Geschrieben am 1. September 2016 von für Bücher, Litmag

Roman: Vincenzo Latronico: Die Verschwörung der Tauben

tauben_240x350Taube, Falke oder Geier?

Auch nach dem Abgang Berlusconis hat sich an den chaotischen italienischen Verhältnissen nichts geändert. Kann ein Romanautor dieser endogenen Misere irgendwie auf den Grund gehen und versuchen, die Probleme im größeren Kontext zu analysieren? Der Mailänder Autor, Philosoph und Übersetzer Vincenzo Latronico seziert mit analytischem Scharfblick den Konkurrenzkampf zweier Freunde im Umfeld des renditeträchtigen Immobilien-Booms und versucht, im Roman „Die Verschwörung der Tauben“ den fatalen Beziehungsfallen und ökonomischen Abhängigkeiten mit soziologischer Feinjustierung auf den Grund zu gehen. Von Peter Münder

Eigentlich hat Alfredo Cannella, Sohn eines betuchten Unternehmers, ja keinen Grund zur Klage: In Harvard wurde er zwar nicht angenommen, aber kurz darauf klappte es mit der Zulassung zum Studium an der renommierten Mailänder Wirtschafts-Uni Bocconi. Seine Noten sind exzellent, doch der Prof, der ihn protegierte, lässt ihn plötzlich fallen und setzt auf Alfredos albanischen Freund Donka Berati, für den er die Weichen als Assistent und eine spätere Karriere stellt. Alfredos Hoffnungen auf ein Stipendium und eine Promotion sind pulverisiert, der Vater beruft ihn in eine seiner Immobilienfirmen, in der Alfredo sich auch ganz erfolgreich bewähren kann. Trotzdem wird er von Selbstzweifeln zermürbt: Was hat sein Vater vor? Will er ihn fertig machen und zeigen, dass Alfredo nicht ohne väterliche Protektion bestehen kann? Hasst Alfredos Vater vielleicht nur die akademischen Ambitionen des Sohnes, die er für lächerlich hält? Und warum verhält sich Donka so merkwürdig, obwohl Alfredo ihn lange unterstützte ? Geht es hier um die Konfrontation zwischen aggressiven renditegierigen Falken, denen alle Regeln schnuppe sind und um sanfte Tauben, die sich im System anpassen und dabei pudelwohl fühlen?

Vincenzo Latronico, 32, ist nicht nur einer der faszinierendsten italienischen Autoren und Übersetzer (von Scott Fitzgerald, Hanif Kureishi und PG Wodehouse), er seziert als experimentierfreudiger Romancier auch Segmente, die bisher eher von Soziologen bevorzugt wurden: Nämlich die grotesken strukturellen Abhängigkeiten, die immer schon zu Korruption und Nepotismus führten. Latronico zeigt die seit Jahrzehnten eingespielten abartigen Mechanismen: All die Vergünstigungen und korrupten Machenschaften, die für die maroden Zustände des italienischen Uni-Betriebs verantwortlich sind, die man eher in einer Bananenrepublik vermutet hätte. Zensuren werden schon vor der Prüfung vergeben, Examensthemen unter der Hand vom Prof vorab an Günstlinge verteilt, Familienclans verteilen Wohnungen an Entscheidungsträger, die dann über die Uni-Zulassung bestimmen. Und Alfredo setzt – beflügelt von einigen Prisen Koks – voll auf die alles versilbernde Gentrifizierung; er pfeift auf frühere Studentenrevolten und Hausbesetzungen und macht aus einfachen Studentenbuden komfortable Apartments, die er schnell und mit hohen Profitmargen verscherbeln kann.

Latronico gräbt sich durch psychologische Tiefenschichten, um Verhaltensmuster zu analysieren: Will Alfredo mit seinen lukrativen Immobilien-Deals nur zeigen, wie abgekocht und „erwachsen“ er inzwischen geworden ist? Ist sein Freund Donka Berati nur ein skrupelloser Opportunist, der sich für keine Seite entscheiden kann?

Das im Titel evozierte Szenario der Tauben-Verschwörung ist übrigens ein Modell der Spieltheorie: Die eher schwachen Tauben können sich doch gemeinsam gegen dominante Falken durchsetzen.

Das ist dem Plot hier aber nicht einfach nur übergestülpt; die raffiniert eingefädelte Erzähltechnik verbindet lässig so disparate Genres wie Campus-Roman, Wirtschafts-Thriller und lokalpolitische Intrigen und Possen, die sich zudem vor dem Hintergrund eines albanischen Banken-Skandals entfalten. Exzesse der Disco-Szenerie beleuchtet Latronico ebenso wie die Lifestyle-Biotope jugendlicher Akademiker. Er liefert einen kritischen Einblick in ein System, das offenbar völlig reformunfähig ist , den revolutionären Furor früherer Epochen einfach ausgeblendet hat und nur noch paralysiert um sich selbst kreist. Der Fitzgerald-Übersetzer Latronico hat sich zudem streckenweise auch vom lethargischen „Tender is the Night“-Feeling, vom Schwanken zwischen Hedonismus und Defätismus dieser Lost Generation-Figuren inspirieren lassen. Ein großer Wurf!

Peter Münder

Vincenzo Latronico: Die Verschwörung der Tauben. Aus dem Italienischen von Claudia Ruschkowski. Secession Verlag Zürich 2016, 335 Seiten. 24 Euro. Verlagsinformationen.

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