Hoch konzentrierte Prosa-Montagen
Ulrich Peltzer gilt seit seinem 1987 veröffentlichten Debut-Roman „Die Sünden der Faulheit“ als einer der vielversprechendsten und ambitioniertesten Autoren in der jungen deutschen Literaturszene. Doch auch nach zwei weiteren, von der Kritik gelobten Romanen und diversen Literaturpreisen ist er bis heute eher ein Geheimtipp geblieben – und das ist auch kein Wunder, denn der 1965 in Krefeld geborene und mit 18 Jahren nach Berlin übergesiedelte Autor serviert dem Leser kein leicht verdauliches Fast food mit künstlichen Geschmacksverstärkern, sondern kernige Kost, die gut gekaut und wohl verdaut sein will.
Dies bestätigt auch Peltzers Erzählung „Bryant Park“: In einer experimentellen Prosa-Montage zeigt er, was sich während eines ganz normalen Tages in einem Viertel Manhattans abspielt und wie dieser ein Leben umspannen kann: Im Bryant Park laufen die Vorbereitungen zu einem Open Air Kino und in der Public Library recherchiert der das „Ich“ offensichtlich scheuende Ich-Erzähler in alten Taufregistern und Pfarreichroniken. Hier schweifen die Gedanken ab, „im Kopf herumvagabundierendes Material, Fetzen von Bildern, Erinnerungen“ taucht auf, überlagert und verliert sich alsbald wieder: Ein Drogendeal in Italien, das Scheitern der Beziehung zu der Off-Theater-Künstlerin Sarah oder der langsame Verfall und Tod des Vaters in einem Krankenhaus – „als verrinne das Leben einfach zu einer großen Erschöpfung“.
Während des Hin- und Heimwegs und einer mittäglichen Pause driften und drängen die Reize der Stadt in die aus dem „inner space“ sprudelnden Erinnerungs-Sequenzen: Flimmernde und flackernde Werbebotschaften, Wortfetzen, Gespräche und minutiös wahrgenommene Szenen und Interieurs aus Bars, Restaurants und Parkanlagen. Fast unmerklich setzen sich die nomadisierenden Fragmente im Leser zu ersten Lebens- und Wahrnehmungsbildern und schließlich zu einem vielperspektivischen Film von überraschender Strahlkraft und Tiefe zusammen.
Dieser wird jäh durch den Anschlag des 11. September unterbrochen, der in die erinnerte Zeit platzt – so, „wie man beim Lesen eine Seite verschlägt“: In einer Endlosschleife flackern die Katastrophen-Bilder über die Mattscheibe des nach Deutschland zurückgekehrten Erzählers. Dem ungläubigen Staunen folgt der an toten Telefonleitungen gescheiterte Versuch, die zurückgebliebenen Freunde in Manhattan zu erreichen und dann das unabweisliche „Gefühl, es habe sich etwas ohne Vergleich ereignet.“
Ulrich Peltzer erkundet mit seiner avancierten literarischen Technik die Ursprünge des Bewusstseins. Faszinierend führt er vor Augen, wie sich aus den inneren und äußeren Wahrnehmungen, aus Splittern von Geschichten und Geschichte eine tastende und schwankende Biographie zusammen fügt. Seine Prosa ist dabei hoch konzentriert und scheint cool bis zur Unnahbarkeit – doch mit zunehmender Lesedauer öffnet sie sich und entfaltet ihr nachhaltiges Bouquet.
Karsten Herrmann
Ulrich Peltzer: Bryant Park. Ammann, 158 S., 19,90 Euro.