Eine
der tiefsitzendsten Intuitionen darüber, was es eigentlich bedeutet, eine
Person oder ein "Ich" zu sein, besteht in dem Glauben, daß Menschen frei und
unabhängig über ihr eigenes Leben bestimmen können – im Unterschied zu
Tieren oder Robotern, die allein von äußeren und inneren Zwängen der Natur
oder ihres Programmierers abhängig sind. Nur der Mensch besitzt die
Freiheit, sich gelegentlich über diese Grenzen zu erheben, sich aus einer
Reihe von Möglichkeiten bewußt für eine einzige Option zu entscheiden und
dann entsprechende Handlungen zu setzen.
Eine solche Art der
Selbstbestimmung und des freien Willens ist jedoch nur möglich,
weil der Mensch – und nur er – über Bewußtsein verfügt. Genau
hier taucht allerdings eine zentrale Frage auf. Denn was
versteht man eigentlich darunter, ein Bewußtsein zu besitzen?
Eines steht wohl fest: Bewußtsein – was immer das sein mag – hat
seinen Sitz im Gehirn. Aber ist es auch vollständig auf dessen
neurobiologische Basis, und somit auf eine materielle, das
heißt, auf eine rein naturalistische Beschreibungsebene
reduzierbar?
Wenn man das
Gehirn und das Bewußtsein betrachtet, hat man es offensichtlich
– und auch das scheint wieder eine jener hartnäckigen
Intuitionen zu sein – mit zwei verschiedenen "Welten" zu tun:
Zum einen gibt es da eine Welt, die nur für mich als Subjekt
existiert; ich nehme Dinge und Ereignisse wahr, habe Erlebnisse,
Gefühle und Gedanken – was letztlich der Ebene des Mentalen oder
Psychischen entspricht. Das bewußte Ich betrachtet die Realität
somit aus der Innen- oder "Erste-Person"-Perspektive heraus. Im
Gegensatz dazu wird vom Blickpunkt der "Dritten" Person aus
versucht, das Augenmerk in erster Linie auf objektive
physikalische und biologische Vorgänge zu richten, die in
wissenschaftlicher Hinsicht nun genau dem entsprechen sollen,
was wir ansonsten rein subjektiv als Gedanke oder Gefühl
erleben.
Dieser Unterscheidung stehen
zwei philosophische Positionen gegenüber: Einerseits gibt es
hier die Dualisten, die die Welt des Mentalen von allen
physikalisch-chemischen Vorgängen im Gehirn streng getrennt
wissen wollen, während andererseits die Monisten die psychische
und die physikalische Welt gleichsetzen. Zu letzterer Position
gehören heute vor allem Physiker, Biologen und Gehirnforscher,
die den menschlichen "Geist", die "Seele" oder eben auch das
"Bewußtsein" naturgemäß auf das Gehirn reduzieren. Für einen
Monisten ist unser grauer Denkapparat eine Art "Maschine", die
vollständig im Rahmen der Naturwissenschaften beschrieben werden
kann und in der alle Prozesse streng deterministisch ablaufen,
das heißt: die Ursache für jedwede Handlung ist der jeweils
vorhergehende Gesamtzustand des Gehirns, sodaß z.B. der
elektrische Impuls einer Nervenzelle eine genau definierte
Reaktion anderer Zellen verursacht, wobei deren Reaktion wieder
neue physiologische Ereignisse produziert, usw. usf.
Für einen
Monisten, aber auch für einen Dualisten wird hier allerdings der
oben angesprochene freie Wille zum Problem: Wenn alle Vorgänge
im Gehirn determiniert sind, dann muß der Monist behaupten, daß
es einen freien Willen – trotz unserer starken gegenteiligen
Intuition – eigentlich gar nicht gibt. Wolf Singer, der Direktor
des Max-Planck-Instituts für Gehirnforschung, formuliert diese
Position so:
"Das, was wir als freie
Entscheidung erfahren, ist nichts als eine nachträgliche
Begründung von Zustandsveränderungen, die ohnehin erfolgt
wären."
Oder um es mit dem Bremer
Gehirnforscher Gerhard Roth zu sagen:
"Die Entthronung des Menschen
als freies denkendes Wesen – das ist der Endpunkt, den wir
erreichen. ... Ich glaube, spätestens in zehn Jahren hat
sich die Einsicht durchgesetzt, dass es Freiheit etwa im
Sinne einer subjektiven Schuldfähigkeit nicht gibt."
Zum anderen
befinden sich aber auch die Dualisten, die nach wie vor an die
Freiheit des Menschen glauben, in einer relativ unglücklichen
Position, weil hier die Willensfreiheit nur dann weiterhin
aufrecht erhalten werden kann, wenn angenommen wird, daß das
Bewußtsein etwas ist, was quasi von "außen" in die Kette der
ansonsten kausal geschlossenen, empirischen Gehirnvorgänge
eingreifen und sich also über seine eigenen, biologisch
vorgegebenen Grenzen erheben muß, wenn es selbstbestimmte
Handlungen vollziehen will. Der Mensch, betonen die Dualisten,
ist mehr als nur ein von biologischen und physikalischen
Mechanismen geteuertes Wesen, da er sich immer dann, wenn er
bewußte Entscheidungen trifft, über sämtliche naturgesetzlichen
Bestimmtheiten hinwegsetzen kann. Der bekannte Wiener
Experimentalphysiker Anton Zeilinger formuliert es so:
"Die Molekularbiologen und
Gentechniker analysieren die Funktion des Gehirns. Aber ob
uns das viel näher bringt an das Verständnis über das
Bewußtsein, ist eine offene Frage. Es ist offen, ob das
Bewußtsein nur die Funktion unseres komplexen Bordcomputers
ist. Es ist offen, ob Bewußtsein nur etwas materialistisch
zu Verstehendes ist oder doch etwas mehr."
Jene
Ansicht des Dualisten
aber, daß Bewußtsein etwas sein muß, was "die Grenzen der
physikalischen Beschreibung des Menschen" (Peter
Kügler) überschreitet, ruft bei den meisten Monisten
heftige Kritik hervor und erscheint ihnen als wissenschaftlich
überholter Rückfall in die alte Trennung zwischen "Leib"
(Gehirn) und "Seele" (Bewußtsein), inklusive aller daraus
erwachsenden Probleme, wie etwa der Annahme eines
"Vermittlungsorgans", ohne das beide Bereiche nicht miteinander
in Verbindung treten könnten.
Für einen
Neurobiologen ergeben sich freilich solche Probleme nicht, denn
in dieser Sicht sind Bewußtsein und Gehirn ein und dasselbe,
eine zwar sehr komplexe, aber in rein materiellen Begriffen
formulierbare Maschinerie – was wiederum Gerhard Roth zu
folgender Überlegung führt:
"Unter der Voraussetzung, daß
alle Vorgänge [im Gehirn] auf den bekannten Naturgesetzen
beruhen, kann man es im Prinzip auch nachbauen."
Neurobiologisch gesehen ist der
freie Wille eine bloße Illusion und der menschliche Geist – und
somit auch unser "Ich" – eine informationsverarbeitende,
biologische Maschine, die vielleicht schon in wenigen
Jahrzehnten in einen künstlichen Datenspeicher übertragen oder
ganz durch einen solchen ersetzt werden könnte. Das ist
jedenfalls eine Vision von
Hans Morawec, dem Direktor des
Mobile Lab der Carnegie Mellon University, für den es nur noch
eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis wir uns selbst als
Roboter neu erschaffen und von da an zu unsterblichen Bewohnern
einer postbiologischen Welt werden.
Franz Wagner
Hier geht's zu den
Textbeiträgen!
... |