Zweimal Mode im Buch
– 1994 konstatierte die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken in ihrem vielzitierten Buch „Mode nach der Mode. Kleid und Geist am Ende des 20. Jahrhunderts“, dass Mode, also Bekleidung, deren Funktion über den reinen Nutzwert hinausreicht, kein gutes Ansehen genieße. Die Beschäftigung mit Mode gelte als eitel und oberflächlich, und schon gar nicht würde der Mode Anerkennung als Kunstform zuteil. Christina Mohr hat sich Modefotos angesehen.

Aus "Visions & Fashion"
Inzwischen sind siebzehn Jahre vergangen, und auch Laien werden erkennen, dass sich auf diesem Gebiet vieles verändert hat. Wurden in den 1990er Jahren Designer und Schneider durchaus gefeiert, können sich heutzutage Leute wie Michael Michalsky und Stella McCartney im höchsten Celebrity-Status sonnen. Lady Gaga wäre eine Sängerin mit guter Stimme, aber ansonsten reichlich unauffällig, würde sich nicht Thierry-Mugler-Designer Nicola Formichetti um ihren optischen Auftritt kümmern – im Übrigen eine klare Win-Win-Situation: Lady Gaga verhalf mit ihren Performances dem kränkelnden Mugler-Imperium zu neuer Popularität; Mugler/Formichetti dürfen sich an Gagas zartem Körper mit spektakulären Entwürfen austoben.

Tavi Gevinson.
Wiederum ein ganz anderes Thema ist die Rezeption von Mode: Noch bis vor wenigen Jahren fand die Präsentation und Kommentierung neuer Trends fast ausschließlich in Hochglanzblättern wie Vogue und Elle statt; bei den halbjährlichen Haute-Couture-Schauen in Paris, Mailand oder New York blieb die Branche ohnehin unter sich. Das ist heute völlig anders: in ungezählten Mode-Blogs wird nicht nur über die Erzeugnisse der großen Modehäuser debattiert, weltweit zeigen sich Fashionistas (und Fashionisten) in Eigenkreationen ihren Followern oder fotografieren den Style der Straße. Durch ihren Blog selbst zum Star geworden ist die 15-jährige Schülerin Tavi Gevinson aus Chicago, die mittlerweile bei allen Fashion Shows in der ersten Reihe sitzt: Was Tavi trägt, wird ein Erfolg.
Im 21. Jahrhundert ist die Mode zu weiten Teilen demokratisiert, das Faszinosum jedoch ungebrochen. Großen Anteil daran hat – auch wenn es zunächst banal klingt – die visuelle Präsentation von Kleidung, früher Modezeichnungen und Illustrationen, heute vornehmlich Fotografie. Denn auch der schönste Entwurf ist nichts ohne Inszenierung, was nicht gezeigt wird, wird auch nicht gesehen.
Coffeetable-Book und Nachschlagewerk in einem
In den Staatlichen Museen zu Berlin ist zu diesem Thema noch bis zum 9. Oktober 2011 die opulente Ausstellung „Visions & Fashion. Bilder der Mode 1980–2010“ zu sehen. Wer es nicht schafft, die Ausstellung zu besuchen, wird vom im Kerber Verlag erschienenen Katalog mehr als entschädigt: Basierend auf der Sammlung Modebild – Lipperheidesche Kostümbibliothek zeigen 250 Abbildungen die Entwicklung der visuellen Darstellung von Mode innerhalb der letzten dreißig Jahre.
Die Werke namhafter FotografInnen und GrafikerInnen wie Sarah Moon, Helmut Newton, Cem Bora, Michel Comte, Tony Viramontes und vielen mehr bilden den Kern des Bandes, der sich daneben ausgewählten Themenbereichen widmet wie z. B. dem Phänomen der Supermodels ab der späten 1980er Jahre, Aufsehen erregenden Plakatserien wie z. B. von Benetton oder Missoni und dem Ineinandergreifen von Mode und Popkultur in Musikvideos. Im Gegensatz zu vielen anderen Publikationen im Fashion-Sektor sind alle Texte sehr gut verständlich und bestens ediert, weshalb „Visions & Fashion“ präsentables Coffeetable-Book und Nachschlagewerk in einem ist.
Adelheid Rasche (Hg.): Visions & Fashion. Bilder der Mode 1980–2010. Kerber Verlag. Klappenbroschur. 223 Seiten. ISBN-13: 978-3866785489. Zur Verlagsseite und zur Ausstellung.
In Design-Grenzbereichen
Thematisch nicht minder interessant, aber leider schon vorbei ist die Ausstellung „Art & Fashion“ im Kunstmuseum Wolfsburg. Auch für diese Schau hat der Kerber Verlag einen tollen Katalog gemacht, herausgegeben von den Kuratoren Markus Brüderlin und Annelie Lütgens. „Art & Fashion“ präsentiert Design-Grenzbereiche: Mode wird hier nicht als pragmatisch-tragbares Jacke-wie-Hose-Konzept gedacht. KünstlerInnen wie Nick Cave (nicht der Musiker, sondern ein Bildender Künstler) und Louise Bourgeois, Modeschöpfer wie Viktor + Rolf und Comme des Garcons interpretieren Mode auf sehr spezielle Weise und kaum einer ihrer Entwürfe ist zum Anziehen gedacht.
Die Pelzperücken vom Künstlerkollektiv BLESS, Charlie le Mindus Haarskulpturen oder der pinkfarbene Plüschkopf von Louise Bourgeois wirken wie monströse Zerrbilder der überästhetisierten Modewelt; der niederländische Designer Walter van Beirendonck schockiert und verstört mit seinen zum Teil sehr haarigen Kostümierungen als Mensch-Tier-Hybrid. Die Klang-Anzüge („Sound Suits“) von Nick Cave wirken vordergründig lustig und verspielt, tragen möchte man die gehäkelten Ungetüme mit eingebauten Klingeln, Rasseln und Lautsprechern deshalb noch lange nicht.
Glamour spielt bei „Art & Fashion“ keine Rolle: Die Auseinandersetzung mit Stoffen, Schnitten und Material führt vielmehr zu erstaunlichen Sicht- und Wahrnehmungserweiterungen bei Künstlern und Betrachtern. Im Katalog/Buch werden dankenswerterweise auch die ausgestellten Installationen beschrieben und erklärt, sodass man nicht das Gefühl hat, das Buch sei nur ein unvollständiges Anhängsel der Ausstellung.
Nach der eingehenden Lektüre der Texte in „Art & Fashion“ und vor allem nach dem Betrachten der über neunzig großartigen Fotos kann man Barbara Vinken jedenfalls beruhigen: Die Zeiten, in denen Mode nicht als Kunst galt, sind lange vorbei.
Annelie Lütgens, Markus Brüderlin (Hg.): Art & Fashion: Zwischen Haut und Kleid. Kerber Verlag. Gebunden. 135 Seiten. ISBN-13: 978-3866785250. Zur Verlagsseite.
For further Reading: Zitty: Das Modebuch Berlin
Seit Sommer erhältlich: die vierte Ausgabe des zitty-Modebuchs. Eine Stadtzeitung sollte ja immer dicht am Style-Puls dran sein, eine Berliner Stadtzeitung sowieso. Specials wie das zitty-Modebuch sind also mehr als naheliegend. Schwerpunkt des aktuellen zitty-Modebuchs ist die Verbindung von (Pop-)Musik und Mode, eine seit einigen Jahren untrennbare Liaison.
In Berlin werden Modefotografen an jeder Ecke fündig, weil ja an jeder Ecke entweder ein Designerladen oder ein Club oder eine Kombination aus beidem residiert. Das Modebuch (eigentlich eine dicke Zeitschrift) präsentiert Partybilder aus dem Broken Hearts Club, ein Interview mit Model Eva Padberg, die zusammen mit ihrem Freund das Elektroduo Dapayk & Padberg bildet; außerdem plaudert DJ Hell über das Auflegen bei Modenschauen; Musiker wie Scott Matthew und die Band Bodi Bill posieren in Berliner Mode.
Daneben werden jede Menge Designer und ihre Stores vorgestellt, Journalistin Alexa von Heyden beklagt die Abwesenheit eines „Berliner Chics“, in einer Foto- + Interviewstrecke werden klamottentechnisch auffällige Berliner Herren porträtiert. Unterhaltsames Ding, das Modebuch Berlin.
zitty Modebuch Berlin 2011/2012. ISBN-13: 978-3922158370. Mehr zum Buch.
Christina Mohr