Geschrieben am 1. April 2016 von für Bücher, Litmag, Non Fiction

Sachbuch: Helmut Newton: Pages from the Glossies. Facsimiles 1956-1988

VerspHelmut Newton Glossiesielter Provokateur hinter der Kamera

von Peter Münder

Der Fotograf Helmut Newton (1920-2004) wollte mit seinen Bildern den modischen Zeitgeist zwischen London, Paris und New York einfangen. Mit seinem Faible für entblößte High Heel-Amazonen und erotisch aufgeladene Posen verschaffte er sich den Ruf, mit seinen Fotos die Grenzen des guten Geschmacks ausloten zu wollen. Zu seiner ästhetischen Bilder-Inszenierung gehörte aber auch eine subtile Ironie, mit der er für verblüffende Effekte sorgte, wie der große, jetzt bei Taschen erschienene Bildband „Pages from the Glossies“ (Facsimiles 1956-1998) demonstriert.

Als Helmut Newton 1963 seine aktuelle Version eines verwickelten Mata Hari-Komplotts an der Berliner Mauer in der französischen Vogue als siebenseitige Fotostory („Une Mission Dangereuse“) veröffentlichte, entfachte er damit einen furiosen Tsunami im deutschen Blätterwald: Das Model Brigitte Schilling, das da in glänzenden High Heels auf einer Aussichtsplattform an der Mauer im todschicken schwarzen Rock steht und unter einem topfgroßen schneeweißem Hut mit dem Opernglas über die Mauer blickt, wurde als geschmacklose, dreiste Verunglimpfung teutonischer Walküren-Tragik empfunden – als hätte man auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges nicht schon genug zu leiden! Dabei wollte der aus Berlin stammende Newton nur für die Berliner Mode werben und mit einem Kontrast von belebender Mode und tristem Mauer-Ambiente einen möglichst drastischen Effekt evozieren, der sofort ins Auge fällt: wie er das mit seinen Fotos ja immer wollte. Die Story über die zeitgenössische Doppelagentin Mata Hari, die mit der Minox Dokumente ablichtet, im Gebüsch mit einem bombastischen Tele-Objektiv hantiert und im eleganten Kostüm Telex-Meldungen studiert, bevor sie im aparten Abendkleid auf der grünen Wiese von zwei Polizisten abgeführt wird, wurde von den deutschen Medien jedoch meistens als „Räuberpistole auf Hochglanz“ denunziert. Die ironische Distanz, aus der Newton das Thema Mauerbau und Spionage betrachtete, konnte wohl nur jemand aufbringen, der Jahrzehnte nach der Emigration (nämlich 1938) aus Berlin in Australien, Paris oder Monaco gelebt hatte.

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Als der 15jährige Helmut Newton seinem Vater offenbarte, Fotograf werden zu wollen, hatte der gutbetuchte, aber auch besorgte Berliner Knopffabrikant Böses geahnt und ihm prophezeit, in der Gosse zu enden: „Du hast nämlich nur Mädchen und Fotos im Kopf“. Das Ende in der Gosse blieb dem Foto-Künstler erspart, seine Fixierung auf Mädchen und Fotos hatte sich aber tatsächlich früh herausgebildet: Als Siebenjähriger hatte er sein Kindermädchen dabei beobachtet, wie es sich für ein Date umzog und halbnackt vor dem Spiegel stand. Und als Achtjähriger wurde er von seinem Bruder Hans ins Rotlichtviertel mitgenommen, wo er die leichten Mädels inspizieren sollte – vor allem die „Rote Erna“. Das waren entscheidende Initiations-Etappen auf dem Weg zum lebenslangen Leitmotiv schöner Nacktheit und modischer Extravaganz. Auch wenn er später neben seinen berühmten „Big Nudes“ prominente Politiker (Kohl, Schröder, Thatcher u.a. ) oder Künstler ablichtete.

Faszinierend, aber meistens völlig unterschätzt, waren Newtons phantasievolle Inszenierungen, die er als Foto-Stories präsentierte. So produzierte er 1963 eine frühe Kurzgeschichte von Ian Fleming für das Magazin „Adam“ – die französische Männer-Version der Vogue – als „Une Aventure de James Bond“, womit er „den kulturellen Horizont unserer Leser erweitern wollte“, wie Newton in seinem Kurz-Kommentar zur Entstehungsgeschichte erklärt. Ian Fleming selbst spielte M, June Newton und diverse australische Freunde aus London spielten als Darsteller in den Episoden auch mit. Der Plot bestand eigentlich nur aus rätselhaften Zugabteil- oder Straßen-Szenarios mit einer attraktiven Halbnackten oder mit James Bond beim Hantieren an der Hausbar sowie in lauernder Position nachts am pechschwarzen Bentley, drapiert mit Trenchcoat und schrillem Pepita-Hütchen: „Wir konnten uns bei diesem Magazin jede Verrücktheit leisten“, schwärmt Newton und bringt auf den Punkt, was ihn eigentlich umtreibt: „Meine Lieblingsszene war natürlich die in der Folterkammer. Welche auch sonst?“

newton_glossies_fo_int_open_0132_0133_05308_1510221658_id_1008172Der Tabubrecher mit der Kamera hatte im Kofferraum seiner Autos übrigens immer Handschellen und Ketten deponiert – für alle Fälle: „Natürlich nicht für mich, sondern für interessante Aufnahmen“, erklärte er. Der nostalgische Hauch einer fast prähistorischen Epoche umweht den Betrachter des großartigen Bildbandes: Print at it´s Best wird hier zelebriert – worauf Newton auch ausdrücklich hinweist. Die von Newton bevorzugten Magazine hatten damals auch noch einen anderen, anspruchsvolleren Stellenwert als heute.

Newtons vor einigen Jahren veröffentlichte Portfolio-Bände „White Women“, Sleepless Nights“, „Big Nudes“ und „World without Men“ verwiesen auf Themen und kreative Phasen, die das Genre Mode-Photographie enorm erweiterten und bewirkten, dass ein Kulturphilosoph wie Roland Barthes die Mode im Kontext der Massenkommunikation betrachtete und als Massenphänomen analysierte („Systeme de la mode“, 1976), das irgendwo zwischen dem Prestige des aristokratischen Modells und der Alltagstauglichkeit für die bürgerliche Konsumentin angesiedelt ist.

newton_glossies_fo_int_as001_05308_1602021614_id_1033210Der Provokationsfaktor der „Big Nudes“ war vor vierzig Jahren zwar enorm; er ist heute aber kaum noch nachvollziehbar, obwohl Newton zugab, dass seine selbstbewusst auftretenden nackten Models damals nur in Europa gezeigt werden konnten, weil man in Magazinen wie Vogue in den prüden, puritanischen USA nicht einmal entblößte Brustnippel zeigen durfte. Die von deutschen Feministinnen wie Alice Schwarzer 1993 geäußerten Vorwürfe, seine Fotos wären nicht nur sexistisch und rassistisch, sondern auch faschistoid, wies Newton entschieden zurück, sein deutscher Verlag Schirmer/ Mosel gewann auch einen Urheberrechts-Prozess gegen „Emma“.

newton_glossies_fo_int_open_0374_0375_05308_1510221659_id_1008199Newton war fasziniert von schönen Frauen – egal ob nackt oder drapiert – und die Models fanden seinen Einfallsreichtum und seine Sensibilität beeindruckend und wunderbar. „Es gab allerdings eine Frau, die mir richtig Angst einjagte“, erinnerte sich Newton 2001 anlässlich einer großen Werk-Retrospektive in London. „Ich musste ihr jahrelang hinterherlaufen, um sie überhaupt vor die Kamera zu bekommen und dann beschwerte sie sich auch prompt über das angeblich sehr ungünstig wirkende Porträt von ihr, dass ich dann in den USA anfertigen konnte – das war Margaret Thatcher“.

Peter Münder

Helmut Newton: Pages from the Glossies. Facsimiles 1956-1988. Edt. by June Newton and Walter Keller (Kommentare dreisprachig: Englisch, Deutsch, Französisch). Taschen Verlag Köln 2015. 544 Seiten. 39,99 Euro.

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