Geschrieben am 31. Oktober 2012 von für Bücher, Litmag

Teju Cole: Open City

Feinsinniger Metropolenroman

– Mit „Open City“ hat der 1975 in den USA geborene, in Nigeria aufgewachsene und heute wieder in Brooklyn lebende Teju Cole einen bemerkenswerten Flaneurs- und New-York-Roman über das Eigene und das Fremde und die bis heute währende Geschichte von Verfolgung und Völkermord geschrieben. Von Karsten Herrmann

Teju Coles Protagonist ist der junge, farbige Psychiater Julius, der als Kontrapunkt zu seinen Arbeitstagen im Krankenhaus immer ausgedehntere Spaziergänge durch seine Heimatstadt unternimmt: „So drang New York City … im Schritttempo in mein Leben ein.“ Einsam im Gewimmel der Menschen genießt er wie die Flaneure zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts das Schlendern, Schreiten, Schauen und lässt sich in einer Mischung aus Freiheit und Ziellosigkeit treiben durch Geschichte und Geschichten.

Er liest die Stadt „wie ein Palimpsest […], beschrieben, ausradiert und erneut beschrieben“ – so wie am Ground Zero nach 9/11 oder auch wie der „Negro Burial Ground“, auf den Julius nahe der Wallstreet stößt: Ein Friedhof für fast 20.000 Sklaven, „die hier zu meinen Füßen zwischen 1690 und 1795 zur letzten Ruhe gebettet worden waren.“ Der Nachhall der Sklaverei, der Rassismus, die Migrationsbewegungen und der von Huntington beschriebene „Clash of Civilizations“ sind Kernthemen des Romans. Überall stößt Julius  auf Differenz und Heterogenität, auf die niemals abgeschlossene Geschichte von Gewalt und Auslöschung – um dann beim Besuch eines Mahler-Konzerts in der Carnegie Hall erstaunt zu sein, „wie einfach es ist, die Hybridität der City hinter sich zu lassen und ein ganz und gar weißes Umfeld zu betreten.“

Avanciert und nachdenklich

„Open City“ ist in militärischer Hinsicht eine Stadt, die jede Gegenwehr aufgegeben hat und dem Eindringling, dem Fremden die Türen öffnet. Und so lässt auch Julius den ihn bestürmenden Eindrücken und Wahrnehmungen ungefiltert Einlass, überlässt sich den durch sie ausgelösten Assoziationen, Gedanken und philosophischen Reflexionen. Sie werden eingebettet und eingewirkt in einen geistigen Nährboden, der gesättigt ist mit den intellektuellen Diskursen der Gegenwart, mit (klassischer) Musik, Malerei und Literatur.

Für Julius, der in Nigeria aufgewachsen ist und eine Deutsche als Mutter hat, ist das Flanieren durch die Stadt dabei auch immer ein Akt der Erinnerung, der Vergegenwärtigung und Verortung: „Ich wollte meinen Faden in diesem Netz der Geschichte finden.“ Doch immer wieder entgleitet ihm dieser Faden und sein eigenes Leben, seine Ziele und Visionen bleiben unbestimmt und ungewiss. Nicht nur als Psychiater muss er erkennen, dass die Psyche des Menschen und damit auch seine eigene letztlich undurchschaubar bleiben und von erschreckenden blinden Flecken verstellt werden.

„Open City“  ist ein avancierter und ebenso feinsinniger wie nachdenklicher Roman, der die divergierenden Kulturen der Weltmetropole New York tief inhaliert hat und dabei Gegenwart und Vergangenheit verschränkt.  Teju Cole, der wie fast die gesamte Generation junger amerikanischer Schriftsteller durch die Schule des Creative Writing gegangen ist, beeindruckt dabei durch eine Prosa von geradezu Proustscher Eleganz und Klarheit.

Karsten Herrmann

Teju Cole: Open City (Open City, 2011). Aus dem amerikanischen Englisch von Christine Richter-Nilsson. Berlin: Suhrkamp Verlag 2012. 334 Seiten. 22,95 Euro.

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