Geschrieben am 14. Dezember 2011 von für Bücher, Litmag

Wend Kässens: Das Große geschieht so schlicht

Überraschungen aus dem Dunkel

– Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock?, fragte einst François Truffaut den Meister des suspense. Daraus wurde ein Kultbuch. Film ist eben spektakulär, Cary Grant küsst Grace Kelly, dirigiert vom eifersüchtigen Magier… Gegen solch glamouröses Knistern wirkt der Schaffensprozess des Schriftstellers eher unterkomplex. Jeden Tag ein paar Stunden am PC, möglichst einsam, möglichst ungestört, mehr braucht es anscheinend nicht, damit der Leser am Ende das Buch zuklappt mit der bewundernden Frage: Wie zum Teufel hat er / sie das gemacht? Wend Kässens spürt dieser (und anderen) Fragen in lebendigen Gesprächen mit zehn deutschen Autorinnen und Autoren nach. Gisela Trahms hat sich dazugesetzt.

„Das Schreiben hat etwas sehr Geheimnisvolles, das dem, der schreibt, weitgehend entzogen bleibt“, antwortet Hanns-Josef Ortheil und fügt hinzu, dass das Geheimnis nicht mit dem Wirken des Unbewussten gleichzusetzen sei. „Die Wurzeln (der literarischen Produktion) sind dunkel, und dieses Dunkel treibt einen an.“ Das ist nicht als Mystifikation gemeint, sondern als nüchterne Wahrheit, und wer glaubt, mit ein paar Fragen dieses Dunkel erreichen und ausleuchten zu können, rennt gegen die Wand.

Wend Kässens weiß das natürlich, und glücklicherweise gibt es ja Themen genug, über die ein sensibler Leser wie er mit Schriftstellern sprechen kann. Zehn AutorInnen hat er besucht, hat sich Zeit genommen für sie und sie für ihn und taktvoll und mit Empathie aufzuspüren versucht, was den Einzelnen bewegt. Schon der Sprachgestus der Antworten demonstriert die Individualität der Befragten, in diesem Nebeneinander entfaltet sich das Vergnügen der Lektüre.

Feridon Zaimoglu scheint von einer Explosion zur nächsten zu leben, man schließt ihn gleich ins Herz. Brigitte Kronauer bevorzugt die differenzierte Analyse, Katja Lange-Müller stürmt dem Leser entgegen, Ingo Schulze wägt ab, findet aber auch deutliche Worte. Kässens stellt sich mit Geschick auf die Temperamente ein und gibt jedem Raum, sich zu öffnen. Man spürt das Klima gegenseitiger Sympathie, das Vertrauen.

Ausgerechnet

Dennoch handelt es sich nicht um Hofberichterstattung, sondern um lebendiges Sprechen, das erhellende Einsichten preisgibt: „Schreiben lernt man ja zuerst mit den Ohren“, sagt Katja Lange-Müller. „Du erinnerst dich nicht der Worte, sondern der Tonfälle.“  Auch Amüsantes wird zutage gefördert. Es erheitert, wenn Peter Kurzeck erst einmal jede Frage mit einem begeisterten Ja! beantwortet, dann aber etwas ganz anderes als das Erwartete erzählt. Von Wolf Wondratschek, der gern über seine Drogenerfahrungen spräche, aber dezent ausgebremst wird, hätte wohl niemand gedacht, dass er ausgerechnet Demut zum Fundament des Schriftstellerdaseins erklärt. War er nicht eine der wenigen attraktiven Erscheinungen in der Literaturszene der alten Bundesrepublik, ließ „Chucks Zimmer“ nicht auf alles Mögliche fern jeder Demut schließen? Weil er so schön formuliert, wohin Demut führt, hier ein Zitat: „Und wenn man Glück hat, dann kommt man an jene Schwelle – das ist das Interessante und das Risiko -, wo ich beschenkt werde durch etwas, das mein Talent übersteigt, wo ich nicht mehr Herr meiner Fähigkeiten oder auch meiner Sinne bin.“ Und woran lässt das dann doch denken… ?!

Kässens war viele Jahre Leiter der Literaturredaktion von NDR Kultur und damit Partner der Autoren. Er will nicht provozieren, schon der Titel des Buches signalisiert eine Gegenposition zur heute bevorzugten, auf Sensationelles zielenden Kommunikations- und Betrachtungsweise. Das nötigt Respekt ab, allerdings klingt das Stifter-Zitat auch biederer als nötig und trifft wohl nicht ganz die Welt, in der Clemens Meyer und Juli Zeh unterwegs sind, die jüngsten der hier Versammelten (und ob „Großes“ ihren PC verlässt, wird sich wohl auch noch erweisen müssen). Meyer lässt es mal wieder „ordentlich krachen“, wie er in einem anderen Interview formulierte, und gerade das erwartet man von ihm und Kässens ist erfahren genug, sich vor Zähmungsversuchen und pädagogischem Zeigefinger zu hüten.

„Unterwegs im Leben und Schreiben“ heißt der Untertitel und bezeichnet zugleich den roten Faden, der die Gespräche durchläuft. Angeordnet in alphabetischer Folge, wechselnd zwischen Männern und Frauen, Alten und Jungen, Ost und West, ergeben sie ein lebendiges Bild literarischen Schaffens.  Zu loben ist auch die leserfreundliche Gestaltung, der lockere Seitenspiegel beispielsweise. Eng gepresste Zeilen würden ein solches Buch schlicht töten. So aber hält man es gern in der Hand, freut sich an gelungenen Formulierungen und überraschenden Einsichten und merkt es sich vor als treffliches Geschenk für jeden, den nicht nur das Geschriebene interessiert, sondern auch die Schreibenden.

Gisela Trahms

Wend Kässens: Das Große geschieht so schlicht. Unterwegs im Leben und Schreiben. Hamburg: Corso Verlag 2011. 176 Seiten. 26,90 Euro. Mehr hier.

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