Im Outfitterbusiness
Dolores
Im Spätherbst, nach Ende der offiziellen Jagdsaison im Yukon war ich nochmals auf der Fahrt nach Stuart Crossing und weiter den Silvertrail in Richtung Mayo und Keno City. Im Altersheim vom Mayo, wo ich eine Ladung Elchfleisch abliefern musste, wir hatten zu viel von den europäischen Jägern über und dort gab es Mangel, sassen einige ältere Frauen, Weisse und Indianer, und erzählten von den guten alten Zeiten. Wie gut sie wirklich waren, diese Zeiten, dass lässt sich heute mit all dem Luxus der uns umgibt, anzweifeln, aber sie hatten auch wirklich ihre schönen Seiten. Oftmals fiel der Name Dolores, sie wäre eine aus den Staaten gewesen, die hierher geheiratet hätte und es dann schaffte, die erste offizielle Outfitterin im Yukon Territorie zu werden. Da spitzte ich natuerlich gleich meine Ohren und wollte mehr, viel mehr über diese besondere Frau wissen. War es doch mein grosser Traum, auch eines Tages ein eigenes Jagdrevier hier im Yukon zu leiten. Daraus wurde aus finanziellen Gruenden nun leider nichts, aber ich konnte mir ein Leben aus dieser Wildnis mitnehmen in die grosse Stadt nach Whitehorse, wie es auch nur ganz wenige Frauen erlebt hatte.
Dolores kam aus Kalifornien, buchte sich eine Jagd auf Elch mit einem der besten Outfitter des Yukons in der Region um Bonnet Blume und Snake River. Und neben einer gewaltigen Elchtrophäe hatte sie sich auch den Mann fuers Leben “erlegt”, wie die Geschichte erzählt.
Schnell entschlossen kuedigte sie ihre Arbeit in den Staaten und machte sich gleich nach Ende des Winters wiederum auf den Weg in den Yukon. Mit im Gepäck, das zwei Tonnen wog, waren neben einer Unzahl von Buechern und antiquen Möbelstuecken auch eine Unzahl von Schuhen. Da Dolores eine sehr kleine Frau war, konnte die Absätze = Stöckeln = nicht hoch genug sein, nur was sie im Schlamm der Yukon Wege und Strassen damit anfangen wollte, das hatte ihr niemand erzählt. Geheiratet wurde wenige Tage nach ihrer Ankunft in der kleinen Holzkirche in Whitehorse und dann wollte das junge Ehepaar sich ein Häuschen in der Nähe der Stadt suchen. Dies war allerdings nicht nach Dolores Vorstellungen, sie wäre nicht in den Norden gekommen, wenn sie nicht wirklich irgendwo weit draussen in der Wildnis leben könnte, sagte sie ihrem Mann Louis. Dieser konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass ein so feines Stadtfräulein wirklich mit der Einsamkeit da draußen fertig werden könnte. Man ging also einen Kompromiss ein und Louis wollte mit ihr zwei Wochen Ferien am Lansing River in einer alten Trapperhütte machen. Weit weg von der Zivilisation ohne Nachbarn, ohne Strom oder fließendes Wasser. Wenn sie dann von der Wildnis noch nicht genug hätte, dann könnte man über den Bau einer neuen Blockhütte auf seinem Farmgelände außerhalb von Mayo sprechen.
Schnell wurden die notwendigsten Dinge in ein Kanu gepackt und die Reise konnte beginnen. Der Lansing ist ein Nebenfluss des Stuart River und die einzige Möglichkeit ihn zu erreichen ist mit dem Boot. Tagelang muss man gegen die Strömung das Kanu mit einer langen Stange das Ufer entlang schieben, an einigen Stellen muss man den Fluss verlassen und über eine sogenannte “portage” sein Hab und Gut und dann das Boot am Ufer entlang tragen, weil die Stromschnellen zu hoch und wild dahinbrausen. Aber sie kamen an. Dolores hatte tagelang Zeit über ihr neues Zu Hause nachzudenken und sich auszumalen, was auf sie zukommen würde. In der Trapperhütte lebte vor vielen, vielen Jahren eine Familie aus Skandinavien. Die junge Ehefrau hatte viele ihrer wertvollen Möbelstücke und Geschirr von Europa über das große Wasser gebracht und sich ein sehr schönes, komfortables Heim eingerichtet. Die Wände der Hütte selbst waren nicht mit Tapete, nein, sie sollen mit weichgegerbten Fellen von Kaninchen und Eichhörnchen verkleidet gewesen sein. Richtiges Fensterglas war in den Scheiben eingesetzt. Von all diesen Herrlichkeiten nun träumte Dolores auf der Anreise nach Lansing. Die raue Wirklichkeit, die sie dann vorfand, die hätte ihr fast den Mut genommen. Keine Fensterscheiben mehr im Haus, von den herrlich weich/weiß gegerbten Wandfellen hingen nur noch wenige Fetzen in den dunklen, verrußten, schmutzigen Ecken herunter. Von den Möbeln gab es nicht einmal mehr die Scharniere. Leer, dreckig und voll mit Unrat war der einzige Raum der kleinen Hütte. So, nein so hatte sie sich ihren Beginn der Ehe nicht vorgestellt. Aber sie war nicht mutlos, sie ließ sich nicht so schnell abschrecken. Schnell fegte sie all den Mist aus dem Haus, die mitgebrachten Hängematten wurden aufgehängt und der kleine Faltofen aus Blech erwärmte die Hütte schnell. Auf einem alten Karton begann sie dann sogleich mit dem Aufzeichnen des neuen Hauses, das ihr Louis auf der Farm würde bauen müssen, damit sie endlich ihr wertvollen Möbel und Schätze standesgemäß unterbringen konnte. Aber auch das blieb nur ein Traum, die Realität war dann wohl ein sehr gemütliches, warmes Blockhaus, aber eben nur halb so groß, als Dolores es am Plan gezeichnet hatte.
Nun aber mussten die nächsten zwei Wochen hier als Flitterwochen in der Wildnis geplant, gut überstanden werden. In einem Erdloch, das sicherlich einmal als Vorratskeller diente, fanden sie einige Dosen von dunkelgrüner Farbe und gleich begann sie damit die Innenwände der Hütte zu bemalen. Zu dunkel, viel zu dunkel, warum nimmst Du nicht das sonnige gelb, fragte Louis, die Tage werden hier so kurz, dass wir fast ständig die Kerzen werden brennen lassen müssen. Aber nein, zu den neuen blumigen Vorhängen, die sie mitgebracht hatte, da passt das Gelb überhaupt nicht, nur ein schönes Grün, ja ein Grün musste es sein. Um nicht gleich mit großen Debatten die junge Ehe zu beginnen, gab Louis nach, als sich die junge Frau dann aber nach wenigen Tagen über die düstere Ausstrahlung des Raumes beschwerte, da grinste er nur und sagte ihr, sie hätte noch viel in diesem Land zu lernen.
Und das tat sie dann auch wirklich. Sie lernte schießen wie keine andere weiße Frau je im Yukon geschossen hatte, sie lernte im Winter die Felle der getrappten Tiere zu behandeln, sie lernte auf einem offenen Camp Feuer eine komplette Mahlzeit mit drei Gängen zu kochen und eines Tages, da wurde sie zur ersten weißen Outfitterin des Yukon ernannte. Ihr Leben spielte sich zwischen der Farm am Rande von Mayo und den in den Bergen verstreut liegenden Jagdlagern ab. Sie lernte reiten und die Pferde selber bepacken, es gab nichts, wo sie nicht mit Hand anlegte und die Führer und Mitarbeiter hatten einen großen Respekt vor dieser so ungewöhnlichen Frau. Sie, die aus der Stadt kam, die einen Beruf in einem Buero hatte, sie wurde eine der Besten da draußen in der Wildnis. Obwohl sie viele, oft sehr gefährliche Abenteuer überstehen und erleben musste. Aber sie schaffte es immer wieder und das machte sie hart und zäh.
Die Nacht, die sie auf einem sogenannten “Cache” einer Plattform oben in den Bäumen verbringen musste, weil der Grizzlybär unter ihr an die oben gelagerten Lebensmitteln wollte. Diese Nacht brachte ihr viele weiße Haare, aber sie überstand sie gut und letztlich, als dann endlich die Sonne über den Horizont aufstieg, da konnte sie mit der letzten Patrone die sie noch hatte, den Bären mit einem Schuss erlegen. Mit zitternden Beinen stieg sie von ihrer Plattform, kalt und durchfroren, oder aber von der nachwirkenden Aufregung zitternd, das wusste sie dann nicht mehr so genau zu sagen, aber stolz aufgerichtet eilte sie auf die Hütte zu um gleich ein wärmendes Feuer zu entfachen. Als dann nach Stunden die ersten Führer von ihrer Jagd nach Hause kamen und sie so verstört vorfanden, da zeigte sie ihnen nur die Stelle wo der Bär lag und bat sie, ihn aus der Decke zu schlagen. Wenige Worte, wenige Handgriffe, aber alle saßen und konnten wie im Schlaf bei Nacht und/oder Nebel durchgeführt werden. Und die weißen Haare wurden bei einem Besuch im Whitehorse beim Friseur dann wieder in dunkelbraun eingefärbt!
Für viele Jahre war es die Hütte am Lansing River, die es Dolores besonders angetan hatte und wo sie gerne mehr Zeit verbringen wollte. Dort gedieh der prächtigste Rhabarber, die Stängel fast 2 m lang und eine besonders beliebtes Dessert der Familie und Gäste war ihr Rhabarberkuchen mit Vanillesauce und Schlagobers. Louis hatte vor seiner Heirat diese Ecke des Yukon jahrelang im Winter auf seiner Trappline durchstreift und kannte jeden Winkel. Er war es aber auch, der vor den hier besonders aggressiven und bösartigen Grizzlybären und Wölfen warnte. Jeden Winter waren einige seiner Fallen von einem Bären ausgeräumt worden, wenn dieser seinen Winterschlaf unterbrochen hatte um einen kleinen Ausflug zu machen. Riesige Wolfsrudel durchstreiften das Tal und die Berghänge und kamen auch bis an die Hütten heran. Daher war seine Warnung immer wieder, doch nicht hier das ständige Heim zu errichten, sondern sich auf die Farm am Rande von Mayo City so begeben. Aber eigensinnig und starrköpfig wie Dolores einmal war, musste erst ein fürchterlicher Unfall passieren, um ihr das nötige Einsehen zu geben. Vorerst musste die Hütte einmal wohnlich und “stadtfein” gemacht werden. Wie gesagt mit grüner Wandfarbe, dann konnten die Trophäen wieder aufgehängt werden, dann wurde ein Himmelbeet hineingestellt und zu Letzt sollte dann noch ein besonderer Louis XV Stuhl angereist kommen und die Einrichtung vervollständigen. Das war nun gar nicht nach dem Geschmack des rauen Wildnis Läufer, er meinte der Louis XIV sollte so schnell wie möglich den Yukon wieder verlassen, hier sei kein Platz für Rüschen und Spitzen und Plüschpolster, sie hätte ja schon einen Louis, ob der nicht reiche?...und mit den Jahren sah dann natürlich auch Dolores ein, dass ihre edlen Möbelstücke besser in der Stadt aufgehoben wären, als hier zwischen Bären und Wölfen. Vor allem als eines Tages die traurige, schaurige Nachricht kam, dass ein Trapperfreund von einem Grizzlybär an seiner Hütte attackiert wurde und dann starb, die Wölfe die Reste des Menschen auffraßen, da hielt die junge Frau nichts mehr in dieser einsamen, wilden Ecke des Yukon, da wollte sie die Winter dann doch lieber in ihrem neuen Haus auf der Farm verbringen. Denn selbst dort war das Leben noch sehr einfach zu Anfang, was Elektrizität und fließendes Wasser anlangte, erst im Laufe der Jahre wurde sie mit diesen Dingen der Zivilisation verwöhnt. Der Beginn war einfach und primitiv, waschen in Eimern, sowohl Mensch als auch die Wäsche, Licht aus Kerzen und Petroleumlampen. Geheizt wurde mit einem riesigen Kamin, der aus selbst gesammelten Flusssteinen aufgebaut war und den Mittelpunkt des bescheidenen Heimes darstellte. Kochen lernte sie schnell und gut, da hatte sie keine Probleme damit, selbst auf dem Trail konnte sie in Windeseile eine wunderbare Mahlzeit zubereiten.
Ja und so fuhren sie dann immer seltener den Lansing River hinauf, blieben auch beim Jagen mehr in den Bergen und verwendeten hauptsächlich Pferde, und langsam holte sich die Wildnis die leerstehende Hütte am Fluss wieder zurück. Einige Winter wurde sie noch von Fallenstellern besucht, aber nach dem tödlichen Unfall vermieden auch diese das Tal und so verfiel der Traum von Dolores immer mehr und mehr. Es geht dann schnell, Schnee, Wind und Regen, die glühende Sonne, alles arbeitet an dem alten Holz und schnell wird aus einem angenehmen Heim nach wenigen Jahren eine unbewohnbare Ruine, in die Ratten und Siebenschläfer einziehen, sich Eichhörnchen ihre Winterlager anlegen und der Mensch kann nur seinen Erinnerungen nachhängen. Über viele, viele Jahren haben Dolores und Louis sehr erfolgreich ihr Jagdunternehmen geführt, viele Gäste aus Amerika und Europa kamen zu ihnen und alle hatten gute Erfolge. Der Yukon war von den Jägern entdeckt worden, es gab Wild in großer Menge, doppelt so viele Elche z. B. Als Menschen und auch Karibus und Bären nach Belieben. Als sie dann älter wurden und Louis nicht mehr so gesund war, da gaben sie das Revier ab und lebten noch etliche Jahre glücklich auf ihrer Farm. Dolores betätigte sich im Tourismus und brachte den ausländischen Besuchern diesen Teil des Yukon nahe, bis sie dann im hohen Altern, nach dem Tod ihres Mannes ins Altenheim ging um dort ihre Tage zu beenden. Aber die Anerkennung, als erste weiße Outfitterin im Yukon gearbeitet und gelebt zu haben, diese Anerkennung trug sie wie eine Medaille mit sich herum und erzählte auch allen davon, die sich dafür interessierten. Der Weg war weit von Kalifornien bis zum Yukon, das Leben konnte nicht unterschiedlicher sein, aber sie fand ihren wahren Beruf, ja ihre wahre Berufung da draußen in der unendlichen Weite und Natur. Etwas, was ich aus vollem Herzen mitfühlen und nachvollziehen kann. Der Yukon, “The Magic and the Mystery”, sagt man, der lässt einem nicht mehr los, der geht so dermaßen unter die Haut, wie es besser/schlimmer nicht sein kann.