Geschrieben am 10. Oktober 2012 von für Bücher, Litmag

Rosa Pock: Wir sind Idioten

Futschikato und andere vergebliche Liebesmühen

– Rosa Pock strichelt mit ihrer Sprache der Verdichtung ganze Lebensuniversen auf wenige Seiten Papier hin. So ist der jetzt beim Grazer Literaturverlag Droschl erschienene Prosaband „Wir sind Idioten“ auch ein hauchdünner im Umfang. Vollkommen ausreichend für eine Lektüre, die ebenso vertrackt wie unwiderstehlich ist. Von Senta Wagner

Für die in Wien lebende Schriftstellerin ist die Prosa wohl ihr Ding. Es sind bereits mehrere Bände, aber auch ein Roman bei Droschl veröffentlicht. Der vorliegende Band „Wir sind Idioten“ besteht aus den Prosahäppchen  „anton und antonia“ sowie „maria und paul“ und dem 58-seitigen Prosahappen „wir sind idioten“. Der Letzte ist eingeklemmt zwischen die beiden anderen Stücke, unbändiger als die anderen ist er, die so possierliche Titel haben.

Rosa Pock betreibt neunzig Seiten intensiver Sprachkunstarbeit, deren Prämisse zu lauten scheint: Du weißt, worum es geht, extrahiere das Wesentliche und drücke es mit wenigen, besonnenen Worten aus. Ihre Sprache kann das. Die Geschichten von „anton und antonia“ und „maria und paul“ lesen sich in der Erfüllung dieser Voraussetzungen wie ihre eigenen Inhaltsangaben. Passend dazu sind sie im Präsens geschrieben und verzichten weitestgehend auf die direkte Rede. Beide scheinen sich einen Ball zuzuwerfen in ihre entgegengesetzten Kontexte: Hier Landchronik, dort Stadtstory, hier Vergangenheit und Familie, dort Gegenwart und Vereinzelung, hier Transparenz, dort Geheimniskrämerei. Übergreifend geistert der Heilige Geist geradezu als fixe Idee durch die Texte. Dazu heißt es bei „maria und paul“: „… lass mich endlich auch mit deinem heiligen geist in ruhe, eine ehe zu dritt.“

 Anton und Antonia

„anton und antonia waren von gott, wie sie sagten, für einander bestimmt.“ In Windeseile wird das gemeinsame, gottesfürchtige Leben auf dem Land von Anton und Antonia durchmessen, also rund achtzig Jahre. Rosa Pock hat dafür stilsicher ein knappes Textgerüst entworfen, das diese Zeit abbildet, für das psychologische Offenlegen von Seelennöten ist natürlich kein Platz. Die künstlerische Herausforderung liegt in der Komprimierung des Stoffes, der eigentlich für einen Roman taugen würde. In den Textblöcken ist keine einzige Zäsur zu erkennen, kein Innehalten oder Zaudern – bis auf die halbseitenfreien Blätter. Konsequent schreibt Pock klein, auch verwendet sie kaum wertende, schmückende, beglückende Adjektive. Es kommt nicht auf die Gewichtungen an im Leben von Anton und Antonia, sondern auf die Fügungen. Die einen sind dabei eben von Gott begüterter, die anderen weniger. Was soll man machen, sagen sich die Eheleute: „der mensch hat nicht das recht zu verzweifeln.“

Was derart verdichtet ist, zugleich beredt erzählt von den Lebenslinien zweier Menschen, ihrer Kinder und Kindeskinder kann an dieser Stelle nicht noch enger gezurrt werden. Der Leser darf bei beiden Stücken von einem kurzen, aber außergewöhnlichen Leseerlebnis ausgehen.

Prosahappen

Lange arbeite sie an ihren Sätzen, bis sie stimmten, bis sie zufrieden sei, bekennt die Autorin (echt? siehe unten). Mit „wir sind idioten“ sind wir beim Prosahappen – dem monologischen Singsang eines inkonsistenten Ichs, das sich mitunter an ein geliebtes Du richtet oder im allumfassenden Wir aufgeht. Rosa Pock lässt hier im Gegensatz zu den beiden erzählerisch motivierten Stücken, die Sprachleinen los, freilich auf eine gezielte, poetische Weise. Sie generiert ihre ganz eigene Syntax, in diesem Fall sogar typische Sprache. Der Klappentext spricht vom „Rosa-Pock-Deutsch“. Der Standardaufbau von Sätzen wird hintertrieben, die Satzelemente, meist gegen alle Regeln der Grammatik, neu zusammengebaut, ohne Rücksicht auf Anakoluthe, Satzbrüche.

Ein beliebtes Pock-Verfahren ist dabei die nicht korrekte, „ausländische“ Inversion (Platztausch von Subjekt und Prädikat): „die tarotkarte des herrschers ich habe gezogen“; „woher nur es kommt das gute und böse“. Pock schreibt darüber hinaus elliptisch, rückt „sich“ und Infinitivgruppen an prominente Stellen im Satz und verstärkt Subjekte durch den Einsatz von Pronomen („das spiel zu dritt es wird auf dauer zu gefährlich“). Im Wortschatz fallen Begriffe wie becircen, frigidaire und futschikato. Dazu kommt der lässliche Umgang mit der Kommasetzung, was die Bildung unbändiger, siehe oben, Satzschlangen zur Folge hat. Der Rhythmus des Textes wiederum gewinnt an belebender Fahrt, die Lektüre geht ebenso ungebremst wie stockend und rätselnd über ihn hinweg. Rosa Pock fordert derart die Lesenden heraus, so muss für ein Verstehen oft genug der Satzkern gesucht werden. Das Subjekt ist sowieso eines, das sich aus seiner grammatikalischen Position windet, wo es geht, und frei flottiert. Ein Verheddern im Ganzen ist nicht auszuschließen. Dabei ist in der Stilistik das Changieren von Wortfolgen durchaus anerkannt. Neben dem Gebrauch von (umgedichteten) Redewendungen entzückt die Autorin mit ihren Stilfiguren: „ja, kein schöner zeit in dieser zeit“ (Chiasmus); „und wenn doch die liebe sie geht, nichts als schmerz er bleibt zurück“ (Antithese).

Zeitbefund, nicht rosig

Der Zeitbefund des Subjektbewusstseins auf erzählerischer Ebene ist von hoher Aktualität und lautet auf prekäre, wenig rosige Zeiten, die ausgeweiteten Kampfzonen heißen unter anderem Liebe und Unglück, Leben und Tod, Geld und Facebook. „hand in hand wir gehen durch brotlose zeit, doch du hast genug davon, wo nichts mehr zu holen, geplündert sie sind die konten, da wird kalt die liebe um diese jahreszeit.“ Am Rande böse-komische Alltagsüberforderungen: „… wie viel ich hätte zu tun sogar einen erlagschein von zehn stundenkilometern zu schnelle gefahren ich hätte zu tragen zur post zu bleiben anonym wie polizeianzeige.“ Ein nach Luft und um Sprache japsendes Ich, das in einer instabil gewordenen Welt, wo die Ereignisse kommen und gehen, selbst ins Schlingern geraten ist. Das spiegelt sich vorzüglich wider in diesem an einen Bewusstseinsstrom erinnernden Monolog („keine strategisch eingesetzte rhetorik ich benötige zu kontrollieren das, was aus mir spricht“) und diesem kreuz und quer schlingernden Rosa-Pock-Deutsch (Selbst noch bei der Lesung aus dem Buch halten die Worte nicht still, und Rosa Pock ordnet spontan neu.).

Es ist nach allem anzunehmen, dass der Titel des Buches hätte lauten müssen: „Idioten sind wir“. Die Gedanken zum herrlichen Buchcover bleiben geheim.

Senta Wagner

 Rosa Pock: Wir sind Idioten. Graz: Droschl Verlag 2012. 90 Seiten. 16,00 Euro.

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