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Bewußtsein und der Freie Wille

Beiträge zur philosophischen Diskussion des "Selbst"

Sommer 2002

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   Eine der tiefsitzendsten Intuitionen darüber, was es eigentlich bedeutet, eine Person oder ein "Ich" zu sein, besteht in dem Glauben, daß Menschen frei und unabhängig über ihr eigenes Leben bestimmen können – im Unterschied zu Tieren oder Robotern, die allein von äußeren und inneren Zwängen der Natur oder ihres Programmierers abhängig sind. Nur der Mensch besitzt die Freiheit, sich gelegentlich über diese Grenzen zu erheben, sich aus einer Reihe von Möglichkeiten bewußt für eine einzige Option zu entscheiden und dann entsprechende Handlungen zu setzen.

Eine solche Art der Selbstbestimmung und des freien Willens ist jedoch nur möglich, weil der Mensch – und nur er – über Bewußtsein verfügt. Genau hier taucht allerdings eine zentrale Frage auf. Denn was versteht man eigentlich darunter, ein Bewußtsein zu besitzen? Eines steht wohl fest: Bewußtsein – was immer das sein mag – hat seinen Sitz im Gehirn. Aber ist es auch vollständig auf dessen neurobiologische Basis, und somit auf eine materielle, das heißt, auf eine rein naturalistische Beschreibungsebene reduzierbar?

   Wenn man das Gehirn und das Bewußtsein betrachtet, hat man es offensichtlich – und auch das scheint wieder eine jener hartnäckigen Intuitionen zu sein – mit zwei verschiedenen "Welten" zu tun: Zum einen gibt es da eine Welt, die nur für mich als Subjekt existiert; ich nehme Dinge und Ereignisse wahr, habe Erlebnisse, Gefühle und Gedanken – was letztlich der Ebene des Mentalen oder Psychischen entspricht. Das bewußte Ich betrachtet die Realität somit aus der Innen- oder "Erste-Person"-Perspektive heraus. Im Gegensatz dazu wird vom Blickpunkt der "Dritten" Person aus versucht, das Augenmerk in erster Linie auf objektive physikalische und biologische Vorgänge zu richten, die in wissenschaftlicher Hinsicht nun genau dem entsprechen sollen, was wir ansonsten rein subjektiv als Gedanke oder Gefühl erleben.

Dieser Unterscheidung stehen zwei philosophische Positionen gegenüber: Einerseits gibt es hier die Dualisten, die die Welt des Mentalen von allen physikalisch-chemischen Vorgängen im Gehirn streng getrennt wissen wollen, während andererseits die Monisten die psychische und die physikalische Welt gleichsetzen. Zu letzterer Position gehören heute vor allem Physiker, Biologen und Gehirnforscher, die den menschlichen "Geist", die "Seele" oder eben auch das "Bewußtsein" naturgemäß auf das Gehirn reduzieren. Für einen Monisten ist unser grauer Denkapparat eine Art "Maschine", die vollständig im Rahmen der Naturwissenschaften beschrieben werden kann und in der alle Prozesse streng deterministisch ablaufen, das heißt: die Ursache für jedwede Handlung ist der jeweils vorhergehende Gesamtzustand des Gehirns, sodaß z.B. der elektrische Impuls einer Nervenzelle eine genau definierte Reaktion anderer Zellen verursacht, wobei deren Reaktion wieder neue physiologische Ereignisse produziert, usw. usf.

   Für einen Monisten, aber auch für einen Dualisten wird hier allerdings der oben angesprochene freie Wille zum Problem: Wenn alle Vorgänge im Gehirn determiniert sind, dann muß der Monist behaupten, daß es einen freien Willen – trotz unserer starken gegenteiligen Intuition – eigentlich gar nicht gibt. Wolf Singer, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Gehirnforschung, formuliert diese Position so:

"Das, was wir als freie Entscheidung erfahren, ist nichts als eine nachträgliche Begründung von Zustandsveränderungen, die ohnehin erfolgt wären."

Oder um es mit dem Bremer Gehirnforscher Gerhard Roth zu sagen:

"Die Entthronung des Menschen als freies denkendes Wesen – das ist der Endpunkt, den wir erreichen. ... Ich glaube, spätestens in zehn Jahren hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass es Freiheit etwa im Sinne einer subjektiven Schuldfähigkeit nicht gibt."

   Zum anderen befinden sich aber auch die Dualisten, die nach wie vor an die Freiheit des Menschen glauben, in einer relativ unglücklichen Position, weil hier die Willensfreiheit nur dann weiterhin aufrecht erhalten werden kann, wenn angenommen wird, daß das Bewußtsein etwas ist, was quasi von "außen" in die Kette der ansonsten kausal geschlossenen, empirischen Gehirnvorgänge eingreifen und sich also über seine eigenen, biologisch vorgegebenen Grenzen erheben muß, wenn es selbstbestimmte Handlungen vollziehen will. Der Mensch, betonen die Dualisten, ist mehr als nur ein von biologischen und physikalischen Mechanismen geteuertes Wesen, da er sich immer dann, wenn er bewußte Entscheidungen trifft, über sämtliche naturgesetzlichen Bestimmtheiten hinwegsetzen kann. Der bekannte Wiener Experimentalphysiker Anton Zeilinger formuliert es so:

"Die Molekularbiologen und Gentechniker analysieren die Funktion des Gehirns. Aber ob uns das viel näher bringt an das Verständnis über das Bewußtsein, ist eine offene Frage. Es ist offen, ob das Bewußtsein nur die Funktion unseres komplexen Bordcomputers ist. Es ist offen, ob Bewußtsein nur etwas materialistisch zu Verstehendes ist oder doch etwas mehr."

Jene Ansicht des Dualisten aber, daß Bewußtsein etwas sein muß, was "die Grenzen der physikalischen Beschreibung des Menschen" (Peter Kügler) überschreitet, ruft bei den meisten Monisten heftige Kritik hervor und erscheint ihnen als wissenschaftlich überholter Rückfall in die alte Trennung zwischen "Leib" (Gehirn) und "Seele" (Bewußtsein), inklusive aller daraus erwachsenden Probleme, wie etwa der Annahme eines "Vermittlungsorgans", ohne das beide Bereiche nicht miteinander in Verbindung treten könnten.

   Für einen Neurobiologen ergeben sich freilich solche Probleme nicht, denn in dieser Sicht sind Bewußtsein und Gehirn ein und dasselbe, eine zwar sehr komplexe, aber in rein materiellen Begriffen formulierbare Maschinerie – was wiederum Gerhard Roth zu folgender Überlegung führt:

"Unter der Voraussetzung, daß alle Vorgänge [im Gehirn] auf den bekannten Naturgesetzen beruhen, kann man es im Prinzip auch nachbauen."

Neurobiologisch gesehen ist der freie Wille eine bloße Illusion und der menschliche Geist – und somit auch unser "Ich" – eine informationsverarbeitende, biologische Maschine, die vielleicht schon in wenigen Jahrzehnten in einen künstlichen Datenspeicher übertragen oder ganz durch einen solchen ersetzt werden könnte. Das ist jedenfalls eine Vision von Hans Morawec, dem Direktor des Mobile Lab der Carnegie Mellon University, für den es nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis wir uns selbst als Roboter neu erschaffen und von da an zu unsterblichen Bewohnern einer postbiologischen Welt werden.

Franz Wagner


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