Engagierte Essays mit Esprit
Der in den USA geborene und in Nigeria aufgewachsene Teju Cole gehört seit seinem Debut „Open City“ und dem folgenden Roman „Jeder Tag gehört dem Dieb“ zu einem der international spannendsten Autoren. Er verkörpert dabei auch die vom Aussterben bedrohte Spezies des enzyklopädisch interessierten und politisch engagierten Intellektuellen, der insbesondere auch den Rassismus in all seinen offenen und sublimen Spielarten durchdekliniert.
Einen überzeugenden Eindruck davon gibt der Essayband „Vertraute Dinge fremde Dinge“, in dem Teju Cole über Literatur, Fotografie, Film, Kunst, Theater, das Unterwegsseins sowie aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen berichtet und reflektiert: „Im Schreiben konnte ich ergründen, was ich über die Dinge wusste, was zu wissen war und wo die Grenze des Wissens lagen.“
In seinem ersten Essay begibt er sich in den Schweizer Bergen auf die Spuren von James Baldwin, einem der bedeutendsten afroamerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Wie damals in den 1950er Jahren muss Cole auch heute noch feststellen: „Fremder sein heißt, Blicke auf sich zu ziehen, doch schwarz sein heißt, besondere Blicke auf sich zu ziehen.“ Das Bewusstsein der Differenz und der dahinter liegenden Geschichte zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch.
Kühl konstatierend führt Cole uns weißen Mittelschichtlern die Phänomene des Rassismus und einer „fein kalibrierten Farbdiskriminierung“ in ganz verschiedenen Ländern wie Brasilien, Israel und natürlich den USA selber vor Augen, wo man für die Polizei „zuallererst ein schwarzer Körper [ist] und erst dann ein junger Mann, der die Straße entlanggeht.“
Teju Cole ist aber auch ein Meister des Diskurses über die Weltliteratur – egal, ob er mit V.S. Naipul über den Dächern New Yorks über Ernest Hemingway und Joseph Conrad diskutiert oder in klassischen Rezension den Leser für Tomas Tranströmer und seine „rätselhafte[n] Gedichte, die am Rand des Unsagbaren schweben“, begeistert.
Teju Cole, der im Hauptberuf am Bard-College Fotografie lehrt und Fotografie-Kritiker des New York Times-Magazine ist, ist aber vor allen Dingen auch ein Mensch des Sehens. Ebenso plastisch wie enthusiastisch spürt er so den Zwischenräumen und Übergängen in den Collagen Wangechi Mutus nach oder rühmt Michael Haneke „als einen der besten Filmemacher unserer Zeit“.
Besonders intensiv setzt er sich auch mit der Frage auseinander, wie Fotografen heute die Schrecken von Krieg und Terror noch darstellen können, ohne dem Betrachter das Gefühl zu geben, alles schon einmal gesehen zu haben. Er plädiert hier für eine Fotografie der Andeutung und nicht der Eindeutigkeit, für die „visuelle Grammatik respektvoller Rätselhaftigkeit“.
So könnten beispielsweise Fotografien von Dingen oftmals viel „machtvoller als Gesichter an das erinnern, was war und nicht mehr ist.“ In Zeiten von grassierendem Selfie- und Snapshot-Wahn fragt Teju Cole schließlich auch, was „im Zeitalter metastasierender Reproduzierbarkeit“ aus der Kunst wird und stellt Kunst-Projekte vor, die sich aus dem unendlichen Fundus der Schnappschüsse bedienen und mit ihnen neue Kontexte schaffen.
Kunst-, Kultur- und Gesellschaftskritik gehen in den Essays von Teju Cole so immer Hand in Hand und in der Gesamtschau entsteht in diesem Buch ein faszinierenden und oszillierendes Beziehungs- und Bedeutungsgeflecht mit viel Esprit und intellektuellem Tiefgang.
Karsten Herrmann
Teju Cole: Vertraute Dinge fremde Dinge. Essays. Übersetzt von Uta Strätling. Hanser Berlin 2016. 418 Siten. 24,00 Euro.