Nimmt man Sciencefiction
beim Wort, dann ist es überraschend, wie sehr die meisten
Texte dieses Genres von der Zukunft reden, denn eigentlich geböte der
Name nur eine Fiktion, die der Wissenschaft ihr
Narrativ gibt. Ihr Narrativ, das heißt, daß diese selbst (oder
die von ihr gezeitigte Technik) durch dieses erzählt
oder visualisiert wird. Im Idealfall zeigt
der Plot Folgen einer realen, zukünftigen oder imaginären Technologie an,
die wiederum die Art des Erzählens beeinflußt.
Also Technikkritik, die sich als Medienkritik aktualisiert, wobei
Kritik natürlich ihrem eigentlichen Sinne gemäß
Differenzierung meint.
Sciencefiction wäre also
etwa Dürrenmatts Stück Die Physiker. Darin wird das Scheitern
der Verantwortung, die für eine gewisse Technologie zu übernehmen
wäre, aber nicht übernommen werden kann,
geschildert – und diese Unangemessenheit spiegelt elegant die Wahl der
Komödie, worin nicht nur der Konflikt an dem Punkt
"zu Ende gedacht"(1)
ist, wo seine Fabel "ihre
schlimmstmögliche Wendung genommen hat"(2),
sondern eben ein Echo der Hilflosigkeit der
Protagonisten in der Form hallt. Was damit gemeint ist, zeigt sich
überdeutlich, wo das Problem mittelmäßig gelöst ist, so bei Konsaliks
Agenten kennen kein Pardon, einem Roman,
der kurz gesagt ungefähr so schlecht wie der Titel ist, der aber hier
dialektisch die Qualitäten zeigen soll, die ihm fehlen. Hier nämlich
wird die zweite Spiegelung sowieso nicht
unternommen, aber auch schon die erste Frage kaum entwickelt:
jene der Bedeutung der Technik, hier wiederum: der Waffentechnik.
Was
es heiße, wenn der Mensch einen bestimmten Grad an Macht erlangt, wenn er
also sagt: "Es gibt
keine Grenzen mehr, […] der Mensch ist Gott geworden."
(3) Um diese Frage strickt Konsalik einen
Plot, worin heroisch eben dieser Konflikt ausgetragen wird,
Prometheus sich – ungeahnte Möglichkeiten entdeckend – als Epimetheus
erkennen muß, der nun nicht mehr hinter das Wissen
zurück gelangt, das man ihm freilich sofort abkaufen oder
rauben will, qua militärischer Nutzung, die der Held nie im Sinne
hatte:
"Ich
hätte der Menschheit nicht zeigen sollen, was sie vermag. Ich
habe gesündigt in dem Augenblick, indem [sic!] ich zeigte, daß
der menschliche Geist größer ist als die
Natur. […] 'Die Grenze des Menschen', so sagte
einmal Rousseau, 'ist der Himmel.' Habe ich
aus ihm nicht einen lächerlichen Gaukler gemacht? […] Wir werden
zugrunde gehen an unserer eigenen Größe."(4)
Die Potentiale, um die es
gehe, erschließt Konsalik, indem er dem Rausch der
Zehnerpotenz erliegt und eben dies auch vom Leser erhofft, der mit dem
Erzähler stammeln möge, beispielsweise: "100000000
… 150000000 … 200000000 … 225000000 Volt."(5)
Die
Faszination der Zahl macht, daß auch nicht von einem Meter mehr die Rede
sein kann,
sondern: "von 100 Zentimetern"
(6), mit einer rührend kindlichen Freunde an all den Nullen, zu
der sich eine Lust am Superlativ ("vollsten")(7) gesellt.
Diesen Mächten, ob nun mit oder ohne Null ausgedrückt, stellt sich
jener, der sie entdeckte, und lebt nun
Verantwortung vor, wobei als Folie ein Soldat dient:
"Es
werden hundertausend Mütter mit Kindern im Arm verbrennen,
ohne auch nur einen einzigen Laut des Entsetzens ausstoßen zu
können […]. Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?"(8)
Die Replik lautet: "Nein!
Ich bin Soldat."(9)
Verkneifen wir uns die
Frage, inwiefern sich etwas änderte, wenn besagte Mütter doch
Gelegenheit hätten, einen einzigen Laut des Entsetzens auszustoßen
– ob dieses Schweigen nicht nur für die Täter eine
Differenz bedeutet, denen es hülfe, zu wissen, daß die Opfer sie
doch "zu verfluchen"(10)
in der Lage waren. An die Opfer denkend müßte man hier mit Lyotard
noch von einem derartigen Fluch ("Körper der
schreienden Gestalt": "bloße[n]
Hülle um den leeren Mund")(11)
wie von einem Schweigen handeln und eingestehen: "'Wir'
sind recht weit davon entfernt, dieses Schweigen
im Satz eines Resultats zu bedeuten, und halten es für
gefährlicher, es zum Sprechen zu bringen, als es zu respektieren."
(12) Und würdigen wir kurz, daß die pax
romana mit der Insignie der Atombombe (die also sagt: "Wer die
Gemeinschaft
stört, der muß fallen … im Interesse der Völker, die den Frieden
wollen!")(13), von Konsalik als
totalitär gebrandmarkt wird: "Das gleiche hat einmal Hitler gesagt"(14),
so heißt es bei ihm – ähnlich Serres'
angesichts der Waffenarsenale und ihres Implikats eines Zerstörungswillens
gefallener Bemerkung, "daß wir unter dem
geistigen Erbe Hitlers gelebt haben und immer noch
leben"(15) …
Jedenfalls
kommt dann die Verantwortung, die ergriffen wird, im Narrativ zum Tragen.
Günstig ist hierbei, daß der Held zwar mit unglaublichem Aufwand
werkte und experimentierte, aber bei ihm
"die einzigen schriftlichen Aufzeichnungen"(16)
liegen – logisch, daß sich der wahre Held
schließlich tötet und das Werk vernichtet, dramaturgisch logisch,
daß er dazu seine Erfindung gleich nutzt. Abschiedsbrief ("weint
nicht, sondern lebt")(17) und
Gebet, er ist nun auch – wieder – "klar mit
seinem Gott"(18), dann: "eine
riesenhafte Explosion":
"Eine ungeheure Feuersäule schoß zwischen den
Felsen hervor in den Nachthimmel, ein langer
Strahl weißen Qualms stieß in das Dunkel und verbreiterte sich oben
zu einem weiten Pilz."(19)
Damit ist der Konflikt
völlig ausgeräumt, zu einem hohen Preis zwar, aber: immerhin.
Prometheus hat seine Ehre und die Welt gerettet, freundlicherweise
sogar ohne Strahlungsrückstände:
"Die Geigerzähler schwiegen."(20)
Das offensichtlich
Verlogene der Geschichte ist das, worin sie – unfreiwillig – gelingt.
Denn die Banalität des Konflikts, der dann doch nur bedingt einer ist, weil
sich alles
zurücknehmen läßt, ist unrealistisch, und dies so sehr, daß damit
schon wieder etwas berührt wird. Jedenfalls in der
Lektüre, denn für sich ist das "Banale […]
nicht banal genug, um die Banalität dessen, was
auszusagen ist, auch auszusagen."(21) Hier aber
zeigt sich dem Leser, und das mag die intentio
operis sein:
"Der
Mensch ist größer und kleiner als er selbst [...]: Die
Vernichtung einer Großstadt können wir heute […] durchführen.
Aber diesen Effekt vorstellen, ihn auffassen können wir nur ganz
unzulänglich."(22)
Zuletzt
ist der Mensch nicht Gott und nicht einmal Mensch, und das zeigt sich, wo
Konsalik dagegen eine forcierte Humanität setzt. Er ist nicht in der
Lage, dem eine Form zu geben, was einmal
eingesetzt unfaßbar ist … und beläßt es bei einer Andeutung der Gewalt,
die – selbst zum deus ex machina werdend – sich und ihren
Entdecker aus dem Spiel nimmt. Eine Utopie, die
darüber hinausginge, erläge dem, was bei Anders der Dinge
"negative
Protzerei"(23)
geheißen wird.
Nein, richtiger: Konsalik
erliegt ihr, weil die Möglichkeit des schon Gedachten scheinbar
zurückgenommen wird, aus dem ausgestiegen wird, was konstruiert ward.
Die Souveränität, die hier aufschimmern will, ist
verzweifelt und lächerlich, wenn zuvor der finanzielle und
wissenschaftliche Aufwand doch deutlich gemacht ist:
"'Zwei Milliarden Dollar!'"(24),
und die sind noch inflationsbereinigt zu denken.
Ohne Mittäter agierte der Mensch Konsaliks, dessen
Roman ignoriert, was Anders präzise auf den Punkt bringt:
"Die Mittel heiligen die Zwecke"(25)
– und der "Zweck von Zwecken besteht
heute darin, Mittel für Mittel zu sein."(26)
Aber
vielleicht ist die unfreiwillige Fast-Komik Konsaliks, die an einem Abschluß
scheitert, darin düsterer, als es das andeutungsvolle Offene ist, das
Dürrenmatt gestaltet, der intelligentere Dichter,
der darum auch intelligenter kaschiert, daß natürlich auch bei ihm alles
Euphemismus und Behübschung ist. "Nobody
was prepared when it came" (27),
dieser Satz ist – und zwar noch unter Anwendung
auf sich selbst – der letzte, der von beiden Büchern und
ihrem Problem vielleicht zu formulieren ist. Wir sind hier jenseits
der Technik, die den Rahmen der Kunstfertigkeit
und des Werkzeugs sprengt; und wir sind nicht nur post technics,
sondern geradezu post science – und gewiß, wie der Titel
verhieß: post fiction.
Anmerkungen
(1) Friedrich Dürrenmatt:
Werkausgabe in siebenunddreißig Bänden, hrsg.v. Thomas Bodmer et al. Bd
7: Die Physiker. Eine Komödie in zwei Akten. Neufassung 1980. Zürich:
Diogenes Verlag 1998 (detebe 23047), S.91
(2)
ebda
(3) Heinz G. Konsalik:
Agenten kennen kein Pardon. Roman. München: Wilhelm Heyne Verlag 231988
(=Heyne Allgemeine Reihe, Nr 01/999), S. 109
(4)
a.a.O., S. 151
(5) a.a.O., S. 107
(6) a.a.O., S. 8
(7) a.a.O., S. 157
(8) a.a.O., S. 134
(9) ebda
(10) ebda
(11) Peter von Matt: Die verdächtige Pracht. Über Dichter und Gedichte.
München, Wien: Carl Hanser Verlag 1998, S. 318
(12) Jean-François Lyotard: Der Widerstreit, übers.v. Joseph Vogl.
München: Wilhelm Fink Verlag 21989 (=Supplemente Bd 6), S.179, Nr 160
(13) Konsalik: Agenten kennen kein Pardon, S. 135
(14) ebda
(15) Michel Serres:
Hermes, übers.v. Michael Bischoff, hrsg.v. Günther Rösch. Bd III:
Übersetzung Berlin: Merve Verlag 1992, S. 98
(16) Konsalik:
Agenten kennen kein Pardon, S. 156
(17) a.a.O., S. 154
(18) a.a.O., S. 157
(19) ebda
(20) a.a.O., S. 158
(21) Wendelin Schmidt-Dengler: Bruchlinien. Vorlesungen zur
österreichischen Literatur 1945 bis 1990. Salzburg, Wien: Residenz
Verlag 21996, S. 451
(22) Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd 1: Über die
Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München: C.H.
Beck 71988 (=Beck’sche Reihe 319), S. 267; cf. a.a.O., S. 347 (Anm.)
(23) Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd 2: Über die
Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution.
München: C.H. Beck 41988 (=Beck’sche Reihe 320), S. 35
(24) Konsalik: Agenten
kennen kein Pardon, S. 137
(25) Anders: Die Antiquiertheit des Menschen, Bd 1, S. 251
(26) a.a.O., S. 252
(27) Rose Ausländer: The Forbidden
Tree. Englische Gedichte, hrsg.v. Helmut Braun
Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1995 (=Fischer Taschenbuch
11153), S. 9
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in:
"Kakanien revisited", November 2007. Internet:
www.kakanien.ac.at/beitr/konf/emerg/MHainz1.pdf |