Eine Farm in den Bergen
Ruth und Nathan
Eine Farm in den Bergen hatten sich Ruth und Nathan schon immer gewünscht, aber es sollte ein langer, harter Weg werden, bis dieser Traum wahr wurde, und dann war er relativ schnell wieder ausgeträumt.
Seit vielen Jahren arbeitete Nathan als Cowboy für verschiedene Farmer im nordwestlichen British Columbia, in den Chilkotin Bergen und dahinter. Bis an die Küste des Pazifischen Ozeans reichten endlosweiten Täler, in denen Gras ohne Ende wuchs und das als Rinderland bekannt war. Zwischen Clinton, Williams Lake, Quesnel und Hagensborg, Anahim Lake, gibt es auch heute noch die größten Rinderfarmen im westlichen Kanada, aber aller Anfang war schwierig, damals zwischen den Weltkriegen und der großen Depression in den 1930 Jahren. Unermüdlich war Nathan auf seinem Pferd unterwegs, von einer Farm zur anderen um beim Heumachen und Rindertreiben auszuhelfen. Eines Tages, als er für einen älteren Mann aus Schweden im Dienst stand, bot ihm Swenson an, als Teilhaber mit in den Betrieb zu gehen. An die dreihundert Fleischkühe und Kälber standen auf den Weiden im Tal zwischen Moose Hights und dem Finger Lake. Der Blackwater Fluss rinnt durch diese herrlichen Weiden und es gibt immer genügend Wasser für das Vieh. Aber die Arbeit wurde dem Farmer zu viel und er war begeistert, als Nathan seine Zustimmung gab, sich an dem Viehbetrieb zu beteiligen. Seit langem hatte Nathan schon ein Auge auf eine junge, bildhübsche Kellnerin in Vanderhoof geworfen, er wollte sie zu seiner Frau haben und aus ihr eine Farmers Gattin machen. Ruth wusste davon allerdings vorerst noch nichts, wunderte sich nur, dass Nathan so oft im Dorf erschien und immer bei ihr zum Essen einkehrte. Auch sie fand den feschen Cowboy sehr interessant und bald unterhielten sie sich über Alltägliches, als ob sie sich schon ein Leben lange kennen würden.
Aber Nathan hatte einen ganz genauen Schlachtplan. Erst musste er in seinem Betrieb noch fester im Sattel sitzen, dann hatte er auch schon einen Platz in den Bergen gefunden, wo er sich ein Haus bauen wollte und erst wenn diese Pläne verwirklicht sind, dann wollte er Ruth fragen ob sie ihn heiraten möchte. So bestand sein Leben in den nächsten zwei Jahren nur aus Arbeit, Arbeit und wieder Arbeit. Als der zweite Weltkrieg in Europa begann und sich auch Kanada daran beteiligte, wurden alle jungen, kräftigen Männer von den Farmen geholt und zu den Waffen gerufen. Nathan hatte an einer alten Beinverletzung zu leiden, war daher nicht kriegstauglich und musste nun auch die Arbeit vieler Hilfsknechte übernehmen. Es gab Zeiten, da saß er Tag und Nacht im Sattel, mit wenigen Ruhepausen und stieg nur ab, wenn er das Pferd wechseln musste, weil dieses auch schon überarbeitet war. Er musste die Rinder von einer Weide auf die andere treiben, weil das Gras doch nicht so gut und kräftig ist, wie zum Beispiel auf den Europäischen Almen. Hier braucht eine Kuh ungefähr eine Äsungsfläche von 15 Hektar um satt zu werden, bei gut dreihundert Tieren mussten diese natürlich ständig durch die Täler getrieben werden. Seine Nächte verbrachte er unter einem Baum, geschützt von einer Plane bei einem kleinen Lagerfeuer, etwas Kaffee, Bannok (einfaches Brot in der Pfanne gebacken) und Speck, davon lebte er. Es war ein hartes, schweres und sehr einsames Leben, dem er hoffte bald ade sagen zu können. Im Frühling dann, als man die Rinder für längere Zeit in einem Tal lassen konnte, begann er mit dem Bau eines Blockhauses. Auf einem kleinen Hügel, das Flusstal des Blackrivers überschauend, hatte er seine “Homestead” eintragen lassen. Die passenden Bäume wuchsen gleich hinter dem Haus und wurden mit Hilfe der Pferde auf die Baustelle gezogen. Zwischen 80 und 100 Stück waren notwendig um die Außenwände zu errichten. Sie wurden entastet, geschält, an den Enden mit tiefen Kerben versehen, damit sie fest aufeinander lagen. Mit Hilfe von einfachen Mitteln, wie Seilzüge, wurden die Wände aufgestellt. Schwierig sind immer die Dachkonstruktionen, vor allem wenn man nicht viel Hilfe hat, aber auch dies bewältigte er mit Hilfe seiner Pferde und Seilen und Stützen. Dann wurden dünne, halbierte Stämme auf die Pfähle genagelt, eine Teerpappe darauf und den Abschluss bildete meist Erde und Rasenstücke. Die hielten im Sommer die Hitze ab und im Winter ließen sie die Kälte draußen. Die Fugen zwischen den Baumstämmen, die sich nicht verhindern lassen, wurden in langer, geduldiger Arbeit mit Moos zugestopft, das jedoch alle paar Jahre erneuert werden musste.
Und nach dem er fleißig den ganzen Sommer über gearbeitet hatte, Fenster und Türen im Haus waren, einfache Einrichtung selbst gezimmert wurde, nahm er sich vor, endlich um die Hand von Ruth anzuhalten. Der große Viehtreck im Herbst stand vor der Türe. Kühe und Kälber mussten aussortiert und in einem Tage lang dauernden Marsch nach Vanderhoof zum Zug gebracht werden. Von dort fuhren sie dann meistens nach Vancouver und wurden in den Schlachthof gebracht. Die verbleibenden Tiere wurden auf die Winterweiden getrieben, die immer in der Nähe der Farm waren, wo es genügend Heu zum Zufüttern gab. Ende Oktober anfangs November fegen schon die ersten Winterstürme übers Land und erschweren die ohnehin mühsame Arbeit noch mehr. Nathan hatte auch mehr Kühe für den Verkauf vorgesehen, da er mit dem erzielten Gewinn das Haus für seine künftige Frau besonders ausstatten wollte. So kam er dann am 14. November total abgearbeitet, kalt und nass und halbkrank vor Müdigkeit in Vanderhoof an. Der Frachtzug stand schon im kleinen Bahnhof, das Verladen der Tiere ging problemlos und einige Stunden später waren sie schon auf der Fahrt in den Süden. Die Menschen in den Großstädten warteten schon dringend auf Fleisch, es herrschte Krieg auf der Welt und die Lebensmitteln waren nicht so zahlreich vorhanden, wie man das sonst gewohnt war. Jeder versuchte mit einem kleinen Gemüsegarten oder Hasen und Kaninchen im Hinterhof, seinen Teller zu füllen. Fleisch aus dem Norden war fast mit Gold nicht zu bezahlen und doch standen die Menschen jeden Tag vor dem Schlachthof Schlange um einen Braten oder ein Stück Kochfleisch zubekommen.
Nachdem er 20 Stunden durchgeschlafen hatte, sich ein angenehmes Bad leistete, frisch rasiert und gekämmt war, stapfte er mit einem einfachen Ring in seiner Tasche ins Café in dem Ruth an der Arbeit war. Er machte seinen Antrag, nicht wissend, ob die junge Frau für ein bescheidenes, einfaches Leben draußen in der Wildnis bereit war. Aber natürlich sagte sie JA. Die Sonne ging auf, obwohl draußen wieder ein heftiger Schneesturm tobte. Schnell wurden Pläne geschmiedet, wann und wie man die Hochzeit ansetzen sollte und wann Ruth endlich mit ihm ins neue Haus übersiedeln wollte. Und dann ging alles doch rasend schnell. Ein Pastor war im Dorf, der traute sie gleich am Morgen des nächsten Tages. Da auch Ruth keine Familie im Dorf hatte, war alles einfach. Sie kündigte ihre Stellung, packte ihr weniges Hab und Gut zusammen und nach einem ausgiebigen Einkaufsbummel war sie eigentlich bereit sofort zu übersiedeln. Es fehlte an Kochgeschirr, Besteck, Gläsern, Gewürzen und Essgeschirr, Dinge, die so ein Junggeselle da draußen am Lagerfeuer nicht braucht, die aber für eine junge Hausfrau damals sehr wichtig waren. Ruth selbst hatte eine alte Nähmaschine, die sie auf jeden Fall mitnehmen wollte und die wichtigste Anschaffung war natürlich ein Holzherd, mit dem man kochen und backen konnte und der gleichzeitig das Haus mitbeheizen würde. Diese Herde waren immer ein Schmuckstück in den jeweiligen Farmhäusern und wurden von den Besitzerinnen besonders gepflegt und behütet.
Über Nacht war es Winter geworden im nördlichen British Columbia und den Beiden stand nun eine Reise von über dreihundert Kilometern auf nicht vorhandenen Straßen durch Schnee und Eis bevor. Es gab nur alte Wagenwege, die nicht mehr als eingefahrene Radspuren durch Wiesen, Wälder und Felder waren. Nathan kaufte einen großen Schlitten, der von vier starken Pferden gezogen wurde und darin wurde der ganze Hausstand verpackt. Ruth wurde in ein dickes Fell und Decken eingewickelt und nahm neben Nathan am Führersitz Platz. Wenn alles gut ginge, dann würden sie in vier bis fünf Tagen auf ihre kleinen Farm in den weiten Tälern des Chilkotin sein. In der Zeit zwischen Ende November und Anfang Mai war es unmöglich einen Trip aus den Bergen nach Vanderhoof oder Quesnel zu machen. Das Eis auf den Flüssen, die riesigen Schneeverwehungen, das alles machte es den Pferden unmöglich einen Weg offen zu halten. An guten Tagen konnte man einen Mann mit einem Hundeschlitten losschicken um die notwendigsten Besorgungen zu machen, aber alle schwereren, größeren Anschaffungen mussten vor Einbruch des Winters getätigt werden um sie mit den riesigen Pferdeschlitten an Ort und Stelle zu bringen. Ruth war ganz erstaunt, als sie die Mengen sah, die Nathan besorgte und auf den Schlitten lud. Mehl, Reis, Nudeln, Kartoffeln, Karotten und Rüben, Zucker und Kaffee, Tee, Schmalz und Öl, dazu noch alles an Nägeln und Schrauben, Werkzeug, Draht, Bleche, Medikamente für Mensch und Tiere sowie Leder zum Sattel ausbessern oder um die Zaumzeuge zu erneuern. Proviant für die nächsten Tage und Hafer für die Pferde, solange man am Trail war. Und von allem ein wenig mehr, denn man konnte nicht wissen, wie sich das Wetter in diesem Winter entwickeln würde und wann die nächste Reise in die Stadt stattfinden konnte. Ruth hatte immer gelesen und gedacht, es wäre ach so einfach für einen Cowboy von A nach B zu reiten, etwas Verpflegung in seine Satteltaschen und schon ging es ab in die Wildnis, nicht hier und nicht wenn man eine neue Farm aufmachen und bewohnen wollte. Aber irgendwann waren auch diese Einkäufe erledigt und früh am nächsten Morgen wurde die Fahrt angetreten.
Die Pferde waren gut ausgeruht und zogen willig die schwere Fracht hinter sich her. Es gab einige andere Siedler entlang des Weges und das ungeschriebene Gesetz der Wildnis ist es, jeden Reisenden willkommen zu heißen und aufzunehmen. So verbrachte das junge Paar die erste Nacht ihrer Fahrt in der kleinen Blockhütte eines alten Trappers. Ruth war sehr überrascht, wie sauber und ordentlich alles aufgeräumt war. Die Wände waren mit bunten Tapeten beklebt, der Tisch war mit einem Wachstuch bedeckt und es stand eine Kerze in der Mitte. Alles sah nach einer ordentlichen Hausfrau aus, die es aber nicht gab. Mit den Jahren sollte sie herausfinden, dass es zweierlei Menschen da draußen gab, die einen, die eine fast pedantische Ordnung hielten in ihren Behausungen, und die anderen, denen alles einfach zu viel war und wo es kaum Platz gab sich hinzusetzen. Keine Frage zu welchen sie sich mehr hingezogen fühlte. Aber sie waren alles Nachbarn, die einen oder zwei oder drei Tagesritte auseinander wohnten. Und wenn die Hütten einfach zu dreckig und stinkig waren, dann gab es immer noch die Möglichkeit, eine ruhige Nacht auf dem Heuboden zu verbringen, oder sich ein Zelt unter einer Tanne aufzustellen. Zelte wie man sie heute kennt, klein, schnell aufzubauen und wasserdicht aus Plastikmaterial gab es zu dieser Zeit ja noch nicht. Es waren große, schwere Baumwoll-/Leinengewebe die imprägniert wurden und für die man geeignete dünne Baumstämme aussuchen musste, um sie aufbauen zu können. Daher machte sich kaum jemand die Mühe, für nur eine Nacht so ein Monster aufzubauen. Man suchte sich eine dichte Tanne oder Fichte aus und baute sich ein sogenanntes “lean to” (sich anlehnen) aus starken Ästen, auf die man eine Plane warf, alles nach einer Seite, der Feuerseite hin, offen und rollte sich mit den Schlafsäcken auf eine dicke Lage Äste, die nach unten hin gut isolierten und gleichzeitig eine Matratze bildeten. In wenigen Minuten haben erfahrene Buschläufer so einen Unterschlupf gebaut und wenn man das Feuer die ganze Nacht über brennen lässt, dann wird es gemütlich warm in so einem “lean to”. Ruth liebte diese Nächte unter dem Sternenhimmel, und versuchte es immer so einzurichten, dass sie nicht in einer dieser alten Trapperhütten übernachten musste. Aber Nachbarschaftshilfe und Gastfreundschaft waren riesig groß geschrieben unter den wenigen Menschen, die damals in den Chilkotin Bergen lebten und schnell war jemand beleidigt und gekränkt, wenn man das Angebot seiner Hilfe ablehnte. Konnte sie es öfters vermeiden in den Hütten zu übernachten, so war das Angebot einer warmen Mahlzeit oder einer Tasse Kaffees oder Tees, nicht so leicht abzuschlagen. Und in den ersten Monaten ihres Buschlebens musste sie oft mit einer Übelkeit kämpfen, die vom “Duft” gewisser Speisen ausging. Da gab es Kaffeetassen, die monatelang nicht ausgespült wurden und innen sowie außen gleichmäßig schwarz und verkrustet waren.
Eine Abendmahlzeit in der Hütte von Ken, einem Trapper der vor vielen Jahren aus Amerika nach British Columbia gekommen war und seither ein sehr abgeschiedenes, einsames Leben am Nazko River führte, blieb ihr besonders in Erinnerung. Spät abends waren sie mit den Pferden durch einen dichten Fichtenwald auf diese kleine Wiese am Rande des Flusses gekommen und sahen Licht aus einer seiner Hütte strahlen. Nathan war hier oft schon eingekehrt, auf seinen Ritten zwischen Farm und Stadt, und wusste, dass sich dieser einsame Mensch immer über Besuch und Unterhaltung freute. Also schirrten sie die Pferde aus, gaben ihnen Hafer und einige Büschel Heu, bauten ihren “lean to” gleich am Rande des Waldes und nachdem sie mit diesen Arbeiten fertig waren, gingen sie zu Ken auf ein nachbarschaftliches Plauderstündchen. Dieser war gerade beim Kochen eines Eintopfes, der Duft der in der Hütte schwebte brachte Ruths Magen zum Umdrehen, aber sie musste lernen damit fertig zu werden. Kartoffeln, Karotten und Kraut wurden in den Eintopf geschnitten, was aber die Basis dieses Gerichtes bildete, das konnte sie nicht so richtig feststellen. Auch sah der Topf aus, als ob er schon wochenlange so vor sich hin kochte und immer nur einige neuen Zutaten dazu geworfen würden. Zu Ehre des Besuches wollte Ken aber ganz besonders auftischen und holte aus einem Fass in der Ecke der Hütte einen riesen Brocken Elchfleisch, von dem er einige Steaks schnitt. Das war aber fast zu viel für Ruths sensible Magennerven. Das Elchfleisch lag wohl schon wochenlang in der Brühe in der warmen Hütte und hatte einen sehr, sehr strengen, unangenehmen Duft entwickelt, rasch abgebraten in einem ranzigen Fett, das auch schon ewig auf dem Herd stand und immer wieder aufgewärmt wurde, war es ihr wirklich nicht möglich auch nur einen Bissen davon hinunter zu bekommen. Aber Ken und Nathan ließen es sich gut schmecken und vertilgten neben einigen Steaks auch noch einen halben Topf Eintopf, während Ruth an einer alten Schnitte Brot herumkauen musste. Sehr, sehr erleichtert verließ sie Kens Hütte und atmete tief die gute Nachtluft ein, auch wenn es viele Minusgrade hatte, ein Schlafen in dieser “Stinkbude” wäre unmöglich gewesen.
Nach vielen Tagen kamen sie dann endlich auf ihrer Farm. Nathan zeigte ihr voll Stolz das neue Haus und nächtelang besprachen sie die Pläne, wie sie es richtig gemütlich einrichten und vervollständigen wollten. Er besprach mit ihr auch alle Pläne für die Zukunft, seine Teilhaberschaft in Swensons Rinderbetrieb und dass er langsam aber sicher, seinen Anteil erhöhen wollte, bis er ihn ganz auszahlen und alleiniger Besitzer des Unternehmens werden wollte.
Die Zeiten waren hart, aber die Rinderpreise hoch und als dann 1945 der Krieg in Europa zu Ende war und einige junge Männer gesund wieder kamen, da gab es auch jede Menge Hilfe auf der Farm und das Leben ließ sich richtig gut an. Es zogen mehrere Familien den Nechako River entlang in die Berge, sodass auch Nachbar dazu kamen die in Krisenzeiten mit Rat und Tat zur Hilfe kamen. Zwei Kinder wurden geboren und wuchsen in dieser unberührten Natur auf wie kleine Lämmer auf einer Weide, rund und gesund und das Leben zeigte sich von einer schönen Seite. Dann kam das Jahr 1947 mit seinen großen Überschwemmungen, die Heuernten waren alle total vernichtet, ein Teil der Rinder war ertrunken, aber das Haus und seine Nebengebäude standen Gott sei Dank auf einer Anhöhe und blieben von den gurgelnden Wassermassen verschont. Das ganze Tal verwandelte sich über Nacht in einen riesigen See aus rauschendem, dunklen Wasser, entwurzelte Bäume trieben vorbei, ertrunkene Kühe, Schafe und Schweine brachte das Wasser aus den Bergen mit, wo einige Nachbar nicht so glücklich waren, ihre Tiere retten zu können. Nathan fuhr mit einem alten Boot los um zu helfen, wo es nur ging. Die Pferde hatten wohl die Gefahr geahnt und waren von alleine in die Berge gelaufen, der größte Teil der Rinder hinterher, sodass der Schaden nicht sehr groß war. Sorgen machten jedoch die Gedanken an den bevorstehenden Winter. Es würde nicht möglich sein noch so viel Heu zu bekommen, um die Herde durchfüttern zu können. Also mussten in diesem Jahr wesentlich mehr Tiere auf den langen Treck nach Vanderhoof zum Zug und weiter zum Schlachthof nach Vancouver. Aber eine kleine ausgesuchte Herde wollten sie sich unbedingt behalten, um im Frühling dann wieder mehr Kälber zu bekommen, den Rinderbestand wieder aufstocken zu können. Während Nathan mit diesen Planungen beschäftigt war und sich einige Nachbarn zusammen schlossen um gemeinsam das Vieh zu treiben und zu verkaufen, ritt Ruth mit einem der jungen Knechten durch die Täler um Wiesen zu finden, auf denen man noch Heu schneiden konnte oder die Tiere im Winter Futter finden würden. Tagelang saß sie im Sattel, sie fanden auch einige Moorwiesen und Weiden in kleinen Seitentälern, aber ein Heuen würde sich nicht rentieren. So fassten sie den Entschluss, die Tiere immer wieder auf die verschiedenen Weiden zu treiben und dort grasen zu lassen und erst gegen Ende des Winters dann das wenige Heu das sie retten konnten, direkt auf der Farm zu verfüttern. Zwischen Finger Lake und Tatuk Lake gab es einige besonders gute Weiden, dort stand auch eine uralte Hütte, noch halb in den Hang gegraben, mit einem Dach aus Erde, ohne Fenster nur einer kleinen schiefen Türe, dort konnte einer der Cowboys vor der Kälte Unterschlupf finden. Man wollte dort mit dem Ausweiden beginnen und sich dann im Laufe des Winters nach Osten in Richtung Farm vorarbeiten. Während Nathan mit dem großen Rinderauftrieb begann, sammelte Ruth die verbliebenen Tiere und die Pferde, packte die beiden kleinen Kinder in warme Decken und steckte sie in selbstgefertigte Satteltaschen, die der alten, zahmen und sehr verlässigen Stute Betty aufgeschnallt wurden. Links und rechts baumelten die Kinder an den Flanken des Pferdes und hatten ihren Spaß mit dieser Art von Transport. Ende Oktober und die Nächten waren bereits sehr kalt, der erste Schneesturm war schon übers Land gezogen, aber das Reiten und Treiben der Tiere verlief ohne Probleme. Ruth und ihre Hilfe mussten nur eine Nacht im Freien verbringen, in der zweite Nacht richteten sie sich in der alten Erdhütte ein, so gut es eben ging. Pferde und Rinder wurden auf die Weiden gebracht und sollten dort für die nächsten zwei bis drei Wochen bleiben, dann war das Gras abgefressen und man musste sie wieder wegholen und weitertreiben.
Diese Art von Viehhaltung war zu dieser Zeit in den endlosweiten Tälern der Chilkoten sehr verbreitet. Es gab kaum ein Jahr in dem man genügend Heu für die Rinderherden machen konnte. Die Maschinen waren erst am Anfang ihrer Erfindung, der Mähbalken wurde meistens von zwei Pferden gezogen, konnte aber nie mehr als maximal 2 m schneiden, dann folgte man mit einer primitiven Rechenvorrichtung, die das trockene Gras wendete und zum Schluss wurden die Heuschober von Hand aus aufgestellt. Es machte auch nicht viel Sinn, das so geerntete Heu in mühevoller Arbeit bis an die Farm zu bringen, viel einfacher war es, einige Schober aufzustellen und dann die Rinder von Futterstelle zu Futterstelle zu treiben. Die Straßen und Wege waren zu schlecht, der einfache, meist selbstgebaute Wagen oder Schlitten konnte nicht viel fassen und man wäre tagelang mit dem Transport des Futters beschäftigt. Solange es keinen Tiefschnee gab versuchten die Kühe noch an das alte Gras auf den Weiden zu kommen und so konnte man wertvolles Heu sparen. Rinder haben es jedoch nie gelernt, nach ihrem Futter zu scharren oder kratzen, wie es das Wild und die Pferde tun. Daher wurden immer auch Pferde zusammen mit den Rindern auf den Weiden gehalten. Diese scharrten den Schnee weg, fraßen nur ein wenig und zogen dann weiter, dann kamen die Kühe und fraßen an den freigelegten Stellen, “räumten sozusagen den Tisch auf”, und zogen hinter den Pferden her. Diese “Arbeitsgemeinschaft” hat sich über viele, viele Jahrzehnte bestens bewährt. Nach eine Woche war nun Ruth wieder zurück auf der Farm und voll mit den letzten Vorbereitungen für den herannahenden Winter beschäftigt. Das letzte Gemüse musste noch geerntet und eingelagert werden, es gab noch wilde Beeren, vor allem Preiselbeeren, zu suchen und einzukochen, großer Waschtag war angesagt und gleichzeitig mussten die Kinder und das Gesinde, bestehend aus zwei jungen Indianern beschäftigt werden. Für eine Frau allein in der Wildnis keine einfache Aufgabe, aber eine, die diese Frauen schnell lernten und viele wurden Meisterinnen im Fach sparsamer Haushaltsführung und rationaler Farmarbeit. Feuerholz wurde mit den Pferden auf den Hof gezogen, dort kleingesägt und gespalten, die Matratzen mussten mit frischem Heu neu gestopft werden, dazu wurde zähes, altes Sumpfgras geschnitten und getrocknet, weil dieses länger haltbar war und nicht so leicht zerbrach. Ende November war dann auch Nathan von seinem langen Treck mit der Rinderherde wieder zurück und brachte einen Wagen voll Wintervorräte. Man musste allerdings vor Weihnachten nochmals in die Stadt, um die restlichen Einkäufe zu erledigen, bis dahin hofften sie auf genügend Schnee und Frost um mit dem Pferdeschlitten den schnelleren Weg quer über Flüsse und Seen in die Stadt nehmen zu können.
Weihnachten war, wenn auch bescheiden und einfach, ein großes Fest und die strahlenden Kinderaugen machten dieses ganz besonders schön. Dann kamen die Schneestürme und die große Kälte. Tagelang konnten man das Haus nicht verlassen und die Angst um die wenigen Rinder und Pferde, die in den Wäldern im Westen überwinterten machte sich breit. Der Jänner ist immer der schlimmste Monat was die Kälte und Blizzardstürme betrifft und es war unbedingt notwendig, dass Nathan in diesen Tagen ein besonderes Auge auf sein Vieh wirft. Kühe bewegen sich in der Kälte nicht, sie stehen stundenlang an einem Ort, lassen sich zuschneien, dicke Eisschichten bilden sich auf ihren Rücken, die Blutzirkulation verlangsamt sich, Ohren, Schwänze sogar die Hufe können erfrieren. Dann ist es notwendig, sie auf Trab zu halten, meist reitet man direkt auf sie zu und macht einen höllischen Lärm mit leeren Blechdosen, das bringt sie zum Springen und Rennen, die Eisschichten fallen von den Körpern, das Blut rinnt wieder schneller und der Appetit kommt zurück. Man muss versuchen Wasserlöcher im Fluss oder See offen zu halten, denn Kühe fressen nicht, wie Pferde oder Wild, Schnee um den Durst zu löschen. Da aber das Leben und Überleben der Farmersfamilien von ihrem Vieh abhängt mussten man immer auf der Hut sein um so wenige Tiere wie möglich während eines Winters zu verlieren.
Wenige Tage nach Neujahr machte sich Nathan daher auf den langen, kalten Ritt in Richtung Pelican Lake, um seine Herden zu kontrollieren und diese wieder ein Stück weiter in Richtung Farm zu treiben. Das Eis auf dem Blackwater River war stark genug und der Winter war bisher nicht so schneereich gewesen, sodass ein Fortkommen mit den Pferden kein Problem sein sollte. Ruth hatte ein ganz besonders schlechtes Gefühl, wenn sie daran dachte, dass ihr Mann jetzt für eine Woche allein durch die Winterwildnis reiten musste, bei tiefsten Temperaturen bis minus 40 Grad, aber er vertrieb ihr diese Gedanken indem er ihr erzählte, wie oft und wie lange er schon seit seiner Jugend diese Arbeitet tat. Trotzdem, es war ihr nicht geheuer, eine Vorahnung vielleicht.
Die Tage sind kurz hier in der Mitte des Winters, aus dem Norden sind riesige Wolfsrudeln in die Täler gekommen, wo sie Wild und auch junge Rinder verfolgten und rissen. Aus diesem Grund nahm Nathan drei schwere Eisenfallen zum Fangen dieser Mörder auf seinem Sattel mit. Sein Lieblingshengst Rimrock schien für diese Arbeit am besten geeignet. Das 700 kg schwere Tier stand auf langen starken Beinen, konnte sich durch tiefen Schnee pflügen und war es gewohnt, tagelang mit wenige Futter auszukommen. Mit den notwendigsten Proviant versorgt, brach Nathan noch in dunkler Nacht auf. Die ersten Meilen gingen problemlos, die Kälte biss zwar ordentlich in Nase und Ohren, dem Pferd stand eine Dampfwolke um die Nüstern, aber das war alltäglich. Dann kam er in ein Tal in dem es hohe Schneeverwehungen gab und Rimrock hatte Mühe sich durchzuarbeiten. Hatte er eine Schneewehe hinter sich, dann gab es ein kurzes Ausrasten in einer eher schneearmen Schneise, dann jedoch baute sich die nächste Wehe wieder auf durch die er sich durchkämpfen musste. Nach der dritten Schneewehe spürte Nathan jedoch, dass sich die schweren Eisenfallen vom Sattelknopf gelöst hatten und nun seitlich gegen sein Bein schlugen und auch die Flanken des Pferdes berührten. Das war nun doch zu viel für Rimrock und er legte ein richtiges Rodeo hin, bockte hinten und vorne und versuchte mit aller Kraft, den Reiter und die Fallen loszuwerden. Nathan klammerte sich mit seinen starken Beinen an das Tier, aber dann schwangen die Fallen aus und klatschten mit voller Wuchte an seine Hüfte und Mitte. Es wurde ihm schwarz vor den Augen, er musste die Zügel loslassen und stürzte in den Schnee. Rimrock war auf und davon. Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, lag er in der Schneewehe und konnte seine Beine nicht mehr bewegen oder fühlen. Rote Nebel zogen vor seinen Augen vorbei und er verlor wieder das Bewusstsein. Irgend etwas ist fürchterlich zerbrochen, dachte er sich noch und fiel wieder in ein schwarzes Loch. Dann hört er Stimmen, er müsse aufwachen, sich bewegen oder er würde erfrieren, aber die kleinste Bewegung nahm ihm wieder das Bewusstsein. Welch eine wahnsinnig verrückte Idee es war, auf so einem schwierigen Ritt diese schweren Fallen mitzuschleppen, dachte er als er wieder erwachte. Aber nun war es geschehen und er wusste nicht, wie er sich aus dieser lebensbedrohlichen Lage befreien konnte. Es wurde langsam abends, die Kälte kroch durch die Knochen und er machte mit seinem Leben Schluss, so hatte er sich sein Ende nicht vorgestellt, er wollte doch noch sie viel unternehmen mit seiner Familie! Vielleicht hatte er noch eine, zwei Stunden zu leben, dann wäre alles vorbei, langsam zu Tode gefroren. Aber er hatte nicht mit der Tapferkeit, dem Mut und starken Willen seiner Frau gerechnet!
Als am Abend dieses verhängnisvollen Tages das Pferd zwar mit Sattel aber ohne seinen Reiter auf der Farm auftauchte, da fielen ihr die schwarzen Vorahnungen wieder ein, mein Gott, Nathan war etwas fürchterliches zugestoßen. Schnell rief sie die beiden Indianerknechte zu sich und machte einen Plan. Little Ben sollte bei den Kindern auf der Farm bleiben, ja das Feuer immer gut hüten damit diese nicht frieren. Greg würde ihr helfen das eine Pferd zu satteln und dann müssten sie schnell eine Tragbahre zimmern, die von einem zweiten Pferd gezogen würde. Mitten in der Nacht, beim Schein von Laternen machten sie sich dann auf die Suche nach dem Verletzten, den sie dann am Morgen des anderen Tages auch fanden. In einer gefrorenen Blutlache liegend, weiß wie der Schnee selbst und unfähig sich auch nur ein wenig zu bewegen. Wie aus weiter, weiter Ferne hörte Nathan die Stimme seiner Frau, das Prusten der Pferde, fühlte die nasse Schnauze seines Lieblingshundes in seinem Gesicht. Ruth selbst war dem Umfallen nahe, als sie sah, in welch schlechter Verfassung und wie schwer verletzt ihr Mann da im Schnee lag. Aber es sind das ganz besonders willensstarke Frauen, die so ein einsames Leben auf sich nehmen und ihre Familie fern jeder Zivilisation und Hilfe aufbauen. Und so gab es auch jetzt keine Zaudern oder Zögern, sie wusste, dass jede Minute kostbar war um Nathan aus der Kälte zu bringen. Mit Hilfe einer Decke zogen sie ihn auf die Trage und langsam, wie im Schneckentempo machte sich die Gruppe wieder auf den Nachhauseweg. Es dauerte Stunden, bis sie endlich das Farmhaus sahen, ein kleines Licht in jedem Fenster, dort warteten die Kinder auf die Rückkehr der Eltern. Little Ben hatte versucht mit lustigen Spielen und Geschichten das Warten einfacher zu machen, aber selbst in ihren jungen Jahren hatten sie die Größe der Gefahr instinktiv gespürt, als nun auch die Mutter sich auf machte und im Wald verschwand. Aber hier kamen sie, hier kamen sie alle wieder und hell jauchzend liefen sie den Pferden entgegen. Nathan hatte wieder das Bewusstsein verloren, als man ihn vorsichtig von der Bahre auf sein Bett legte. Blutiger Schaum stand vor seinem Mund, die Augen waren fast in den Höhlen verschwunden, die Lippen blau angelaufen. Jetzt hilft nur mehr Beten, dachte sich Ruth und einen Plan auszuarbeiten, wie man ihn in ein Krankenhaus bekommen könnte. Drei Tage lang lag Nathan unansprechbar in seinem Bett, drei Tage in denen Ruth nicht von seiner Seite wich und selbst die Kinder auf Zehenspitzen durchs Haus schlichen. Dann wollte er etwas zu trinken haben, dann konnte er etwas sprechen. Aber bei jeder Bewegung fuhren glühende Messer durch seinen Unterleib und es war ihm unmöglich sich aufzusetzen. Greg wollte mit den Pferden losreiten in Richtung Vanderhoof um Hilfe zu holen, aber es tobten Schneestürme in den Bergen und man wollte die Gefahr nicht eingehen, auch ihn noch zu verlieren. Als nach einer Woche, die Schmerzen nicht nachließen, sich aber das Wetter gebessert hatte, da gab es kein Halten mehr für Greg. Mit Rimrock, dem Pferd das den Unfall verursachte, das aber zum verlässlichsten und stärksten Tier in der Herde zählte, machte er sich auf den Ritt nach Vanderhoof, von dort sollte er mit einem Piloten Verbindung aufnehmen und vielleicht konnte eine Flugzeug auf Schiern in der Nähe der Farm landen und Nathan ins Krankenhaus bringen. Üblicherweise brauchte man drei bis vier Tage um von der Farm in die kleine Stadt zu kommen, aber Greg schaffte diese Etappe in nur 48 Stunden, wie, das wusste er dann selber nicht, aber die Angst um seinen Arbeitgeber, der auch wie ein Vater zu ihm war, verlieh ihm Flügel. Eine alte Junker war die einzige Maschine, die hier im Norden im Einsatz war und erst nach zwei vergeblichen Versuchen gelang es dem Piloten, das Flugzeug auf einer großen Wiese nahe der Farm zu landen. Sechzehn Tage nach seinem Unfall wurde Nathan vorsichtig in die Maschine gehoben und war auf dem Weg ins Krankenhaus nach Vancouver. Dort wurden etliche Röntgenaufnahmen gemacht, die Beine selbst waren heil geblieben, die Hüfte hatte einen Sprung, aber das Schambein war total zerschmettert und es würde Monate dauern, bis Nathan ohne Schmerzen wieder gehen würde. Ob er jedoch je wieder auf einem Pferd sitzen konnte, das wussten die Ärzte nicht zu sagen. Vorerst musste er sich auf mindestens 2 Monate Krankenhausaufenthalt vorbereiten und allen ärztlichen Anweisungen streng folgen. Etwas, was einem freiheitsliebenden Menschen wie Nathan fast unmöglich war. Aber seine Beine waren geschient und gestreckt, er hing an etlichen Infusionen und war gezwungen ruhig zu liegen. Nach drei Wochen jedoch ließ er sich aus dem Krankenhaus entlassen und nach Hause fliegen, er hatte einfach genug, er könne auch auf seiner Farm im Bett liegen und sich schonen, die Infusionen waren ohnehin schon abgesetzt, aber er würde dringend zu Hause gebraucht. Ruth und die beiden Kinder leben hunderte Meilen weg von der Zivilisation allein im Busch, Hundertzwanzig erstklassige Pferde, darunter an die sechzig Zuchtstuten, die bald ihre Fohlen bekommen werden, eine Herde von ausgesuchten Rindern, alles unter der Obhut von zwei jungen Indianerknaben, die noch nicht trocken hinter den Ohren waren, Nathan konnte den Gedanken nicht ertragen, was dabei alles schief gehen konnte. Er musste aus dem Krankenhaus, er musste nach Hause. Und so organisierten die Schwestern und Ärzte unter Protest seinen Rückflug in die Chilkoten, nahmen ihm aber das Versprechen ab, im Sommer zur Kontrolle wieder zu kommen. Die nächsten Wochen und Monate waren eine wahre Qual für alle. Nathan durfte sich nicht bewegen, konnte nur auf seinem Bett liegen und Anordnungen geben, das half, aber die schwere, schmutzige Arbeit musste von den drei Menschen durchgeführt werden, die eigentlich wirklich nicht dafür gebaut waren. Ständig war Ruth auf den Beinen, zwischen Haus und Scheune und Heuschobern unterwegs, damit die Rinder auch genügend Futter bekamen, auf die beiden Jungen konnte man sich nicht verlassen. Dann waren da die beiden kleinen Kinder und der schwerverletzte Mann. Es gab Tage da wusste sie nicht mehr weiter, da half dann nur ein stilles Gebet und eine kleine Andacht, draußen vor dem Farmhaus, unter dem Sternenhimmel, wenn sie ihre Tränen frei laufen lassen konnte und um Kraft von oben bat. Die Zeit schien zu stehen, viel zu langsam krochen die Tage dahin, obwohl sie eigentlich doppelt so viele Stunden haben müssten um die Riesenarbeit zu bewältigen. Dann kamen die ersten Kälber auf die Welt und die ersten Fohlen. Das Gute daran war, dass diese Tiere ja noch halbwild aufwuchsen und daher alleine mit der Geburt fertig werden konnten. Aber die schwächeren Tiere wurden ins Haus genommen, wenn der kalte Nordwind noch Schnee brachte. Die Kinder liebten es über alles, wenn zwei kleine Kälber durch die Küche staksten und man diese richtig verwöhnen konnte, mit ihnen spielen konnte. Nach einigen Tagen jedoch mussten sie wieder zurück zu ihren Müttern damit sie den Kontakt nicht verlieren. Und dann ging der Fleischvorrat zu Ende sodass sich Ruth eines Abends aufmachte um nach einem Elch zu suchen. Diesen auch fand und erlegte, auf Händen und Füßen durch den Schneematsch kriechend pirschte sie sich nahe genug an das riesige Tier heran, hielt ihren Atem an und nach dem zweiten Schuss brach er in den Zwergbirken zusammen. Nun kam die grausame, schwere Arbeit des Aufbrechens und Zerteilen. Für eine relativ kleine, zarte Frau eine fast unmögliche Aufgabe. Aber die Not, das Muss, die Liebe zu ihrer Familie, die ließ ihr Kräfte wachsen, von denen sie später nicht sagen konnte, wo sie herkamen. Stück für Stück packte sie das Fleisch auf den Rücken ihres Pferdes und brachte es zurück zur Farm. Die Nacht senkte sich schon über das Tal, die Wölfe hatten den Braten auch schon gerochen und ihre Rufe klangen von den Hängen, aber noch mussten sie warten, denn Ruth war fest entschlossen, auch keinen Knochen diesen Bestien zu hinterlassen. Sie waren der Grund, warum ihr Mann jetzt als Krüppel auf seinem Bett lag und nicht mehr arbeiten konnte. Die Fallen die er seinerzeit mitgenommen hatte um diese Räuber zu töten, die hätten ihm fast selber das Leben genommen, also war von nun an noch mehr Rache angesagt was die großen Bestien aus dem Norden anging. Im Schein einer Öllaterne packte sie die letzten beiden Schulterblätter und Rippenbogen auf Nelly und machte sich auf den Nachhauseweg. Übrig blieben nur das Fell und einige Laufknochen, der Schädel, der Rest war feinsäuberlich in Baumwolltücher gewickelt und in der Scheune aufgehängt worden. Über Nacht froren die Stücke und würden sich so lange zum Verzehr halten. Es kam das Frühjahr, es wurde Sommer, die Genesung von Nathan ging nur sehr, sehr langsam vor sich. Er konnte mittlerweile zwar schon am Tisch sitzen und langsam durch den Garten gehen, aber an ein Arbeiten oder Reiten war nicht zu denken. Also gab es auch in diesem Sommer nicht genügend Heu um die Tiere über den kommenden Winter zu bringen, düstere Wolken hingen über der Home Farm, Gedanken wurden laut, ob man nicht doch alles verkaufen sollte und in die Stadt ziehen. Dieser Gedanke war aber fast unerträglich, Ruth hatte mittlerweile das freie, wenn auch harte Leben einer selbständigen Farmersfrau lieben gelernt, die Kinder wuchsen unbelastet und frei auf die kleinen Rehe im Wald, Nathan jedoch kämpfte sehr mit seiner Unfähigkeit mehr Hilfe bei all den schweren Arbeiten zu sein. Nächtelang wälzte er sich auf seinem Lager und machte sich Gedanken und Sorgen über die Zukunft. Und dann kamen die letzten Sommerwochen ins Land und es wurde Zeit die weite Fahrt,über 300 Kilometer nach Vanderhoof anzutreten, wo Nathan sich im Krankenhaus zur Kontrolle melden musste. Wieder war es Ruth, die alleine die schweren Pferdegeschirre den Gäulen umhängen musste, die Pferde vor den alten Wagen spannen, Heu für ein bequemes Bett für Nathan in den Wagenkasten rechen. Er und die Kinder würden unter der Plane liegen und sitzen, während sie vorne auf dem Bock die Zügel der vier Pferde in festen kleinen Händen halten würde. Tagelang, über Stock und Stein, durch Flüsse und Wälder, entlang sumpfiger Wiesen, auf einem kaum wahrnehmbaren Wagentrail, bis man endlich in die Stadt kam. Das alles war ihr nicht in die Wiege gelegt worden, sie war keine Farmerstochter, sie kam eigentlich aus der Stadt, aber was lernt der Mensch nicht alles, wenn er muss. Und so brachte sie auch ihre Familie gut nach Vanderhoof, wurde dort von Freunden empfangen und Nathan begab sich gleich ins Krankenhaus zur Kontrolluntersuchung. Sehr erstaunt waren die Ärzte, wie schnell sich seine Verletzungen gebessert hatten, obwohl es ihm selber ja viel zu langsam ging. Aber das Schambein war an zwei Stellen noch immer nicht komplett verheilt und es war nicht sicher, ob es dies je tun würde, an ein Reiten wäre also nicht zu denken. Diese Nachricht traf ihn schwer, war doch das Reiten für einen Cowboy und Rinderfarmer das Wichtigste überhaupt. Noch wollte er es nicht wahr haben, noch hatte er die große Hoffnung, diesen Ärzten zu beweisen, dass sie alle falsch liegen, er würde es irgendwie schon wieder schaffen, auf die Beine, bzw. auf ein Pferd zu kommen. Nachdem man die Einkäufe erledigt hatte, einige Besuche gemacht hatte, zog die kleine Familie wieder auf ihre Farm in den Bergen zurück. Der Regen hatte die Straße stellenweise fast unbefahrbar gemacht, aber mit Mühe und vielen Umwegen kamen sie ihrem Ziel immer näher. Es war immer eine große Freude und Glückseligkeit, wenn sie die Stadt hinter sich lassen konnten, wenn sich die weiten, endlosen Täler der Chilkoten vor ihnen auftaten, die Berge immer näher rückten, der Fluss entlang des Weges munter dahin floss, das war Heimatgefühl, hier gehörten sie hin! Alles in allem war die Familie fast drei Wochen unterwegs und als endlich das letzte Tal in Sicht kam, in dem ihre Farm stand und wo sie all ihre Arbeit und Hoffnungen auslebten, da konnte sich Ruth nicht mehr zurück halten. Sie bat Nathan es doch mit dem Pferdewagen zu versuchen, reichte ihm die Leinen und schwang sich selbst auf die treue Nelly. Sie wollte vorreiten, ein Feuer im Ofen starten und alles vorbereiten, wenn er mit den Kindern dann nachkam. Sie gab Nelly leichte Tritte in die Flanken und schon ging es flott in Richtung Farm, da vorne, da war schon die Scheune zu sehen, das Haupthaus und der Korral für die Pferde. Nelly roch auch schon die duftenden Heuschober und begann einen leichten Trab in Richtung Heimat. Schnell machte Ruth den Korral auf, nahm dem treuen Tier das Halfter ab und warf ihm etliche Gabeln Heu vor. Dann machte sie sich auf den kurzen Weg zwischen Scheune und Haupthaus, als sie ein unangenehmes Gefühl beschlich, sich die Nackenhaare einzeln aufstellte. Sie hatte schon immer ihre Vorahnungen, auch diesmal war hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Ihr Schritte wurden langsamer und zögerlicher, irgend etwas stimmte nicht, und dann schob sich aus den kleinen Weiden, keine zwanzig Meter neben ihr, ein riesiger Bärenkopf, Grizzly, war der erster Gedanke, das Tier stellte sich auf die Hinterbeine, nahm hohen Wind, kehrte um und verschwand wieder in den Büschen. Das Herz rasend, kaum Luft in den Lungen, so bleib Ruth wie angewurzelt stehen. Was nun, zurück zum Korral oder nach vorne ins Haus, blitzschnell musste sie jetzt eine Entscheidung treffen. Diese wurde ihr aber abgenommen, als hinter ihr ein anderer Grizzly aus den Büschen kam und ihr den Weg zum Korral versperrte, also langsam auf das Farmhaus zu, aber da kamen wieder zwei andere Bären aus den Weiden und machten sich auf den Weg in Richtung Haus, und als sie genau hinschaute, lag da noch ein riesiges Tier direkt auf der Veranda vor dem Haus. Dann sah sie aber auch den Grund dieser Versammlung, einige Meter vor dem Farmhaus lag der Kadaver eines verendeten Pferdes, diesen gedeckten Tisch hatten sich die Grizzlybären natürlich nicht nehmen lassen. Nathan und die Kinder werden gleich hier sein, er ist ein Krüppel, er kann sich nicht verteidigen, die Kinder sind sowieso hilflos hier. Ich muss zurück, ich muss sie warnen. Ihre eigene Angst vergessend machte sie sich zu Fuß auf den Weg um dem Pferdegespann entgegen zu gehen und ihre Familie zu warnen. Schweißgebadet und total außer Atem aber mit Hilfe all ihrer Schutzengel schaffte sie den Rückzug obwohl, das stellten sie dann später fest, an die zwölf Grizzlybären im Bereich der Farm waren. Das ist ein ganz ungewöhnliches Erlebnis, normalerweise sind die Bären Einzelgänger, aber wo es so viel Nahrung gibt, da vertragen sie sich und ignorieren auch den Menschen. Nathan sah die Gestalt seiner Frau auf sich zuwanken und hatte gleich den Verdacht, dass hier Bären im Spiel sein müssten. Er ließ sich von seinem Sohn das Gewehr aus dem Wagenkasten reichen und machte es schussbereit. Ruth stieg mit auf den Bock und gemeinsam versuchten sie die Pferde, die mittlerweile vom Gestank der Grizzlybären unruhig geworden waren, so nahe wie möglich an die Farm heranzufahren. Zwei, drei der Bären wollten den Kadaver nicht verlassen und dann ließ Nathan seine Gewehr sprechen und erschoss zwei von den insgesamt acht, die noch auf dem Rasen vor dem Haus waren. Die restliche Munition wurde in die Luft verschossen, der Krieg war ausgebrochen, und die Tiere suchten das Weite.
Hatte man bisher den Gedanken an einen Verkauf der Farm mit aller Gewalt von sich geschoben, dieses Abenteuer jedoch brachte ihnen wieder voll zu Bewusstsein, wie verletzlich, wie verloren sie da draußen in den Bergen lebten. Wenige Wochen später wurden die letzten Rinder und Pferde nach Vanderhoof getrieben, die Farm zum Verkauf ausgeschrieben. Nathans Gesundheit spielte hier natürlich auch eine große Rolle und die kleine Familie suchte sich ein neues Zuhause am Rande der Stadt. Ruth blieb vorerst bei den Kindern, die bald das Schulalter erreichen würden und Nathan begann einen kleinen Handel mit Futtermitteln und allen möglichen Dingen, die man zum Führen einer Farm benötigt. Über viele Jahren waren die beiden eine große Hilfe für junge Farmer, die ihren ersten Hausstand gründen wollten. So konnten sie ihre eigenen Erfahrungen, die sie in den Jahren ihrer Tätigkeit auf der einsamen Farm in den Bergen gesammelt hatten, doch noch weiter geben. Aber auch im Norden von British Columbia blieb die Zeit nicht stehen, es kamen die “roaring sixties”, eine Zeit des Aufschwunges und der Landflucht. Man konnte viel Geld verdienen in den Bergwerken, bei den Sägemühlen und beim Abholzen der unendlichen Wälder, die mühsame, schwere Arbeit eines Rinderfarmers 300 km weg von der Zivilisation war nicht mehr der Zukunftstraum der jungen Generation. Und so stand die Farm bald leer, Schnee, Regen und Sturm machten sich an die Arbeit und die einzelnen Gebäude waren dem Verfall preis gegeben. Man kann zwar heute mit einem guten Allradfahrzeug weit in die Chilkotin Berge und Täler hineinfahren, auf den vielen Schotterstraßen die nach dem Abholzen der Wälder zurück geblieben sind, aber von den einst mit so viel Fleiß und Liebe aufgebauten Gehöften sind nur mehr Ruinen zu finden.