. Auch wenn jedes Mal ein bisschen die Welt untergeht, so präsentieren die drei Autoren ihre jeweils ganz eigene Vorstellung davon, wie die Welt nach der Katastrophe aussieht, und schicken ihre Helden unter der Erde, auf dem Wasser oder hoch in der Luft auf die Suche nach ihrem Glück oder zumindest ein paar Antworten.

Peter Heller – Das Ende der Sterne, wie Big Hig sie kannte

Was tun, wenn die Welt untergeht, und alles was bleibt, ist ein Hund, eine Cessna und ein Waffennarr als Nachbar? Das ist jetzt das Leben des Protagonisten in Peter Hellers Debütroman „Das Ende der Sterne, wie Big Hig sie kannte“, ein Leben, das er sich nicht ausgesucht hat, zu dem es aber auch keine Alternative gibt.

Eine Grippeepidemie hat die eine Hälfte der Menschen dahingerafft, eine Blutkrankheit die andere. Hig hat überlebt und teilt diesen gleichzeitigen Segen und Fluch nun mit den wenigen anderen Überlebenden. Mit einer alten Cessna fliegt er regelmäßig Runden und kontrolliert das Gebiet, sein Hund Jasper als Copilot an seiner Seite. Eindringlinge werden verjagt, wer seinem Hangar und der kleinen Häusersiedlung am Flughafen zu nahe kommt, wird erschossen. Wenn nicht vom zögerlichen Hig, der mit seinem letzten Rest Urvertrauen und seiner Liebe zur Poesie in dieser Welt vollkommen deplatziert wirkt, dann von seinem skrupellosen Nachbarn Bangley.

Vor Jahren empfing Hig beim Überfliegen „seines“ Areals einen Funkspruch. Getrieben von Neugier und der Hoffnung, vielleicht doch unerwartet auf etwas Restzivilisation zu stoßen, begibt er sich nun auf die Suche nach dem Ursprung, eine Reise, bei der ungewiss ist, was er finden wird, und ob er davon zurückkehren wird.

„Das Ende der Sterne, wie sie Big Hig kannte“ weigert sich trotz allem beharrlich, eine düstere Dystopievision zu sein. Das Leben nach dem Weltuntergang ist ein Leben in der Einsamkeit und mit der Natur. Der Gemüsegarten, den Hig anlegt, die Hirsche, die er nach einer Jagd auf einem Schlitten nach Hause zieht. Wüsste man nicht um die Umstände, würde Hig nicht gelegentlich das Verschwinden der Forellen und Elefanten oder das Versiegen der Wasserquellen beklagen, und wäre ein einsamer Truck voll mit Coca-Cola-Kästen nicht gleichzeitig Motiv für und Schauplatz einer Schießerei, man könnte Hellers Roman mit einer Aussteigergeschichte verwechseln, einem Road Movie in der Luft über der Wildnis Colorados.

Es ist eine Geschichte, in der nicht viel passiert, mit einem Helden, der gar nicht viel tun kann, in einer Welt, in der es vieles nicht mehr gibt. Der Schrecken liegt nicht in dem, was ist, sondern in dem, was nicht ist. Beängstigend ist das, was war und das, was kommt.  Alles, was jetzt ist, ist Abwarten, Überleben, Jagen, Pflanzen, Ernten, Fliegen und Wache halten. Die Sprachlosigkeit findet sich auch im Text wieder, wenn Hig zu erklären versucht, was nicht zu erklären ist, und immer wieder Sätze aus einem einzigen hilflosen Wort bestehen: „Aber.“

„Das Ende der Sterne, wie Big Hig sie kannte“ ist eine Geschichte davon, wie es weiter geht, wenn es eigentlich gar nicht weiter gehen kann. Was übrig bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Hoffnung sogar eine Apokalypse überlebt, und dass der Mensch, so sehr er sich auch bemüht, eben weder Fels noch Insel ist.

Paolo Bacigalupi_SchiffsdiebePaolo Bacigalupi – Schiffsdiebe

Auch Bacigalupis Roman „Schiffsdiebe“ ist schwer in eine Kategorie zu fassen. Young-Adult-Fantasy-Erderwärmungsdystopie bietet sich an, ist aber möglicherweise ein bisschen zu lang und schlecht zu merken, zumal es sich auch im strengen Sinne nicht um Fantasy handelt, es liest sich aber ein bisschen so. Die englische Young Adult bzw. YA Fiction wird in Deutschland auch gerne „All Ages“ genannt, ein Zeichen dafür, dass auch Leser jenseits der zwanzig mittlerweile als Zielgruppe für dieses Genres erkannt wurden.

Die Meeresspiegel sind angestiegen, New Orleans ist endgültig überschwemmt und von Sümpfen umgeben, es herrscht Ressourcenmangel und die Schere zwischen arm und reich könnte nicht weiter auseinander klaffen. Der junge Nailer wohnt in einer zusammengeschusterten Hütte am Strand zusammen mit seinem drogensüchtigen, gewalttätigen Vater. Solange er klein und dünn ist, kann er mit seiner „Leichten Kolonne“ in Schiffwracks klettern und alles Verwertbare rausholen, Metall, Kupferdrähte, und das Gold der Zukunft: Öl.

Wer zu groß ist, um sich durch die Innereien eines Schiffes zu winden, der kann nur hoffen, dass er stark genug wird, um mit den „Schweren Kolonnen“ den Rest des Schiffes auseinander zu nehmen. Ansonsten gibt es nicht viel Hoffnung für die Menschen am Strand, jeder ist sich selbst der Nächste und hofft auf den großen Fund, wie Lucky Strike, der alleine auf etwas Öl stieß und nun reich ist.

Statt Öl findet Nailer auf einem im Sturm verunglückten Klipper ein Mädchen, ein unvorstellbar reiches Bonzenmädchen mit Namen Nita, die Tochter eines der großen Firmenbosse, die vorgibt, auf der Flucht zu sein. Mit ihr beginnt für Nailer das Abenteuer, das ihn vom Strand bis ins neue New Orleans bringen soll, in einer Welt, die halb Zukunft und halb verkommen ist, wo moderne Technologie, Schnellzüge und genetisch modifizierte Halbmenschen auf untergegangene Städte und eine kollabierte Gesellschaft treffen.

Dabei zeigt Bacigalupi im ersten Buch seiner Schiffsdiebe-Reihe (im Englischen übrigens „Ship Breakers“, also „Abwracker“, was durchaus treffender ist, denn geklaut werden Schiffe in diesem Buch verhältnismäßig selten) gefühlt nur einen winzigen Teil dieser Zukunft. Den einzigen Blick auf die Welt der Reichen gewährt er dem Leser im Schiff von Nita, der Großteil der Handlung spielt am Strand oder auf Schiffen. Dass dabei ausgerechnet der Schauplatz des neuen New Orleans zu kurz kommt, und Bacigalupi die Story zwar konsequent und mit viel Action vorantreibt, dabei aber die ein oder andere Chance, seine Welt im Detail weiter auszubauen, vergibt, ist vielleicht das Größte, in jedem Fall aber das ärgerlichste Manko des Buches.

Denn abgesehen davon steckt in „Schiffsdiebe“ alles, was ein guter Young-Adult-Fantasy-Erderwärmungsdystopie-Roman braucht und schafft es locker, kleine Schwächen in der Erzähltiefe mit einer spannenden, actionreichen Geschichte zu überdecken, die zwar unverkenntlich der Young-Adult-Tradition anhängt, aber auch für etwas ältere Erwachsene durchaus gute Unterhaltung bieten kann und gleichzeitig nicht versäumt, das Schreckensszenario einer ausgebeuteten und kaputten Welt glaubwürdig, aber ohne erhobenen Zeigefinger vor dem Leser auszubreiten.

Hugh Howey_SiloHugh Howey – Silo

Vom Himmel über Colorado über die überfluteten Südstaaten landen wir schließlich unter der Erde. In Hugh Howeys Endzeitvision leben die Menschen in einem riesigen Silo unter der Erde. Das Leben organisiert in Etagen, oben die Elite, darunter IT, Gärten, Farmen, Wohnungen, Versorgung, Krankenzimmer, ganz unten die Mechaniker, die den Laden am Laufen halten.

Draußen fegen giftige Stürme über das Land, niemand kann raus, niemand darf raus, es sei denn, er verhält sich nicht silokonform, dann muss er nämlich raus, erst die Linsen der Kameras putzen, die den Ausblick nach draußen ins Silo senden, und dann sterben. So wie Sheriff Holston, der von zu viel Neugier und Sehnsucht nach seiner Frau geplagt, den folgenschweren Schritt durch die Luftschleuse nach draußen macht.

Es dauert nicht lange, bis seine Nachfolgerin Juliette Nichols, die bis dahin ihr Leben als Mechanikerin in den Tiefen des Silos führte, sich in einem Netz von Manipulation und Lügen wiederfindet. Was ist der Silo? Wer hat die Macht? Was ist draußen? Was, wenn alles gar nicht so ist, wie es scheint?

Die Hoffnung, Antworten auf diese Fragen zu bekommen, treibt auch den Leser voran, Seite um Seite, in einem Roman, der stellenweise etwas holprig daher kommt und einige Längen und Ungereimtheiten (oder, sagen wir: unklare Motivationen) aufzuweisen hat. Einige dieser kleinen Logikmängel werden dankbarerweise im Verlauf des Buches zumindest implizit aufgelöst. Insgesamt bleibt das Lesevergnügen so trotzdem weitgehend ungetrübt und tatsächlich habe ich ausgerechnet „Silo“ zumindest gefühlt am schnellsten und am gierigsten gelesen.

Hugh Howey veröffentlichte „Silo“, das im Original „Wool“ heißt, zunächst in fünf Teilen ohne Verlag selbst, verkaufte die Rechte für die Printpublikation schließlich, behielt aber die e-Book-Rechte für sich. Ob man dem Buch seine Entstehungsgeschichte anmerkt, oder ob das Wissen darüber die Einschätzung beeinflusst, sei dahingestellt. Tatsächlich wirken die (fehlenden) Übergänge gerade zwischen den ersten drei Teilen etwas sperrig und dass der erste Teil als Kurzgeschichte geplant war, glaubt man sofort.

Die größten Chancen verpasst Howey aber bei der Entwicklung des Silopersonals. Dabei kann man ihm noch nicht einmal vorwerfen, seine Figuren lieblos zu behandeln, aber irgendwie mag der Funke nicht überspringen. Holston, Mayor Jahns und Deputy Marnes, Juliette Nichols, IT-Leiter Bernard, Juliettes Mechanikerkollegen, alle bleiben in einer nicht ganz bestimmbaren Stereotypie hängen. Selbst, wenn gegen Ende des Buches bei einer Figur eine erfrischende Ambivalenz des Charakters zumindest angedeutet wird, es bleibt leider bei der Andeutung. Vielleicht ist das Problem in diesem Fall aber auch gar nicht Schwarzweißmalerei, sondern vielmehr eine Überpräsenz undefinierbarer und verschwommener Grautöne, die eine Identifikation mit den Protagonisten kaum ermöglicht.

Nichtsdestotrotz ist Hugh Howey mit seinem Roman eine bedrückende und vor allem unglaublich spannende Endzeitvision geglückt, die einen bis zur letzten Seite in ihren Bann zieht. Wer danach noch nicht genug oder noch ein paar Fragen offen hat, für den gibt es immerhin auch schon die vier nächsten Teile (zusammengefasst als „Shift“ bzw. „Dust“), die bislang jedoch nur als englische e-Books erschienen sind.

Drei Autoren, drei Bücher, drei vollkommen unterschiedliche Ideen davon, wie die Welt enden könnte und vor allem, was danach passiert. Die Gemeinsamkeit bleibt vielleicht (ganz vielleicht) die Frage nach der Freiheit. Bei Heller hat Big Hig gleichzeitig zu viel und zu wenig davon, Nailer könnte zwar theoretisch alles, aber Chaos und die sozialen Strukturen, in denen Bacigalupi ihn gefangenhält, lassen ihn nicht, während in Howeys Silo schon die räumlichen Gegebenheiten so wenig Freiheit für den einzelnen übrig lassen, dass der Drang nach draußen manchmal wichtiger ist als das Leben selbst.

Und auch, wenn keine dieser Apokalypsen wie eine erstrebenswerte Alternative aussieht, irgendwie geht es anscheinend immer weiter. Vielleicht sollten wir mit diesem Wissen mit dem Thema Weltuntergang einfach etwas entspannter umgehen. Oder, um es mit Buffy zu sagen: „If the apocalypse comes, beep me.“

Anne Schüßler

Peter Heller: Das Ende der Sterne, wie Big Hig sie kannte (The Dog Stars, 2012). Roman. Deutsch von Eva Bonné. Köln: Eichborn 2113. Hardcover. 320 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Paolo Bacigalupi: Schiffsdiebe (Ship Breaker, 2111). Roman. Aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel. München: Heyne Verlag 2012. 352 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Hugh Howey: Silo (Wool, 2012). Roman. Deutsch von Johanna Nickel und Gaby Wurster. München: Piper Verlag  2013. Gebunden mit Schutzumschlag. 544 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Zum Blog von Anne Schüßler.

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