Geschrieben am 26. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Sven Lager: Phosphor

Meister der poetischen Wahrnehmung

„Mit den Ohren kann man mehr sehen als mit den Augen“ denkt sich Sven Lagers Ich-Erzähler und jagt den Leser von der ersten Seite an durch einen rasenden Kosmos aus Geräusch-Molekülen.

Er, dem das Rauschen einer Stadt „alle Geschichten der Welt erzählen kann“, bannt faszinierende „Landschaften aus Strom“, das „Zischeln der Autobahn“ oder die komplexe Klang-Architektur der Techno-Clubs auf das Papier: „ein unendlicher Ton über den harten Würfeln des Baß; schmatzender Sirup, Nadeln eines Breakbeatbogens tauchen auf, kichern, werden zu zitternden Blechscheiben, wütenden Regentropfen.

Sven Lagers Ich-Erzähler ist ein „sich selbst zappender Fernseher, eine ständig blinkende Signallampe, eine nervöse Hupe“ und streift mit seinem hybriden Freund Mikro durch das Berlin der Jahrtausendwende. Er lernt Fanny kennen und eine heftige Liebe flammt auf, die in einer orgiastischen WG-Session mit einem Schlemmen, Lieben, Musikhören und Kiffen bis zur summenden „Schwebefrequenz“ ihren Höhepunkt findet: „ich lege meinen Kopf in die Hände, leer. Und ich schaue mir die alte, leere Welt an, ich sehe den Tisch und einen Salzstreuer und leere Gläser mit einem roten Rest drin. Ohne Bewegung die Welt, angenehm.“

Die Stärke von Sven Lagers in einem Wechsel aus Erinnerungen, inneren Monologen und Dialogen geschriebenen Roman „Phosphor“ liegt eindeutig nicht in dem am langen Zügel schleifenden Plot. Seine Stärke sind vielmehr die tiefen Einblicke in die zerebralen „Flimmerkammern der Phosphorwelt“, in denen sich Sven Lager als ein Meister der poetischen Wahrnehmung erweist: „Jetzt rollt sie durch den Tabak, die knisternde Glut. Gedämpft, wie eine Herde Hirsche im Unterholz knickt es und knackt es und der Dampf taumelt in meinem Mund […] Die erste Zigarette am Morgen. Sie ist die Königsbiene.“ Mit fiebernder Hand zeichnet Sven Lager eine Unmenge von Sinneseindrücken auf, die nach und nach ein „nervöses, sinnloses Muster“ der rasenden Metropole Berlin ergeben. Er evoziert in neo-expressionistischen „Snap-Shots“, „Schnitten“ und „Loops“ die Zustände und feelings einer Techno- und Cyber-Generation, die sich in einer ständigen Wiederholungsschleife wähnt und deren Weltbild ein flirrendes Sample aus Film-, Literatur- und Musik-Zitaten ist.

Von Karsten Herrmann

Sven Lager: Phosphor. Taschenbuch – 235 Seiten – Kiepenheuer u. W., Köln Erscheinungsdatum: 2000 ISBN: 3462029061