Geschrieben am 2. Februar 2009 von für Bücher, Litmag

Thomas Meinecke: Jungfrau

Viel gelesen, viel gelabert

Wer sich in diesem für Meinecke so typischen Diskursgeflecht nicht erdrosseln lässt, der kommt zu Einsichten, die ihm sonst vielleicht für immer verschlossen geblieben wären. Von Tina Manske

Man weiß ja mittlerweile, dass man von Thomas Meinecke keine „Romane“ im herkömmlichen Sinn zu erwarten hat. Bücher wie „Tomboy“, „Hellblau“ und „Musik“ (der Hang zum Ein-Wort-Titel ist offensichtlich) sind vielmehr theoriegesättigte Abhandlungen zu pop-, gender- und sonstwaskulturellen Themen, um die eine rudimentäre Romanhandlung herumgestrickt wird. Mit seinem neuesten Buch treibt Meinecke es allerdings auf eine Spitze, auf die ihm nicht viele ohne enerviertes Gestöhne folgen werden.

Vordergründig geht es um den Studenten Lothar Lothar (Vorname auf der ersten, Nachname auf der letzten Silbe betont), der von den Theaterwissenschaften zur Katholischen Theologie gewechselt ist, sich frisch von seiner Freundin getrennt hat und der sich selbst das Gelöbnis zu sexueller Enthaltsamkeit abnimmt. Doch solch ein Gelöbnis wäre nicht viel wert, würde es nicht durch die Versuchung in Gefahr geraten. Die taucht für Lothar in Form der Musikerin Mary Lou auf – intelligent, charmant und von umwerfender (eben auch körperlicher) Präsenz ist sie so etwas wie seine Traumfrau. Er aber will den Versuch unternehmen, sich ihr nicht über den Körper, sondern über den Diskurs zu nähern.

Angestachelt wird er dabei noch durch seine Studien zur gemeinsamen Arbeit des Theologen Hans Urs von Balthasar und der Ärztin und Mystikerin Adrienne von Speyr, hinter deren Verhältnis er eine heimliche Liaison vermutet. Und so wird die eigensinnige Liebesgeschichte zwischen Lothar und Mary Lou unterfüttert von dem bei Meinecke schon berühmt-berüchtigten Zitatfeuer der Weltgeschichte. Es wird viel gelesen und gelabert in Jungfrau, und alles lässt sich mit allem verknüpfen – Hollywoods B-Film-Ikone Maria Montez und der sich auf sie beziehende Queer-Künstler Mario Montez, Heloisa und Abaelard, der Camp-Film Flaming Creatures, die Jazzpianisten Thelonious Monk und Mary Lou Williams etc. pp.

Das ist, zugegeben, keine leichte Lektüre. Das Schöne an den Büchern Meineckes aber ist, dass es keine Hierarchien gibt, nichts ist hier wichtiger als etwas anderes, nichts wird zugunsten eines anderen unter den Teppich gekehrt, alles gehört irgendwie zusammen. Wer sich in diesem Diskursgeflecht nicht erdrosseln lässt, der kommt zu Einsichten, die ihm sonst vielleicht für immer verschlossen geblieben wären. Und sei es nur wie schön es ist, von einem Paar zu lesen, das sich bei mehreren Flaschen Rotwein die Nacht mit Jazz-Platten um die Ohren haut, nicht um dazu zu tanzen, sondern um darüber zu reden. Schließlich empfing auch die berühmteste (angebliche) Jungfrau der Kirchengeschichte ihre Leibesfrucht übers Wort.

Tina Manske

Thomas Meinecke: Jungfrau. Roman. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2008. 346 Seiten, gebunden. ISBN: 978-3-518-42031-7. 19,80 Euro / 34,30 sFr.