Das Schöne am Fisch ist, dass er neben manchem anderen auch eine Art Kalender für mich darstellt, die Art kleiner Blockkalender, die man früher in Apotheken geschenkt kriegte, mit Aphorismen, Sinnsprüchen und kleinen Rezepten auf den Rückseiten der Blätter. Was man sich merkte und daraus machte, hing von der eigenen Verfassung ab, nicht von den Intentionen der Autoren (die man, weil sie zumeist schon tot waren, ohnehin nicht danach hätte fragen können).
In diesem Sinne wohlverstanden nehme ich nun einige der Sätze, Verse, Versteile, die mir in letzter Zeit vom Hiesigen im Gedächtnis blieben, als eine Gelegenheit, die kostbarer ist als sie aussieht: darauf zu reagieren, heute, nach den Lektüren, allen möglichen Lektüren. Denn die hier schreiben, leben ja. Wir leben ja.
"Can we fight to save our souls?" Ja, Hendrik, der du diesen Song gepostet hast, das können wir. Könnten wir es nicht, wären wir alle verloren in einem Orbit der absoluten Sinn- und Bezugslosigkeit, da hülfe dann auch kein "Gott sei uns gnädig" mehr. Der Tag, an dem mir das zuletzt sonnenklar war, ist eine Weile her. Aber ich erinnere mich jetzt. Und dies geht jetzt nach draußen, an alle Adressen, die dessen bedürftig sein mögen: wer sich nicht erinnert, verliert sein Leben, und wer Sprache nicht auch als Erinnerungsort begreift, hat nichts begriffen.
"Das muss nichts bedeuten." Doch, denn alles bedeutet etwas, ob es einem dann passt oder nicht, doch manchmal muss man danach fragen, um zu erfahren, was. Es ist die Methode, mit der man sich in der Wirklichkeit zurechtfindet. Es ist die Methode, mit der "Sinn gemacht" wird. Es ist die Methode, gegen die keine Spinne ankommt, weil man damit gegen´s Spinnen ankommt. Ich werde jedenfalls wieder dazu übergehen, hiermit:
"also / habe ich angst vor / den kleinen spinnen denn / sie wollen gefressen werden": das verstehe ich nicht, Arne. Spinnen, die von mir was wollen, ereilt bisher immer noch dasselbe Schicksal, und soviel steht bei allem Ekel fest: mir macht das weniger aus als ihnen. Ich würde auch gegen Tarantula antreten, nicht aus Tapferkeit, sondern einfach, weil ja ihre Anwesenheit mich dazu zwänge. Also, Spinnen, egal welcher Größenordnung: trefft mich doch mal, stellvertretend für die, die euch vor lauter Grusel nicht anfassen können, um euch vor die Tür zu setzen, ich habe andere Phobien. Wer angreift, was mir wichtig und wertvoll ist, oder verrät und verletzt, die mir nahestehen, der lernt mich kennen, so einfach ist das. Ich könnte euch natürlich auch ein Gedicht schreiben, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Spinnen von Dichtung keinen Schimmer haben, sorry.
"und wie werden wir jetzt wach": ein schönes Gedicht, lieber Guido, für sich zu nehmen wie jeder Text hier, und doch unweigerlich in einen Zusammenhang gestellt, den dieses Textflusses, also sieh mir bitte nach, dass ich den anzitierten Vers zum Anlass nehme kundzutun: liebe Freunde, ich bin wach, voll und ganz wirklich. Und ihr? Wo seid ihr? Wie geht es euch? Was macht ihr so? Und gerade? Es wäre schön, das zu wissen. Wir sollten uns treffen. Im wirklichen Leben, zu dem auch der Goldene Fisch gehört.
14.08.2006 15:50:26
Ohne Titel
Was erkennt man wieder: Qualm,
Plünderungen, die verwüsteten Häuser
aus dem Fernsehen. Abrisse, Teilweises,
ja, das. Nur wenige Gesichter. Die Viertel
der Kindheit nicht. Umzüge. Am besten noch,
was, weil es unbeschadet blieb, erstaunt,
das halbe Dutzend Recken aus chinesischem
Porzellan, selten wie die Unschuld der Wörter,
und das ist schon so gut wie alles.
17.08.2006 13:29:25
Grabung (2)
Im Frühjahr 1985 machte der japanische Taucher Kihachiro Artake vor der Küste der Insel Okinawa im Pazifik eine aufregende Entdeckung. Artake war an jenem Tage nur 300 Meter von der Küste Yonaguni entfernt in rund 30 Metern Tiefe unterwegs, um interessante Plätze im Meer aufzuspüren, zu denen er die Touristen führen konnte. Blau schimmerndes Wasser, viele Fische und Korallen – alles, was der tauchende Tourist sich wünscht.
Doch plötzlich sah er sich etwas Seltsamem gegenüber: vor ihm erschien eine rätselhafte Struktur mit akkuraten Kanten und rechten Winkeln, Plattformen, Stiegen und seltsamen Terrassen. Ein scheinbar künstlicher Felsen von über 100 Metern Länge und 25 Metern Höhe schlummerte auf dem Meeresgrund.
In Japan zog die Entdeckung weite Kreise. Sollte man hier direkt vor der Haustür die Spuren einer uralten Zivilisation gefunden haben? Hatte man es hier mit einer Hinterlassenschaft zu tun, die ein unbekanntes Volk vor unzähligen Jahrtausenden schuf? Waren es gar die Reste des mythischen Kontinentes Mu, der laut Legenden einstmals im Pazifik versank - ein Atlantis des Stillen Ozeans?
(aus dem Artikel von Lars A. Fischinger: "Das japanische Atlantis")
28.08.2006 19:07:53
Wiederfund 2: "Unentbehrliche Hilfsmittel"
1. Geheime Notizbücher und lose Manuskriptseiten, die du zu deinem eigenen Vergnügen vollgekritzelt beziehungsweise wild vollgetippt hast.
2. Gib dich jedem Eindruck hin!
4. Sei in dein Leben verliebt!
6. Sei immer blödsinnig geistesabwesend!
7. Schlage so tief, wie du schlagen willst!
13. Beseitige literarische, grammatische und syntaktische Hindernisse!
17. Schreibe aus der Erinnerung und sei erstaunt über die Ergebnisse.
19. Finde dich mit Verlusten ab, und zwar für immer!
20. Glaube daran, dass die Konturen des Lebens heilig sind.
21. Es gilt, die Flut, die in deinem Inneren bereits unversehrt exisitiert, aufzuzeichnen.
23. Bleibe jedem Tag auf der Spur. Sein Datum schmücke deinen Morgen wie ein Wappenschild.
24. Empfinde weder Angst noch Scham, wenn es um die Würde deiner Erfahrungen, deiner Sprache und deines Wissens geht!
27. Sei des Lobes voll, wenn du in der frostig kalten, unmenschlichen Einsamkeit einen Charakter findest.
28. Komponiere wild, undiszipliniert, rein!
30. Autor und Regisseur irdischer Filme, vom Himmel finanziert und heiliggesprochen. Jack Kerouac, Evergreen Review, New York, 1959
(für mich)
07.09.2006 15:25:00
Knotenkunde
Und dann war da noch mein Vater, der sich mangels Sprachkenntnissen zwar nicht so leicht als Franzose ausgeben, bei meiner Französischvier in der fünften Klasse aber Zweifel an meiner Abstammung anmelden konnte: "Du bist nicht meine Tochter." Ich glaubte ihm ja damals einfach alles.
genau, Hans Test
14.09.2006 20:14:29
Kolk
Wie Drachen auf
und ab mit dem Luftstrom,
ihr Glänzen und Kreisen
einander doubelnde dunkle
Momente. Einer stößt oder fällt
hinab für eine Beere, Beute,
Laune, was weiß ich. Es ist
wahr, Raben klingen nüchtern -
bekannte Tonspur eines Films,
die sich vielleicht imitieren ließe,
das Echo aber
mit nichts zu vergleichen.
23.10.2006 18:47:17
Rubato (1)
Charlotte spürt, wie das Mittel zu wirken beginnt. Allmählich wird ihr wärmer. Jenseits der weißen Zeltbahnen schwebt die Pflegerin durch den Raum, ebenfalls weiß, nur durch die Umrisse ihrer bloßen Arme auszumachen.
So waren sie gewesen, der Vater, Martha und sie selbst, wie Geister, so wollten sie sein, lautlos und ohne eine Spur ihrer Anwesenheit. Sie bemühten sich zu verschwinden in den Häusern, in denen sie warten durften. Davon hat sie nichts gesagt.
Rund um das Zelt ballen sich die Schatten der Möbel hart und undurchsichtig zu einem Ding, einem großen schwarzen Schrank etwa, an den sie sich aus der ersten Wohnung ihrer Kindheit zu erinnern meint. Nach und nach rücken die Möbelstücke heran, die Schränke und Kommoden, in denen sie ablegte, was man ihr geschenkt hatte, alles, was als zu sperrig oder zu verräterisch liegen blieb auf dem Weg zurück in diese Stadt. Die Möbel sämtlicher Zimmer, in die sie unterwegs kamen, nehmen Aufstellung, Tisch türmt sich auf Tisch, Stuhl auf Stuhl, so dass man nirgends Platz nehmen und ausruhen kann und essen nur am Boden zwischen den Tischbeinen und sich später dort zusammenrollen, denn das oberste Bett ist der Zimmerdecke so nah, dass selbst, wenn man hinaufgelangen könnte, kein Raum bliebe, in dem man sich ausstrecken und atmen könnte. Das ist das Zimmer ihrer Fluchten, mit dem vollständigen Inventar der Verstecke, in denen sie zu verschwinden suchten, das Zimmer, aus dem sie immer noch aufzuwachen erwartet, so wie sie im Haus des Inspizienten, in Margaretes Zimmer, darauf warteten aufzuwachen: zuhause, in der guten Akustik belebter Räume.
Sie warteten ohne Unterlass, mit Schweiß und hämmerndem Puls wie bei jeder schweren Arbeit. Dass Arthur einen Weg fand, sie aus dem Zimmer heraus zu schaffen, darauf, zu verschwinden, und in Wunschträumen, an die sie sich genauer erinnerten als an den vorigen Tag, darauf, schon verschwunden zu sein und aufzuwachen, anderswo.
Es kamen Besucher ins Haus, die nichts von ihrer Anwesenheit wissen durften, irgendwelche Besucher. Es wäre nicht klug gewesen, die Besucher vor der Tür warten zu lassen, bis Martha und sie in Margaretes Zimmer verschwunden wären, also blieben sie auch zu den Mahlzeiten dort, die ihnen Margarete oder deren Mutter brachten, letztere immer mit ein paar freundlichen Worten, Margarete ernst, mit steifen, irgendwie feierlichen Bewegungen. Stillschweigend mutmaßten Martha und sie, das Mädchen leide unter dem Verlust seines Zimmers und beherrsche mit seinem Ernst einen kindlichen Groll, wussten aber nicht, wie sie sich entschuldigen sollten.
An manchen Abenden schlängelte sich die zischelnde Anstrengung von Stimmen, sich - oder einander - zu beherrschen, unter der Schwelle hindurch und mischte sich mit Marthas Anstrengung, sich zu konzentrieren. Die Knopfleiste ihres Nachthemds auf- und abwärts bespielend wie das Griffbrett des Cellos, übte sie unentwegt, als müsse sie das Stück schon am kommenden Tag fehlerfrei uraufführen. Einige Takte nur, die aber hätte noch nie jemand gehört, und gerade darum wäre es unverzeihlich, Fehler zu machen, die sich im Gedächtnis der Zuhörer festsetzen und das Stück ein für allemal verfälschen würden.
Martha übte also gründlich wie je, eher noch verbissener ohne das Cello. Dennoch erleichterten die Übungen das Warten, das sonst gänzlich tatenlos gewesen wäre, während der Schatten des Hauses, in dem sie warteten, immer größere Stücke von der gelben Mauer des Hauses gegenüber schnitt, bis dessen obere Etage schwerelos in der flimmernden Abendluft über der Straße hing.
(Stückwerk)
01.11.2006 14:44:43
Rubato (2)
Martha war dabei gewesen, als dem Vater die beiden Notenblätter übergeben wurden, Takte eines Finales, dem die Zeit fortlief, denn das sei es, was Alma gesagt habe, flüsterte Martha, um den Inspizienten, seine Familie, vor allem die Besucher, die möglicherweise im Haus waren, nicht zu stören.
Auch wenn sie, Charlotte, Marthas Bericht damals nicht vollends begriff, war klar, dass der Vater nun an diesen beiden Blättern wie an einem riesigen Möbelstück trug, das jeden Umzug erschwerte und alle Vorsicht erforderte. Darum hatte Martha sich die Takte eingeprägt und übte sie auf dem ausgedachten Griffbrett ihrer Nachthemdknöpfe, während sie beide, auf und ab gehend zwischen Margaretes Stuhl, Bett, Schreibtisch und Schrank, auf ihr Verschwinden warteten.
Als der Moment kam, am Tag nach dem Feuer, war er knapp bemessen. Sie dachten nicht daran. Sie gingen schweigend, schnell, nicht zu schnell, ohne den Vater und ohne die Instrumente, die sie hätten sichtbar machen können.
(...)
Immer wieder hatte die Schwester ihr die Musik beschrieben - von zusteigenden Mitreisenden unterbrochen und den Faden wieder aufnehmend, sobald sie allein im Abteil waren - mit den Nägeln der Rechten die Takte zwischen die Rillen des Leders geklopft auf ihrem Handkoffer, die Linke leicht erhoben für die Zeichen der Tonartwechsel, der Pausen, und während der Zug über die Gleise schaukelte, jederzeit aufhaltbar und Stunde für Stunde an einer Station haltend, welche die vorige zu sein schien, hatte sie nicht angefangen, es zu hören, aber sich etwas vorzustellen, Töne, die erst aus großem Abstand eine Harmonie bildeten, doch das, dachte sie, sich halb auf die andere Seite drehend, vorsichtig, um die Kanüle nicht aus ihrem Handrücken zu reißen, das konnte schon hinzu erinnert sein, unredlich tröstlich, etwas, das sich im erfinderischen Gedächtnis zusammenfand und kreiste wie eine Kette von Echos in einem leeren Raum.
Ob dem so oder ganz anders gewesen war, konnte ihr nicht einmal Martha mehr sagen. Nachdem die Durchlassscheine zurückgereicht, zusammengefaltet und in Marthas Handkoffer gelegt worden waren, nachdem das Licht auf dem Gang erloschen war, nachdem Martha, auf die scheinbar ewig gleiche Landschaft draußen blickend, gesagt hatte: ich hab´s verloren, nach alldem blieb nur ihr Bericht von der Übergabe der Blätter als beweisloses Zeugnis, dass dieses Stück Musik existiert hatte, und erst, als Martha auch diesen Verlust längst aus ihrem vom Alter gelöschten Gedächtnis verloren hatte, hätte sie die Schwester darüber trösten können mit einer kleinen, anekdotisch verkleideten Wahrheit: dass der Verlust der ihr anvertrauten Takte aussah wie ein Teil dieser Geschichte, das fugenlos darin aufging. Mahler selbst hatte ein Klavierquartett, das er gegen Ende seiner Zeit am Wiener Konservatorium komponiert hatte, verloren. „Ich schritt von Entwurf zu Entwurf und führte das meiste nur im Kopf aus“, soll er der Freundin Natalie erzählt haben. Da habe er jede Note gewusst, jederzeit hätte er es vorspielen können – bis er es eines Tages vergessen habe. Marthas Verlust kann kaum schwerer wiegen als dieser oder der anderer Stücke, der Argonauten, oder der Nordischen Symphonie, von denen nichts mehr übrig ist als das Wissen darum, dass es sie einmal gegeben hat.
Ein Antizipando soll Mahler die Zehnte genannt haben, eine Vorbereitung auf Zukünftiges, doch das, denkt Charlotte, ist noch ungewisser als der Rest der unvollständigen Überlieferung, ist vollends Stückwerk, Antizipando der Zukunft, in der es früher oder später nichts als die Wahrheit der jeweiligen Gegenwart geben wird, Splitter eines Ganzen, das es nicht mehr geben kann, erst recht nicht, wenn man die Unvollständigkeit der Überlieferung vergisst. Sich an die Unvollständigkeit zu erinnern, heißt zu wissen, wo das Erwiesene aufhört. In der nicht mehr fernen Zukunft jedoch, der Mahler sein Stückwerk hinterließ, wird immer weniger Unvollständigkeit im Gedächtnis von immer mehr Menschen übrig geblieben sein. Die Wahrheiten künftiger Gegenwarten werden sich darin gesammelt haben wie die Möbel ihrer erinnerten Zimmer. Wovon niemand mehr bezeugen kann, dass es verloren ging, wird endgültig ausgelöscht, wo eine Lücke vergessen wird, gibt es keinen Platz mehr für die Erinnerung an das, was zuvor an ihrer Stelle stand. Man wird, ahnt Charlotte, endlich an der Schwelle ihres medikamentös besänftigten Schlafs, man wird dieser ihrer Unvollständigkeit beraubten Geschichte begegnen wie etwas, das abgeschlossen ist, wie einem Finale.
(Stückwerk, 8. Zwischenkapitel)
07.11.2006 13:11:32
Fingerübung
27.11.2006 12:13:45
zu einem Gedicht von Marta Vent
09.12.2006 16:33:53
Paravent
16.12.2006 12:35:46
But sound of water over a rock
Where the hermit-thrush sings in the pine trees
Drip drop drip drop drop drop drop
T.S. Eliot
Herzlich willkommen, Katharina!
17.12.2006 15:13:57
The tiger does not kill but opens a path
Ted Hughes: Tiger-Psalm
30.12.2006 11:26:07
Steht ein Baum, schwarz,
Wo viele Bäume waren (...)
Wird es sein eine Eibe, gespalten,
Die langsame Wurzeln hinabsenkt
Michael Hamburger: Eibe
aus dem Englischen von Peter Waterhouse
14.01.2007 13:51:56
I have done it again.
Sylvia Plath: Lady Lazarus
19.01.2007 00:42:46
Dos rosas
la del negro jardín en la alta noche,
la de cualquier jardín y cualquier tarde,
la rosa que resurge de la tenue
ceniza por el arte de la alchimia
Jorge Luis Borges: La rosa
sangre o marfil o tenebrosa
como en sus manos, invisible rosa
Jorge Luis Borges: Una rosa y Milton
14.02.2007 08:18:28
Fast Nacht
Der Schlüssel fällt mir nach
dem Umzug in die Hände, nur
was er schloss, fehlt. Ein Monstrum,
unmöglich zu bewegen,
der Schrank, den ich zurückließ und
in dem ich´s rascheln höre manchmal.
Jedenfalls seit der Straße damals.
Der Wald, eben noch vermiedene
Offenbarung, hielt an, und ich tat nichts
als in die Lache zu glotzen, ungläubig.
Es geschieht alles später oder
woanders, dermaßen verrückt,
dass ein blindes Hineintasten genügt,
um die Augen zu finden, immer hell
wach in dem Schlaf, mit dem ich bezahle
den nie bestellten Abtransport. Den König,
andere werden ihn geholt haben,
kopfschüttelnd, sage ich mir, aber
ich bin es, die die Enden nimmt
aus ihrer aufgesperrten Stirn.
20.02.2007 15:44:33
Ke`kchose*
Manchmal fließt ein Gesicht in ein anderes
Pinselstriche sind Kürzel für das Leben
Sie bannen den Tod weil sie ihn üben
Joachim Sartorius: Antlitz
*schreibe ich jetzt immer so, Hans.
21.02.2007 20:46:02
I was thinking about electricity -
how at no point on a circuit
can power diminish or accumulate,
how you also need a lack of balance
for energy to be released. Trust it.
Lavinia Greenlaw: Electricity
25.02.2007 17:55:34
Gedichte, Ketten. Unter Wasser
Beim Lesen des siebten Memoriagedichts von Christine unterlief mir ein Fehler: statt "Andelgras" las ich Ancelgras. Das ist leicht zu erklären, denn ich lese seit längerem immer wieder und auch gerade dieser Tage noch einmal Jacques Derridas "Der unterbrochene Dialog: zwischen zwei Unendlichkeiten, das Gedicht", eine Festrede zu Ehren von Hans-Georg Gadamer, in der Derrida ein Gespräch mit dem verstorbenen Freund weiterführt, das von Gadamers Auseinandersetzung mit Paul Celans "Atemkristall" ausging.
Mein Lesefehler kommt mir vor wie Teil einer Kette von Gedanken, die sich für mich mit einer Art Trauerarbeit verbinden, von der ich in den letzten Monaten ein paar vorläufige Ergebnisse hier gepostet habe, sozusagen als Entwürfe von Entwürfen. An einer Stelle in der Heidelberger Rede Derridas bleibe ich jedesmal aufs Neue hängen, ich erinnere mich auch, Dir, liebe Christine, schon einmal davon erzählt und angekündigt zu haben, diesen Part hier als einen meiner "Trittsteine" zu teilen:
"Denn der Tod ist jedesmal, und jedesmal einzigartig, jedesmal unwiederbringlich, jedesmal unendlich, nicht weniger als das Ende der Welt. Nicht nur ein Ende unter anderen, das Ende einer Person oder eines Lebewesens. Der Tod bereitet nicht nur jemandem in der Welt ein Ende, auch nicht nur einer Welt unter anderen; vielmehr zeigt er jedesmal, der Rechenkunst zum Trotz, das absolute Ende jener einen und selben Welt, desjenigen, was ein jeder wie eine einzige und selbe Welt eröffnet; er zeigt das Ende der einzigartigen Welt, das Ende der Gesamtheit dessen, was der Ursprung der Welt für ein solches einzigartiges Lebewesen ist (...)
Der Überlebende bleibt also allein. Jenseits der Welt des anderen ist auch er auf gewisse Weise jenseits oder diesseits der Welt selbst."
Derridas Rede ist der Versuch, einen eigentlich unmöglichen Dialog zu führen, einen Dialog mit dem, was er an Liebe und Wissen zu seinem Freund in sich selbst trägt (und der so, dies als Nachtrag, als inneres Geschehen doch gelingen kann), und es ist kein Zufall, dass er das über den Weg, die Brücke, eines Gedichts unternimmt. Eines der schönsten Bilder zu diesem Vorgang, der vielleicht dem Wünschen verwandt ist, hat kürzlich Andreas Louis beigesteuert: unter Wasser mit dem Wasser sprechen.