Geschichten von verfallenen Hütten
In Kanada, der neuen Heimat
In all den Jahren, die ich durch meine neue Heimat Kanada wanderte, bin ich immer wieder auf verlassene, baufällige oder gar schon verfallene Hütten gestoßen. Land auf und Land ab, tief in der Wildnis der unwegsamen Wälder, entlang rauschender Bäche und Flüsse, an stillen, einsamen Seeufern, an den unwirtlichsten Stellen traf ich sie, diese Zeugen der Vergangenheit. Diese Zeugen, dass hier einmal Menschen gelebt haben und versucht hatten, der Wildnis, der Natur ein Geheimnis abzuringen. Oder aber auch einfach nur versucht haben mit, in und von der Natur zu leben. Es war oft ein karges, mühsames Leben das man sich in der heutigen Zeit nicht mehr vorstellen kann. Aber wo ein Wille da ein Weg! Meine Neugierde wuchs mit den Jahren und mit jeder neuen Ruine die ich fand, fragte ich mich öfter und immer öfter ob ich den Spuren dieser Menschen folgen könnte. Was diese bewogen hatte, sich in die Wildnis zurück zu ziehen und dort ein Leben aus dem Nichts aufzubauen.
Ich begann schon bald in alten Aufzeichnungen zu stöbern, alte Zeitungen zu durchforsten, wenn ich glücklich genug war, in einer Bibliothek auf solche Schätze zu stoßen.
Ich wollte die Geschichte dieser Menschen erforschen, Schicksale, Träume, Umstände aufdecken, die dazu geführt haben, dass sie sich in die Wildnis begaben um dort zu leben. Ich wollte mir ein Bild machen von diesen ersten Pionieren, den Siedlern und Abenteurern, die im einsamen Busch des nordwestlichen Kanadas eine Existenz aufbauten. Sie waren oft die allerersten Pioniere hier, doch auch heute noch steckt der Wunsch in vielen Menschen, dort draußen in der Natur ihr Dasein zu bewältigen. Unter diesen harten Menschen gab es aber vor allem starke Frauencharaktäre. Denn ohne die Hilfe und das Mitwirken von tüchtigen, gescheiten Frauen, wäre so manche Besiedlung nicht möglich gewesen. Aber darüber wird nicht viel geschrieben oder ausgesagt, immer sind es die rauen Mannsbilder, die eine Landschaft verändern und prägen, dass es aber meistens die emsigen Frauenhände sind, die wirklich eine Veränderung bewirken, das hört man nur selten, davon gibt es viel zu wenige Bücher. Heute ändere ich das und will vor allem über diese wunderbaren, tapferen, mutigen und gescheiten Frauen schreiben, deren Spuren ich in der Vergangenheit gefunden habe.
Kommen Sie nun mit mir auf meine Wanderung zurück in der Zeit, gehen wir auf die Suche nach solchen alten, verfallenen Blockhütten. Schauen wir durch die leeren, hohlen Fensterlöcher hinein in die Finsternis des Raumes und vielleicht finden wir da ja einen Anhaltspunkt auf die früheren Besitzer. Vielleicht gelingt es uns, das Leben dieser Menschen zu rekonstruieren und im Geiste eine Weile ihr Dasein zu teilen. Teilzuhaben an einem Leben da draußen in der Wildnis, wo die Natur nur die Härtesten und Stärksten durchkommen und überleben lässt, wo ein Fehler der letzte sein kann, weil es kein Versagen geben darf in dieser Einsamkeit. Weil keiner da ist, der hilfreich zur Seite stehen könnte, weil man auf sich alleine gestellt ist und die Zivilisation, wie wir sie heute kennen, mit all ihren Vor- und Nachteilen, einfach noch nicht vorhanden war. Weder Telefon noch Funk, weder Auto noch Flugzeuge gab es zu dieser Zeit in dieser Ecke der Welt. Der kleine Mensch mit all seinem Können, aber auch mit all seinen Fehlern, stellte sich dem Kampf mit der Natur. Und doch muss dies für viele eine unbeschreibliche Faszination gewesen sein, ist es ja auch heute immer noch. Denn warum sonst würden Menschen am scheinbaren Ende der Welt eine Hütte bauen und versuchen so nahe wie möglich in, von und mit der Natur zu leben.
Kommen Sie mit, stoßen wir die schiefe Türe auf, die oft nur noch an einem alten, verrotteten Lederscharnier hängt und versetzen wir uns im Geist in jene Zeit zurück, 50, 60, 80, 100 Jahre. Aber auch von den Pionieren der heutigen Zeit, des 20. und 21. Jahrhunderts möchte ich gerne berichten, etwas später dann. Denn der ewige Traum der zivilisationskranken Menschheit ist es und wird es bleiben, ein Dasein in Stille, Einsamkeit und in endlos weiter Wildnis führen zu wollen. Der Geist unserer Vorfahren und Ahnen, der Pioniere, Eroberer und Abenteurer ist immer noch in Vielen von uns.
Nicht Pionier oder Eroberer, sondern Abenteurer
Ich selbst sehe mich nicht als Pionier oder Eroberer, aber vielleicht ein bisschen doch als Abenteurer, als unruhiger Geist, der weg wollte von den Zwängen und Vorschriften und Gesetzen, von der Enge und Abhängigkeit in den modernen Städten von heute. Weg von allem was mein freies Denken, meine Sehnsucht nach Stille und Frieden eingeschränkt hat. Das war wohl mit ein großer Grund warum ich in reifen Jahren alle Sicherheiten eines bequemen Lebens in Europa hinter mir gelassen habe und mich aufmachte neue Grenzen zu finden... Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus und flog durch die fremden Lande, als flöge sie nach Hause... Grenzen vor allem in mir selbst, weil ich fühlte, dass da mehr in mir steckte als nur eine gesicherte Existenz in Österreich, ein 45-Stunden-Beruf (damals noch) und ein Leben voll Annehmlichkeiten. Die Dinge die man im Leben wirklich braucht werden nicht in Grosskaufhäusern angeboten, hängen nicht von den verschiedenen Fernsehwerbungen ab. Die Menschen arbeiten heute mehr und härter als vor vielen Jahren um sich Dinge kaufen zu können, die sie eigentlich gar nicht brauchen, ohne die ihre Vorfahren herrlich und unbeschwert leben konnten. Das ist für mich der Fluch der Zivilisation, alle, wir alle müssten wieder mehr zurück zu den Wurzeln, zu den wichtigen Dingen im Leben. Ohne dass ich irgendeiner Religion angehöre oder einer Sekte oder einem Verein, der das hautnahe Leben an der Wurzel predigt oder auf seiner Flagge hat, ohne all diese Einflüsse fühlte ich ein tiefes Sehnen, ein Ziehen rund ums Herz, einen nagenden Gedanken im Hinterkopf,...da ist noch mehr für Dich, das war nicht alles im Leben!...Und war es auch nicht, heute nach mehr als 20 Jahren hier in Kanada weiss ich das nun mit Sicherheit.
Ich lebe hier nicht in totaler Abgeschiedenheit, habe mir selbst keine kleine Hütte am Ende der Welt gebaut, ich muss auch hier arbeiten, mehr in der Hauptsaison als in Europa und doch, doch ist endlich das Verlangen gestillt, die Sehnsucht hat sich ausgelebt, ich weiss wohin ich gehen muss um in die Unendlichkeit dieser herrlichen Welt blicken zu können, ich weiss wo ich Natur Pur finde und wo die Welt noch so unberührt ist wie am ersten Tag. Dafür bin ich dankbar, unsagbar dankbar, aber es war nicht einfach zu diesem Punkt zu kommen.
Wenn ich gefragt werde, wann und wo es am Schönsten ist, hier in meiner neuen Heimat, dann sind es immer die Winter im Yukon, die zuerst ins Bewusstsein kommen. Jede Jahreszeit hier im nordwestlichen Britisch Kolumbien hat ihre schönen Seiten, aber die Yukon Winter, die haben etwas ganz Besonders für mich. Vielleicht war ich doch ein Eisbär in einem früheren Leben? Was ist das Besondere...die Stille, die absolute Stille, die Klarheit der Luft, das unberührte Weiss der unendlichen Schneelandschaft, die unglaubliche Intensität des blauen Himmels, das gespenstische Licht des Mondes auf dieser weissen, hellen Fläche, so hell dass man auch nachts Zeitung lesen kann ohne eine Lampe zu benötigen und wieder ist es die Stille, die nur hin und wieder durch das Heulen eines einsamen Wolfes unterbrochen wird.
Ich verlasse die warme Hütte und gehe die wenigen Schritte hinunter zum See, an dessen Ränder sich die ersten Eisschichten bilden. Jeder Stein ist eingefroren in ein Ornament aus Eis, zart und filigran wie eine feine Häkelspitze umschließt es die Steine und Felsen, hat sich aber noch nicht weiter auf das offene Wasser hinausgeschoben. Es ist erst Ende Oktober aber der Winter steht vor der Haustüre im Kluane Lake Park. Die Nacht senkt sich langsam herab, eine grosse Schar Gänse fliegt laut rufend in den Süden, es ist Zeit die Sommerplätze zu verlassen. Mein Weg ist bereits total schwarz und dunkel unter meinen Füssen und ich muss Acht geben wo ich hintrete, während in den Wipfel der Pappeln und Birken noch das letzte Licht des Tages hängt, der Himmel hell über mir steht und auch draußen auf dem grossen See noch ein Leuchten vorhanden ist, wie es eben nur diese Stunde des Tages zulässt. Langsam gehe ich Richtung Hütte zurück und dann fallen die ersten Flocken, es beginnt zu schneien. Lautlos, absolute Stille herrscht rund um mich, aber aus einem noch hellen Himmel fallen diese weichen, feuchten Kristalle, wie feuchte kleine Federn setzen sie sich auf die Wangen, die Nase. Ich bleibe stehen und drehe meinen Kopf dem Firmament zu und heisse die ersten Schneeflocken des Jahres willkommen, wie schön, mein Gott wie schöne, hier in dieser fast andächtigen Stille zu stehen und die ersten Schneeflocken tanzen zur Erde. Man wird zum Kind, ich strecke weit meine Zunge heraus um mit all meinen Sinnen dieses Wunder erleben zu können. Ich sehe sie, ich rieche sie, ich höre sie (fast nicht) und ich schmecke sie, die feinen Kristalle in ihren unzähligen wunderschönen Formen, die da vom Himmel schweben. Das ist das Wunder des Winters für mich!
Am nächsten Morgen bedeckt eine dicke, weisse Decke die Landschaft, unberührt und unbefleckt wie man sie in Europa fast nicht mehr finden kann, da die Luft dort wesentlich verschmutzter ist als hier. Es wird von Minute zu Minute kälter, ein frischer nordwestlicher Wind ist aufgekommen, die Schneeflocken werden immer kleiner und kleiner, es ist zu kalt da oben in den Höhen und es können sich keine grosse Flocken mehr bilden, ein “Regen” von winzigen eisigen Kristallen fällt zur Erde. Keine feuchte Federn mehr, keine zarten Schmetterlingsflügel, die die Wange streicheln, harte, kalte beißende Kristalle, die wie Nadeln ins Fleisch stechen, schüttelt Frau Holle jetzt auf uns. Die Luft ist voll von Eiskristallen, so voll, dass es einem vorkommt in einer Nebelschicht zu wandern. Und wir nennen es auch Eisnebel hier in Whitehorse und diese Glocke hängt oft tagelang über der Stadt. Kommt dann gegen mittags die Sonne hervor und kämpft sich durch diese “Kristallsuppe” dann entstehen die Wunder, die magischen Sonnenbilder, die man hier “sun dogs” also Sonnenhunde nennt. Während sich bei Regen und Sonne die herrlichsten Regenbogen bilden, lösen sich die Farbprismen der Eiskristalle in der winterlichen Sonne zuerst in einen riesigen Ring rund um die fast weisse, kalt leuchtende Scheibe auf. Je mehr Kristalle die Luft erfüllen um so eher können sich zu beiden Seiten der Sonne jene farbigen Strahlen bilden, die Sonnenhunde, die wie übergroße Sonnenstrahlen auf die Erde reichen und in einem regelmäßigen Abstand links und rechts der Sonne stehen. Himmelsleitern in Regenbogenfarben, ein Naturwunder das man nicht vergessen wird können. Die kalte Luft bildet sofort Eiskristalle an den Augenbrauen, selbst längere Haare in der Nase formen sich zu Eiszäpfchen, Männerbärte werden mit Eiszapfen und Kristallen überzogen, dass man die ursprüngliche Haarfarbe des Trägers nicht mehr erkennen kann, und das ist immer noch schön, großartig, einmalig!
Nachts dann der Mond, der gute alte Mond, der wie eine Riesenscheibe vom nachtblauen Himmel strahlt, auch er lässt die Schneekristalle auf der Erde funkeln und glitzern wie Millionen von Diamanten, gespenstischer, unwirklicher aber als tagsüber die Sonne. Lange, tiefviolette Schatten wachsen zwischen den Bäumen, aber stockdunkel, so richtig finster, dass man seine Hand nicht mehr vor den Augen sieht, so finster wird es in diesen Mondnächten nicht. Dann fühle ich ein Summen und Surren in der Luft, dass es mir meine wenigen Haare im Nacken aufstellt. Nordlichter kommen! Ich habe die Gabe, diese schon viel eher zu fühlen als man sie dann wirklich sehen kann. Die Luft vibriert so als ob man unter einer Starkstromleitung stehen würde, ich höre sie summen und fühle die enorme Elektrizität die von ihnen ausgeht, da wird’s aber höchste Zeit die Hütte zu verlassen, eine Decke unterm Arm, und in Richtung See laufen, damit man freien Blick in den Himmel bekommt um dieses Lichterspektakel voll genießen zu können. Die Farbenpracht der Aurora Borealis ist natürlich im Yukon auch gewaltiger als ich sie je in British Columbia erlebt habe. Zuerst schießen giftgrüne Pfeile von Ost nach West oder von Nord nach Süd, dann wird aus den Pfeilen ein Vorhang, der löst sich auf, der tanzt und windet sich am Himmel, rollt sich zu einem Knäuel und löst sich wieder auf, rosa, rot und orange mischen sich dazu, der ganze Himmel brennt, das ganze Universum hält den Atem an bei diesem Schauspiel, die Zeit steht still! Nach Sekunden, Minuten, Stunden lösen sich die Farben in Nichts auf, ein schwacher, hellgrüner Schein im Osten über den Bergen, dann herrscht wieder Dunkelheit und Stille, jene absolute Stille des leeren Nordens, die mir immer wieder bewusst macht, wie klein und unbedeutend wir Menschlein hier eigentlich sind. Größeres, viel, viel Größeres wirkt da draußen, was wir mit unsere kleinen Gehirnen und Gedanken nicht fassen können, was manches mal das Herz und die Seele schon eher begreift. Ja, und wenn man nicht gläubig war, jetzt, in solchen Momenten wird man es und versteht, das wohl wirklich eine höhere Kraft über uns wacht!