Wenn die Moldau in Texten
erwähnt wird, wandern die Gedanken der Leser zum UNESCO Weltkulturerbe,
zu den Klöstern der Moldau. Weniger bekannt, jedoch
von besonderer geschichtlicher Bedeutung für Rumänien, ist die
Kulturmetropole Iaşi. Die zweitgrößte Stadt
Rumäniens, geographisch nur 20 Kilometer westlich der Grenze zur Republik
Moldau und damit näher zu dessen Hauptstadt Kischinew gelegen als zu
Bukarest (der Hauptstadt Rumäniens), ist eine wichtige Kultur- und
Bildungsstadt.
Man könnte sagen, dass
Iaşi
ein "Nationalmuseum" ist, durch ihre
zahlreichen prachtvollen Gebäude, Zeugen ihrer reichen Geschichte und
Kunst. Auch ist sie die Stadt der ersten rumänischsprachigen Zeitung und der
ersten Theateraufführung in rumänischer Sprache sowie des ersten
Literatur-Gedenkhauses. Hier wurden das erste Nationaltheater Rumäniens und
die erste Universität gegründet.
Iaşi,
drei Jahrhunderte lang ehemalige Hauptstadt der Moldau und Regierungssitz
während des Ersten Weltkrieges, war Schauplatz vieler wichtiger Ereignisse.
Auf ihren Straßen schritten Fürsten und Wojewoden, wie Alexander der Gute,
Mihai der Tapfere, Alexander Lapusneanu, Stefan der Große und Heilige,
Vasile Lupu. Unter Letzterem erlebte die Stadt 1634-1653
eine intensive kulturelle Blüte.
Iaşi
war 1848 Zentrum der nationalen Bewegung, 1859 wurde die Vereinigung der
Moldau mit der Walachei durch die Wahl Alexander Ioan Cuzas in
Iaşi
zum Herrscher beider Landesteile vollzogen.
Es ist jedoch nicht nur
die Geschichte der Fürsten, die das Leben dieser Stadt geprägt haben.
Iaşi
war ein Zentrum des intellektuellen Lebens und beeinflusste dementsprechend
die rumänische Literatur. Somit findet der Besucher in der Stadt zahlreiche
Gedenkhäuser, Museen und Gebäude, in denen literarische Persönlichkeiten
wie Ion Creanga, Mihail Sadoveanu, Ionel Teodoreanu, Vasile Alecsandri,
Dimitrie Cantemir, Titu Maiorescu, Otilia Cazimir oder
Mihai Eminescu
gewohnt haben.
Mihai Eminescu war mit 25
Jahren Volksschulinspektor in
Iaşi,
wo er seinen besten Freund, Ion Creanga, kennenlernte. Mihai Eminescu war
auch Redakteur des "Iaşi
Kuriers" und Mitglied der literarischen Gesellschaft "Junimea",
was ihn zu einem der wichtigsten Persönlichkeiten des kulturellen Lebens
Iaşi
machte.
"Junimea", eine
Vereinigung von Intellektuellen, entstand 1863 in
Iaşi
und hatte einen bemerkenswerten Einfluss auf die rumänische Literatur. Zu
dem Zeitpunkt war die Modernisierung des Landes unter der Herrschaft von
Alexander Ioan Cuza voll im Gange. "Junimea" wandte sich gegen die bloße
Nachahmung westlich-europäischer Kultur- und Gesellschaftsformen, gegen die
"Formen ohne Inhalt" wie es Titu Maiorescu, ein bedeutender rumänischer
Kritiker, Gründer und Leiter der "Junimea", ausgedrückt hat. Zu
"Junimea" gehörten noch weitere Persönlichkeiten, wie
der Schriftsteller Ioan Slavici, der politisch kritische, satirische
Dramatiker Ion Luca Caragiale und Ion Creanga, Volksdichter, Autor vieler
Sagen und Märchen, Darsteller des bäuerlichen rumänischen Lebens. Zuerst als
Diakon in Kirchen und Klöstern
Iaşis
tätig, schrieb Creanga nach dem Beitritt zu "Junimea" seine bekannten
Märchen, die jede rumänische Kindergeneration in der Schule lernt, unter
anderem die rumänische Variante des "Wolfes und die
sieben Geißlein" ("Die Ziege und die drei Geißlein")
und "Erinnerungen aus der Kindheit".
Im
Ausland ist Mihai Eminescu bekannt als größter rumänischer Dichter. Wenige
wissen jedoch, dass zu Lebzeiten Eminescus ein anderer rumänischer Dichter,
Vasile Alecsandri, berühmt war. In einem Jugendgedicht, "Epigonii", feiert
Eminescu selbst den Dichter Alecsandri als "König der Poesie". Vasile
Alecsandri schrieb Theaterstücke, Gedichte und Balladen, war aber auch 1848
ein aktiver Politiker sowie Rumäniens Außenminister ab 1859 (nach der
Vereinigung unter Alexander Ioan Cuza).
Zu einer späteren
Generation gehörend, aber nichtsdestotrotz ein bedeutender rumänischer
Schriftsteller und bekannte Persönlichkeit
Iaşis
war Mihail Sadoveanu. Schon als Kind begeisterte er sich für Geschichte,
besonders für die Zeit der Herrschaft unter Stefan dem Großen, die er sehr
ausdrucksvoll in seinen Romanen darstellte. Präsident der Gesellschaft der
rumänischen Schriftsteller, Mitglied der rumänischen Akademie, war er auch
neun Jahre lang Direktor des Nationaltheaters in
Iaşi.
Die Bewohner der Stadt
vergleichen sich mit Rom, da
Iaşi ebenfalls
auf sieben Hügeln erbaut wurde. Auf dem höchsten Hügel liegt der bekannte
Copou Garten, eine der grünen Oasen der Stadt. Schon im achtzehnten
Jahrhundert gründete der fanariotische Herrscher Matei Ghica auf dem Copou
Hügel einen kleinen Erholungsplatz. Erst 1834 wurde am Copou ein allgemein
zugänglicher Park eröffnet. Literaturfreunde und Liebhaber suchen mitten im
Copou Garten Zuflucht unter Eminescus Linde, Pilgerstätte der Romantiker. Wo
sonst, als im Copou Garten, wurde 1989 (zum hundertjährigen Gedenkjahr des
Todes des großen rumänischen Dichters) das Museum Mihai Eminescu eröffnet.
Hier finden jährlich Buchausstellungen und -veröffentlichungen, literarische
Wettbewerbe usw. statt.
Der botanische Garten der
Stadt ist mit über 100 Hektar der größte Rumäniens und einer der größten
Europas. Aufgeteilt in zwölf Bereiche, enthält z. B.
der Abschnitt der Rosen 800 Arten der
edlen Gewächse.
Auf fast jedem der anderen
Hügel ist je ein sehenswertes Kloster. Das monumentale "Golia" Kloster,
errichtet im sechzehnten Jahrhundert, das "Cetatuia" Kloster, dessen Bau
1672 beendet wurde, das "Galata" Kloster und das "Frumoasa" Kloster. Die
besondere Schönheit des "Golia" Klosters wurde am treffendsten von Zar Peter
dem Großen während seines Besuchs
1711 in Iaşi
beschrieben: "eine Mischung aus polnischer, griechischer und russischer
Architektur". Umgeben von einer hohen Mauer, ist sein 30m hoher Turm,
mit wunderschönem Blick über die Stadt der sieben Hügel, eines der Symbole
Iaşis.
Die ruhmreichste Kirche der
Stadt befindet sich jedoch nicht auf einem Hügel, sondern mitten im Zentrum.
Die "Heilige Drei Hierarchen" Kirche (Biserica Trei Ierarhi), gestiftet 1638
vom moldauischen Fürsten Vasile Lupu (der auch das "Golia" Kloster umbauen
ließ), weist eine einmalige Architektur auf: In Stein entfalten sich
meisterhaft gemeißelte türkische, arabische, georgische, armenische und
persische Elemente, verflochten mit spezifisch rumänischen Motiven. Man kann
über 30 unterschiedliche Ornamente zählen, die einst mit dünner Goldfolie
bedeckt waren. Im Kloster befinden sich die Gräber großer rumänischer
Persönlichkeiten, des Stifters Vasile Lupu, Dimitrie Cantemirs (Fürst der
Moldau, Wissenschaftler und 1714 korrespondierendes Mitglied der Preußischen
Akademie) und Alexander Ioan Cuzas.
Weiter oberhalb wurde die
monumentale Metropolitenkathedrale der Moldau und Bukowina (Catedrala
Mitropoliei Moldovei si Bucovinei) errichtet. Die ursprünglichen Arbeiten
wurden 1833-1839 von den Wiener Architekten Freywald und Bucher
durchgeführt, jedoch wurde der Bau
erst 1887
vollendet. Dessen architektonischer Stil
erinnert an die italienische Renaissance. Seit 1889
enthält die Kathedrale die Gebeine der Heiligen Paraschiva, Beschützerin der
Moldau. Zu bemerken sind die schönen Ikonen, die besonders fein bemalten
Kirchenfenster und die vom bekannten rumänischen Maler, Gheorghe Tattarescu,
gestaltete Innenmalerei.
Die Stadt bietet weitere
sehenswerte Kirchen: Die Kirche "Heiliger Fürstlicher Nikolaus" (Biserica
Sfantul Nicolae Domnesc) –
1491-1492 gestiftet von Stefan dem Großen
–
ist der älteste kirchliche Bau in
Iaşi.
Ihr Name leitet sich von der unmittelbaren Nähe des ehemaligen Fürstenhofes
ab, aber auch davon, dass fast alle Fürsten der Moldau hier gesalbt wurden.
Der harmonische Bau beeindruckt durch die Außenfresken, 282 Gesichter, die
in Nischen gemalt sind, sowie durch die kunstvollen Innenfresken. Die 1844
errichtete Kirche "Barboi" erinnert durch ihre Dimensionen und Form an
ähnliche Kirchen des Athos Berges.
Iaşi
beeindruckt jedoch nicht nur durch große grüne Flächen und zahlreiche
Klöster und Kirchen. Der Weg zu anderen prachtvollen Gebäuden führt vom
Copou Hügel zum Zentrum hinunter am Hauptboulevard "Stefan der Große und
Heilige". Der zentrale Besichtigungspunkt, an einem Ende des Boulevards, ist
der gewaltige neogotische Bau des Kulturpalastes. Das Gebäude wurde
1906-1928 auf den Fundamenten des ehemaligen Fürstenhofes errichtet und
birgt heute vier Museen: das Geschichtsmuseum, das ethnographische Museum,
das Kunstmuseum und das Museum für Wissenschaft und Technik. Fast 300
Räumlichkeiten und 36.000 Quadratmeter bieten unter
anderem einen Reichtum an Gemälden, Informationen der modernen Technik sowie
archäologische, numismatische und keramische Zeugen der moldauischen Kultur
aus dem Altertum, die ihren Ursprung im benachbarten Dorf Cucuteni hat.
Der bekannteste Saal des
Palastes ist der Fürstensaal (Wojewodensaal) im ersten Stock. Wie der Name
schon verrät, spaziert der Besucher durch eine Galerie von Medaillonporträts
der Wojewoden der Moldau und der Könige Rumäniens aus der
Hohenzollern-Dynastie. Ein weiterer Schwerpunkt des Kulturpalastes ist die
mit einem Glockenspiel versehene Uhr im Hauptturm. Ihr Mechanismus setzt
acht Glocken in Bewegung, die zu jeder vollen Stunde Teile der
"Hora Unirii" (1859 Vereinigungshymne) wiedergeben.
Vor dem gigantischen
Kulturpalast befindet sich die Statue Stefans des Großen zu Pferd, der durch
seinen erfolgreichen Widerstand gegen die Türken im fünfzehnten Jahrhundert
zu den moldawischen Nationalhelden zählt.
Das neue Rathaus im Herzen
der Stadt befindet sich im ehemaligen Roznoveanu Palast, benannt nach der
einflussreichsten Familie der moldawischen Politik. Zeitweise Sitz der
königlichen Familie, war es während des ersten Weltkrieges Sitz der
Ministerien. Das neoklassizistische Gebäude wurde nach den Plänen des Wiener
Architekten Freywald gebaut.
Das Gebäude des
Nationaltheaters, benannt nach dem großen rumänischen
Dichter "Vasile Alecsandri", dessen Statue sich auch davor befindet,
beherbergt heute auch die Staatsoper. Errichtet 1896 auf dem Platz des alten
Rathauses nach Plänen der Wiener Architekten Fellner und Helmer (Schöpfer
ähnlicher Bauten in Wien, Prag, Odessa und Zürich), gilt es als schönstes
Gebäude Rumäniens. Es ist ein Architekturjuwel und beherbergt wahre
Kunstwerke: der Vorhang (mit der Allegorie der drei Lebensabschnitte und der
Vereinigung Moldaus, Transsilvaniens und der Walachei) und die in
Pastellfarben gemalte Decke (mit Allegorien aus dem Paradies).
Für Literaturliebhaber
sind die zahlreichen Häuser und Museen, in denen die literarischen
Größen Rumäniens gelebt haben, ein Muss. Im
"Dosoftei" Haus befinden sich zahlreiche Originale der alten rumänischen
Literatur u.a. Grigore Ureches und Miron Costins Chroniken der Moldau
("Letopisetul"). Das "Vasile Pogor" Haus war viele Jahre Sitz der
"Junimea"-Gesellschaft und Treffpunkt der Mitglieder. Benannt nach seinem
Besitzer, Mitglied der "Junimea" Gesellschaft, beherbergen die 12 Räume
heute ein Museum. Weitere sehenswerte Gedenkhäuser sind: das "Mihail
Sadoveanu"-Haus, das "Mihail Codreanu"-Haus (auch "Vila Sonet" genannt, da
der Dichter viele Sonette geschrieben hat), das "Otilia Cazimir"-Haus
(Autorin entzückender Kinderliteratur), das "Gheorghe Toparceanu"-Haus
(gefühlvoller rumänischer Dichter), das "Mihail Kogalniceanu"-Haus
(wichtiger rumänischer Politiker und Historiker) und das "Gheorghe
Asachi"-Haus (Gründer der Schule in rumänischer Sprache und Herausgeber der
ersten Zeitung in rumänischer Sprache).
Die Hauptattraktion dieser
Häuser ist die "Bojdeuca" (bedeutet kleines, armseliges Haus), Symbol der
Freundschaft zwischen dem Dichter Mihai Eminescu und Ion Creanga, der hier
die letzten 15 Jahre seines Lebens verbrachte. Seit 1918 ist das Haus ein
Museum und die erste Gedenkstätte des Landes.
Iaşi
war früher die Universitätsstadt Rumäniens, da hier die ältesten
Universitäten gegründet wurden und die besten Professoren unterrichteten.
Die Universität "Alexander Ioan Cuza",
1860 gegründet, ist Rumäniens älteste Hochschule. Das Gebäude ist bekannt
durch seinen Eingang aus Marmor, auch "Saal der verlorenen Schritte"
genannt. Zahlreiche rumänische Persönlichkeiten haben auf dieser Universität
studiert. Heute umfasst sie 15 Fakultäten und 900 Professoren, 9 Gebäude und
11 Bibliotheken. Sie ist als eine moderne und internationale Institution
anerkannt und pflegt Kontakte mit mehreren
Universitäten in Deutschland, Frankreich, Holland, Griechenland und
den USA. Vor dem Gebäude befinden sich die Statuen
des Historikers A.D. Xenopol und Diplomaten M.
Kogalniceanu. Iaşi
verfügt über vier weitere renommierte Universitäten: Medizin (gegründet
1879), die erste Technische Universität Rumäniens "Gheorghe
Asachi" (gegründet 1813), Landwirtschafts- und Tierkunde sowie Kunst
"George Enescu" (gegründet 1860).
Aber die beste
Universität, der beste Bildungsplatz, der so viele Seelen und
Persönlichkeiten geformt hat, ist
Iaşi
selbst, mit seiner gesamten Atmosphäre und Tradition, mit seiner Schönheit.
Heute ist Iaşi
Ort der fünf großen Universitäten, Sitz bedeutender Firmen, eines
internationalen Flughafens, Ausgangspunkt zum berühmten moldawischen
Weingebiet Cotnari. Diese Stadt mit großer historischer Vergangenheit
besitzt heute viel wirtschaftliches Potential, womit sie – bedingt durch
ihre geographische Lage – eine Brücke schlagen könnte zwischen der
Europäischen Union und der Republik Moldau und damit weiter nach Asien. |