Geschrieben am 24. Juni 2015 von für Bücher, Litmag

Sandra Gugic: Astronauten

sandra gugic_AstronautenPlanlos durchs Weltall

– Der Roman „Astronauten“ von Sandra Gugic offenbart die Vakua unseres Seins – verstörend, beunruhigend und dennoch sehr poetisch. Von Andreas Pittler

Wir leben im Zeitalter des „Post“ (nicht „der Post“ wohlgemerkt): Postmoderne, Postavantgarde, Postdemokratie, alles ist irgendwie vorbei. Wer im Heute aufwächst, der hat keine Grenzen, aber auch keine Orientierungspunkte mehr. Praktisch nichts ist verboten, aber auch kaum etwas hat noch Wert. Mehr denn je sind wir alle ins Nichts unserer Existenz geschleudert und müssen uns in einer Gesellschaft zurecht finden, die alle ihre Werte über Bord geworfen hat und gerade deshalb wert-los geworden ist.

Das gilt auch für die Protagonisten in Sandra Gugics Roman „Astronauten“. Sechs Personen, das Gros davon mit dem sprichwörtlichen Migrationshintergrund, durchleben einen Sommer, in dem sich ihre Lebensbahnen immer wieder kreuzen und ineinander verweben. Alle eint die Suche – nicht unbedingt jene nach einem Sinn, aber zumindest nach Antworten, nach Alternativen, nach dem, was hinter der öden Fassade der Wirklichkeit warten könnte. Sie brechen gleichsam auf zu unbekannten Welten und sind gerade darum „Astronauten“.

Gugic schildert die Ereignisse aus der Sicht ihrer sechs Personen. Jede bekommt Gelegenheit, sich zu Wort zu melden, das Geschehen aus eigener Anschauung zu kommentieren. Und dabei zeigt sich, je tiefer wir mit Gugics „Helden“ ins All ihres Lebens vorstoßen, wie verstörend die Realität geworden ist. Ziel- und planlos treiben die Menschen dieses Romans durchs Universum, schweben schwere-, aber auch antriebslos durch Raum und Zeit und dringen dabei doch nicht in Galaxien vor, die niemand zuvor gesehen hätte. Drogen, Sex und Graffiti. Alles schon dagewesen, alles schon durchgekaut, „post“ eben. Dem Ensemble von Gugics Roman bleibt nur, vage auf eine Änderung zu hoffen. Das Landen auf einem fremden, einem neuen Planeten, auf dem ein neues Leben entstehen kann – auch für sie!

Mit ihrem Text erweist sich Gugic als gnadenlose Realistin. Das Leben kennt eben keine Stringenz, keinen geradlinigen Weg auf ein bestimmtes Ziel hin. Es ist ein ewiges Vor und Zurück, ein Zickzack, eine Achterbahnfahrt zwischen Hoffnung, Erwartung, Enttäuschung, eine Walstatt zahlloser Niederlagen und viel zu seltener Siege. Und wenn wir – wie Gugics Protagonisten – bar jeder Zuversicht sind, so ist es der Traum von der plötzlichen Änderung der Verhältnisse, der uns dennoch im Sein hält. Irgendwann, so das Klammern an die Möglichkeit des Unmöglichen, ist die dunkle Seite des Planeten durchwandert, der Mondschatten überwunden, die Funkstille durchbrochen. Es kommt nur darauf an, durchzuhalten – und sich den Sauerstoffvorrat klug einzuteilen. Und darauf gefasst zu sein, dass es da draußen irgendwo Aliens gibt. Aliens, in denen wir schließlich, horribile dictu, uns selbst erkennen müssen. Ja, beinahe ist man, wenn man die Lebensentwürfe der sechs Personen liest, versucht, Rimbaud umzukehren: ein Anderer, das bin ich. Denn bei allem, was Gugics Protagonisten hinsichtlich ihrer Herkunft, ihres Alters, ihres Geschlechts trennt, so eint sie doch vor allem eines: das große schwarze Nichts, das da draußen irgendwo auf uns alle wartet und sich „Leben“ nennt.

Liest man Gugics „Astronauten“, so ist man erstaunt von der Reife des Texts, denn immerhin wird der Roman vom Verlag als Debüt vermarktet. Das mag technisch gesehen stimmen. Doch Sandra Gugic, die laut eigenen Angaben drei Jahre lang an diesem Buch gearbeitet hat, ist ganz und gar kein Newcomer in der literarischen Welt. Sie irrlichtert schon lange durch die Wiener Literaturszene. Von Anfang an war sie dort eine starke Stimme, die von viel zu wenigen Menschen wahrgenommen wurde. Das wird sich jetzt ändern. Zu Recht.

Andreas Pittler

Sandra Gugic: Astronauten. C.H. Beck, München 2015. 199 Seiten. 18,95 Euro.

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