Geschrieben am 1. November 2008 von für Bücher, Litmag

Ulrich Holbein: Weltverschönerung

Sprachspieler

– Ohne die Texte Holbeins wär die Welt um einiges unschöner.

Für einen Artikel in der »taz« hat man Ulrich Holbein vor einiger Zeit an seinem Schreibtisch aufgenommen. Zu sehen ist ein Mann mit mächtigem Bart, Catweazle tatsächlich nicht unähnlich, der zwischen Bücherstapeln und vollgestopften Bücherregalen unterschiedlicher Höhe sitzt und interessiert in die Kamera blickt, als forme sich in seinem Kopf gerade schon die nächste Geschichte. Tatsächlich hat dieser Mensch einen schier unglaublichen Output. Die Bücher, die um seinen Schreibtisch herumstehen und die nicht sowieso von ihm sind, benötigt er natürlich alle, um sie peu a peu in seine eigenen einzuweben. Schließlich gibt es soviel Wissen auf der Welt, nützliches wie unnützliches, all das möchte doch einmal einer genaueren Betrachtung unterzogen sein.

Isis entschleiert, Holbeins Roman aus dem Jahr 2000, besteht aus lauter Zitaten und nichts als Zitaten. Seine Kolumne „Sprachlupe“ in der »Zeit« war lange Jahre äußerst beliebt, ebenso wie seine „Standardsituationen“ in der »Süddeutschen«, sein Veröffentlichungsregister nennt unzählige Bände, er schreibt regelmäßig für »konkret« und ist studierter „freier Maler“. Wann lebt Holbein eigentlich einfach mal so vor sich hin wie es andere tun, trinkt ein indisches Lassi hier, einen spanischen Rotwein da? Wahrscheinlich nie. An anderer Stelle hat er gerade auf über tausend Seiten die Lebensläufe bekannter und überhaupt nicht bekannter Menschen aufgeschrieben (Narratorium, erschienen im Ammann Verlag).

„Werden auch Sie ein Genie!“

In seiner Weltverschönerung beschäftigt er sich nun damit, wie man insgesamt besser durch dieses Leben kommt. Literatur gehört natürlich dazu, aber auch erfolgreiche O­nanie („Tip Nr. 2: Ächze selten unter deinem Niveau!“), fahrfreie Sonntage, „zwei, drei Beweise, daß ich bald selig gesprochen werden müsste“, der richtige Umgang sowohl mit Affen als auch mit Arbeitern, nach Farben sortierte Bücher und verbesserte Objekte aller Art …

Eine Inhaltsangabe von Weltverschönerung, dieser Sammlung von essayistischen Texten aus 15 Jahren, Holbeins „vorläufigem Lebenswerk“, ist unmöglich. Er googelt und studiert sich daheim im Knüllwald durch die Welt und schreibt nonchalant alles auf, was ihm dabei unter die Finger gerät. Buchstäblich alles kann bei ihm auftauchen, und immer sind die Texte zwar ernst gemeint, aber auf hohem Witzniveau (im Sinne des englischen wit) verfasst. Ulrich Holbein spielt mit der deutschen Sprache, wie das nach Arno Schmidt kaum ein zweiter getan hat, und das niemals nur mit belletristischer Verve, sondern immer auch mit soziokultureller Note. Beispiel (aus „Werden auch Sie ein Genie!“): „Kreiere neue Genres! … Alle reden von Beutekunst, doch nirgendwo steht ein Beutekünstler auf. … Hiermit setz ich die Produkt-Idee des farbigen Stummfilms in die ungeniale Welt! … Sodann vermiß ich seit Jahrzehnten einen Film, zu dessen Herstellung man sich wie Robert Musil 12-30 Jahre Zeit nehmen müßte … Wann darf ich endlich einmal in einem Musiktheater sitzen, in dem ein großes Orchester im Orchestergraben schuftet, in dem aber null Worte gesungen werden, also die leidigen unentzifferbaren Heulbojen endlich einmal daheim bleiben dürfen, ohne daß ich auf große Oper verzichten muß?“, usw. usf. Ach, man kann es nicht anders sagen als ganz ungenialisch so: Ohne die Texte Holbeins wär die Welt um einiges unschöner.

Seit Heiligabend 2008, das verriet er der »Zeit«, ist er übrigens ganz zitatfrei. Na, mal sehen. Wir sind gespannt, was diesem verdammt begabten Kauz noch so alles einfällt.

Tina Manske

Ulrich Holbein: Weltverschönerung. Umwege zum Scheinglück – Ein Handbuch der lustvollen Lebensgestaltung. Haffmans Verlag bei Zweitausendeins 2008. 640 Seiten. 14,90Euro.