Der Band wird eingeleitet
mit Aufnahmen aus Angola aus den Jahren 1974/75, als dort Bürgerkrieg
herrschte; dann folgen Fotos von Tabakplantagen aus Rhodesien, wie Simbabwe
1976 noch hieß, von mosambikanischen Flüchtlingen in Malawi (1994), von
einer religiösen Zeremonie, bei der mosambikanische Witwen die Geister ihrer
im Krieg gefallenen Männer exorzieren (1994), von der Lebensmittelverteilung
an ehemalige Soldaten der FRELIMO (1994) sowie von einer Frau mit ihren
Rücken an Rücken liegenden Drillingen, die sie gerade in einem Spital der
"Ärzte ohne Grenzen" zur Welt gebracht hat (1994).
Weiter finden sich Bilder
von Kriegsopfern in Angola, Flüchtlingskindern in Mosambik, den
nomadisierenden Himbas in Namibia, von Leoparden, Pelikanen, Zebras,
Gemsböcken und Landschaften. Es sind großartige, atemberaubende Aufnahmen,
die einem (zugegeben, ich spreche von mir) wieder einmal eindrücklich
bewusst machen, dass man mit einer Kamera anders sieht als mit bloßem Auge
und dass nicht alle die Welt mit einer Kamera vor dem Auge auf gleiche Art
und Weise sehen. Der Tages-Anzeiger kommentiert:
"Die Landschaftsbilder sind
ein Vorgeschmack auf Salgados neues Projekt 'Genesis',
in dem er die Natur- und Tierwelt Afrikas so ursprünglich wie möglich
zeigen will: Als wolle er demonstrieren, dass alles doch nicht gar so
schlimm ist. Vielleicht ist es auch eine Art Wellness-Übung des
Fotografen, der den Kopf auch voller schrecklicher Bilder haben muss.
Die Ernüchterung folgt sogleich, der Rest des Buches ist wieder
afrikanischen Schreckenszonen, den Hungergebieten von Niger 1973 über
Somalia und Äthiopien bis zum Sudan 2006, gewidmet."
Auf mich machten die
Aufnahmen von Flora
und Fauna nicht den Eindruck, als wolle Salgado
"demonstrieren, dass alles doch nicht gar so schlimm ist",
für mich
strahlten sie etwas eigenartig Unwirkliches, die Realität Transzendierendes,
ja Magisches aus – sie führten mir die Welt als Wunder vor Augen.
Auch die Bilder von
Menschen im Krieg, auf der Flucht oder bei der Arbeit wirkten auf mich
sonderbar irreal, wie nicht von dieser Welt. Es eignet ihnen manchmal etwas
Verlorenes und häufig Theatralisches an, ähnlich den Standaufnahmen beim Film,
obwohl ich deswegen nicht etwa den Eindruck hatte, die Bilder seien
gestellt. Diese Fotos, so kam es mir vor, waren ganz einfach mit einem
dramatisch geschulten Auge aufgenommen worden.
*
Zur Frage des
problematischen Afrikabildes und zur Kritik von drei Afrikanern:
In der Berliner Zeitung lassen sich der Fotograf Santu Mofokeng aus
Johannesburg, der Fotograf Akinbode Akinbiyi, der in Berlin lebt, sowie
Sylvester Ogbechie, der als Professor für Kunstgeschichte an der Universität
von Santa Barbara, Kalifornien lehrt, zu Salgados Buch vernehmen.
Ein Ausschnitt:
AKINBODE: … er
fotografiert die Menschen in dieser heroischen Riefenstahl'schen Ästhetik.
Und er fügt in diesem Buch neuere Bilder hinzu, die er "Genesis" nennt. Das
sind menschenleere, ja großartige Landschaften aus der Namibwüste von 2005.
Und Tiere!
SANTU: Das ist eben das
alte koloniale Projekt. Afrika wird auf Fauna und Flora reduziert. Und wir
sind die Fauna da drin. Wir sind der Zoo für die europäischen Betrachter.
Wir Eingeborenen kennen das gut und lange.
SYLVESTER: Hier, dieses
Foto eines Himba-Mädchens –
das ist ein total pornografisches Bild vom Leid. Dabei ist sie jung, gesund,
hinter ihr die herrliche Rinderherde, alles sehr idyllisch. Das ist eine
super Postkarte, verkauft sich bestimmt gut.
Dass
für einen Afrikaner Afrika anders aussieht als für einen Brasilianer, das
versteht sich, auch wenn einen der Nordosten Brasiliens gelegentlich
durchaus an Afrika gemahnen lässt. Doch wenn Akinbode sagt:
"Ich will nicht, dass unser Afrika vermarktet wird
als verrotteter Kontinent, der Hilfe von außen braucht. Es gibt viel mehr
Afrikas", fragt man sich unwillkürlich, was das mit Salgados Buch zu tun
hat, in dem doch ganz verschiedene Facetten dieses Kontinents gezeigt
werden.
Sie habe in dem Buch
gerade mal zwei Autos gezählt, sagt die Gesprächsleiterin Sabine Vogel.
Und führt aus: "Das eine
davon ist ein zerschossenes Wrack, neben dem Leichen liegen. Es gibt keine
Stadt, keine Urbanisation –
auch keine Slums –
keine Moderne in diesem Afrika-Buch. Die einzige Maschine ist die
Nähmaschine in einem Flüchtlingslager, und als wenige Requisiten der
Zivilisation gibt es nur ein paar alte Regenschirme."
Nun ja, wenn Frau Vogel und
ihre Diskutanten ein anderes Afrika-Buch haben wollen, bitte schön, sollen
sie selber eins machen, doch einem Fotografen vorzuhalten, was er nicht
gemacht, was er anders hätte machen sollen und welches Afrika überhaupt
abgebildet werden sollte, verkennt schlicht das Wesen der Fotografie, bei
der es nämlich darum geht, dass der Fotograf entscheidet, was er fotografieren und was er (und sein Verlag)
davon veröffentlichen will. Schließlich gibt es so viele Afrikas wie es
Menschen gibt. Akinbode meint: "Mein
Haupteinwand gegen dieses Buch besteht darin, wie der Fotograf Salgado den
Namen Afrika vereinnahmt hat. Der Titel impliziert, es wäre ein Buch über
Afrika. Aber für mich ist das ein sehr begrenzter Blick. Und total
altmodisch. Salgado zeigt nur ländliche Gebiete, Hunger, Elend, Krieg,
Flüchtlinge. Es ist eine sehr engstirnige Sicht auf Afrika. Man kann das
machen, aber man darf es nicht generalisierend 'Afrika' nennen, meinetwegen
'Elendes Afrika' oder 'Mein armes Afrika'". Da kann
man eigentlich nur innerlich aufstöhnen ob solcher
Pseudo-Differenziertheit. Glaubt der Mann ernsthaft, irgendjemand bedürfte solch
hanebüchener, politisch korrekter Belehrung?
Und überhaupt: Nicht nur
Fotos aufnehmen ist eine persönliche Sache, ist subjektiv und kann auch gar
nicht anders sein – das Betrachten von Fotos ist es ebenso. Mich zum
Beispiel interessiert das moderne Afrika nicht besonders, mich interessiert
auch das koloniale Afrika nicht besonders. Hingegen interessiert und
fasziniert mich das zeitlose Afrika, denn für mich sind das in erster Linie
Spannende, Einzigartige, Wunderbare, Bewegende an Afrika nun einmal Flora
und Fauna. Und diese (aber eben nicht nur diese) zeigt mir Salgado anders
und eindrücklicher, als ich sie bisher wahrgenommen habe.
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