Geschrieben am 13. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Rick Moody: Bis ich nicht mehr wütend bin

Parforce-Ritt durch Amerikas (Alb-) Träume

Rick Moodys Sammelband bietet einen grandiosen, äußerst abwechslungsreichen Parforce-Ritt durch das amerikanische Leben in all seinen bunten und öden Facetten

Als Romancier ist Rick Moody ein Meister der Trostlosigkeit und durchmisst seine Sujets konsequent bis an die Grenzen des Erträglichen: So in „Ein amerikanisches Wochende“, wo er das erbarmungslose Porträt einer Mutter-Sohn-Beziehung zeichnet; und so auch in dem jetzt wieder neu aufgelegten Debut-Roman „Garden State“, in dem der 40jährige lakonisch vom ziellosen Leben einer jugendlichen Clique in einem tristen Vorort in New Jersey erzählt. In kurzen, rauen Sätzen evoziert er hier eine düstere Verzweiflung, in der viel dumpfe Wut und wenig Hoffnung gärt.

Von einer ganz anderen Seite können wir Rick Moody nun in der (Kurz-) Geschichtensammlung „Bis ich nicht mehr wütend bin“ kennen lernen. Hier überrascht er uns mit einer ungeahnten stilistischen Bandbreite, mit ausschweifender Fabulierlust, sprühender Intellektualität und einem exzellent ausgeprägten Sinn für das grotesk-komische.

Diesen stellt er sogleich exemplarisch in der ersten Story unter Beweis. In einem Brief an die – wie wir erst später erfahren – tödlich verunglückte Schwester erzählt der junge Andrew Wakefield von einer nicht gerade glücklichen Karriere: Just als verkleidetes Huhn der Imbisskette „Hot Bird“ gefeuert, bekommt David eine neue Chance bei der „Villa auf dem Hügel“, einem Heiratsinstitut der besonderen Art: „Unser Geschäft bestand darin, unter Einsatz sämtlicher erforderlicher Mittel Freude zu verbreiten.“ Süffisant, ja geradezu orgiastisch treibt Moody das – für uns so typische – amerikanische Streben nach zuckersüßem Glück und Kitsch auf die groteske Spitze und lässt doch zugleich eine tiefgründige Melancholie mitschwingen. Auf einem eben solchen Grat zwischen Lachen und Weinen erzählt er in „Doppelnull“ aus der Kinderperspektive vom furiosen Scheitern des amerikanischen Traums, der von der Kaninchen- über die Eiben- und Straussenzucht bis zu einer Kneipe in Pickleville führt, „wo es richtig billig war und wo es absolut nichts zu tun gab“.

Die Wechselwirkung von Zelluloid und Wirklichkeit beleuchtet Rick Moody lakonisch-distanziert in „Auf dem Kreisel“: Völlig unbeteiligt gerät hier eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter in einem Drive In bei Los Angeles in die Schießerei zweier verfeindeter Jugend-Gangs. Mit sublimer Hochspannung erleben wir den Ausbruch des Wahnsinns in der alltäglichen Normalität und die Abhängigkeit des Lebens von ganz kleinen Dingen und Zufällen.

Begrifflich völlig überdeterminiert durch Versatzstücke aus Psychoanalyse, Dekonstruktivismus, Gender Main Streaming und Esoterik führt Rick Moody in der „Unausweichlichkeit des Vaginalen“ ganz und gar karnevalistisch aus den Höhen des Geistes in die Tiefe des Körpers. Augenzwinkernd lässt er seine Protagonistin nach der verbliebenen Potenz des Denkens in unserer Zeit fragen: „wir waren der Kulminationspunkt einer Genealogie von Geistern, Marx, Freud, Derrida, Lacan, Nietzsche, Reich, Syphilitiker, Kokainsüchtige und Steuerhinterzieher, und ich fragte, wo in dieser Reihe Platz sei für das, was ich einmal mit dialektischer, rhizomatischer, interstitieller, trotziger Begeisterung geliebt hatte, die Möglichkeit, dass Denken Leben retten kann…“

Rick Moodys Sammelband bietet einen grandiosen, äußerst abwechslungsreichen Parforce-Ritt durch das amerikanische Leben in all seinen bunten und öden Facetten – da ist es verzeihlich, dass einige wenige Geschichten stilistisch und dramaturgisch durchfallen.

Karsten Herrmann

Rick Moody: Bis ich nicht mehr wütend bin. Stories. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl.Piper 2001 Gebunden. 330 Seiten. EUR 21,90. ISBN 3492043151