Heide Schütz Raw Cut Geschichten verfallener Hütten
Im Hinterland von Barkerville
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Im Hinterland von Barkerville, B.C.

Laura und Walt

Fünfzig Jahre nach dem berühmten Goldrausch rund um Barkerville, British Columbia, der mit der Gründung des Dorfes 1862 seinen Anfang nahm, kamen Laura und Walt, auf ihrer Reise in den Norden in Ashcroft an. Bis hierher hatte sie die Eisenbahn gebracht, ab hier ging es nur mehr mit Pferdegespannen weiter.
Ashcroft im Jahre 1912 war ein kleines verschlafenes Dorf, stellte jedoch zur damaligen Zeit einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt dar. Die Eisenbahn, deren Geleise entlang des Fraser Rivers von Vancouver in den Norden führt, zweigt hier nach Osten ab, in Richtung Kamloops und weiter nach Alberta. Der Norden British Columbias war nur auf dem berühmten Gold-Rush-Trail, einer unbefestigten, sehr schmalen Schotterstraße zu erreichen. Heute ist dies der Highway 97 der von Vancouver bis hinauf zur Yukon Grenze führt und zu einer der meist befahrenen Straßen British Columbias zählt.
Es herrschte eine glühende Hitze im engen Tal des Thompson Rivers und Laura und Walt waren froh, als sie endlich aus dem Zug aussteigen und einige Tage Rast einlegen konnten. Für Walt waren die Tage allerdings nicht so erholsam, denn es war seine Aufgabe, das mitgebrachte Hab und Gut auf einem großen, schweren Wagen zu verladen, den dann vier starke Pferde in den Norden ziehen sollten. Es gab einige Hotels, ein Teehaus und einen Generalstore in der kleinen Ansiedlung, wo die Reisenden alle lebensnotwendigen Dinge kaufen konnten, Vorläufer der heutigen Supermärkte! Walt suchte ein besonders stabiles Fahrzeug, das den Namen “Democrat” trug, aus. Dieses wurde umgehend mit Seitenwänden und einem dichten Planendach versehen, das die beiden vor Regen und Sonne schützen sollte. Matratzen und Bettzeug wurde in eine Ecke des Wagens gepackt, darin würden die kommenden Nächte verbracht werden. Lebensmittel, Küchengeräte sowie die wertvollen Kisten mit feinem Porzellan und Gläsern, Tisch- und Bettwäsche aus feinstem Leinen, dass die junge Frau als Hochzeitsgeschenke von der Familie bekommen hatte, nahmen den restlichen Platz ein. Besonders stolz waren diese Pionierfrauen auf ihre Gläser und Essservice, die sie bis ins tiefste Hinterland mitbrachten. Als Krönung dieser riesigen Ladung wurden noch drei Holzkäfige mit lebenden Hühnern oben aufgeschnallt, die unterwegs und später im neuen Zuhause als wichtige Nahrungsmittellieferanten dienen sollten. Dies alles ging relativ leicht und problemlos über die Bühne, schwieriger war es schon geeignete Pferde für diese lange, anstrengende Reise zu finden. Es gab einfach nicht genug, die zum Verkauf angeboten wurden und so musste Walt seine Suche auch außerhalb des Dorfes fortsetzen und dabei traf er einen sehr einflussreichen, bekannten Mann. Mister Will Barker persönlich, der Mensch, der den Goldrausch 1862 ausgelöst und als erster seine Nuggets im Williams Creek hinter Wells, B.C., gewaschen hatte. Nach ihm wurde dann die Ansiedlung benannt, die zum Höhepunkt des Goldrausches über 30.000 Menschen beherbergte. Er hatte einen Reichtum gefunden, diesen aber genauso schnell, oder schneller noch wieder ausgegeben und verloren. Über Jahre hatte er dann ein Transportunternehmen geleitet und führte Wagenkolonnen von Ashcroft hinauf in den Norden, nach Williams Lake, Quesnel bis Prince George. Er war es nun der Walt behilflich war geeignete Pferde für diese Fahrt auszusuchen. Bald schon fanden sie zwei ältere, erfahrene Rösser, die es gewohnt waren einen so vollbeladenen Wagen über lange Strecken zu ziehen, ein drittes Pferd, eine Stute wurde auch noch gefunden, aber das vierte Pferd war ein Jungtier, das noch nie auf so einer Fahrt gewesen war. Dieses musste von den älteren Tieren im Laufe der Tage und Wochen lernen, was nicht immer einfach war und oft zu einem ungewollten Rodeo führte. Walt selber hatte auch nicht viel Erfahrung mit dem Umgang von Pferden, sodass sich das Unternehmen als wirkliches Abenteuer gestalten würde.
Vollbepackt bis oben, mit Hilfe von Will wurden die vier Pferde vorgespannt, Laura bestieg den Sitzbock, Walt machte die Führungsleinen los und ab ging die Post. Vorne weg waren die erfahrenen Tiere gespannt, die das Tempo angaben und nach einigen Ausbruchsversuchen hatte auch das junge Tier es gelernt im Geschirr und im Tritt zu bleiben. Die Stute zeigte sich allerdings besonders lahm und langsam und müde, aber auch ihr half es nichts und sie musste sich dem Tempo angleichen. Unter strahlendem, wolkenlosen Himmel begann nun die letzte Etappe zur neuen Heimat. Irgendwo im Norden wollte man sich niederlassen, eine Farm aufbauen und in und von der Natur leben. Durch die Gespräche mit Mr. Barker waren die Gedanken in Richtung Quesnel, Wells und Barkerville gesteuert worden und der Wunsch vertiefte sich, dieser Ecke in der Wildnis einen Besuch abzustatten, zu sehen, ob man hier eine Existenz aufbauen konnte. Aber bis dahin war noch ein weiter Weg auf steilen, kurvigen Straßenstücken, durch reißende Bäche und Flüsse. Das alles musste erst einmal heil überstanden werden, bevor man sich weitere Gedanken machen konnte, wo man sich letztlich wirklich ansiedeln wollte.
Die Nächte verbrachte das junge Ehepaar zum größten Teil im eigenen Planwagen, irgendwo entlang eines Flusses oder an einem Seeufer. Gekocht wurde sehr sparsam und primitiv an einem Lagerfeuer, immer musste man sich einen Platz mit gutem Gras aussuchen, damit sich die Pferde über Nacht ordentlich voll fressen konnten. Nach fast einer Woche auf der Reise kamen sie dann endlich in Clinton an und verbrachten zwei Tage hier in einem der alten, historischen Hotels, dem Caribou Inn. Clinton war ein sehr bekannter, beliebter Rastplatz in alten Zeiten und das alte Hotel für seine reichhaltigen Mahlzeiten bekannt. Von den umliegenden Farmen und Minen kamen die Menschen abends ins Dorf um sich einmal so richtig satt zu essen. Rinderbraten in dicker Sauce, Schweinskoteletten, Kartoffeln, Nudeln, Gemüse aus Dosen oder je nach Saison auch frisch, Reis und als Nachtisch jede Menge frischgebackener Kuchen und Torten, ein Überfluss, der die Tische nur so bog. Die Menschen hatten nicht viel Geld in den Taschen zu dieser Zeit, außer sie hatten Gold oder andere Minerale gefunden, die auch als Zahlungsmittel galten, aber sie waren überaus fleißig und arbeiteten hart. So eine Festtafel wie im Caribou Inn, das war Ostern und Weihnachten zugleich!
Die Pferde standen auf einer Koppel durch die ein kleiner Bach floss, hatten daher Gras und frisches Wasser im Überfluss und konnten sich ebenfalls gut erholen. Groß war die Aufregung und die Überraschung für Laura und Walt, als sie ihre Stute einfangen wollten und diese ein neugeborenes Fohlen an ihrer Seite hatte. Daher war das Tier so müde und langsam gewesen! Das galt als guter Start in ein neues, erfolgreiches Leben. Da die Hufe des jungen Pferdes jedoch noch sehr weich waren und die Verletzungsgefahr auf der felsigen Straße oder in dem heißen Schotter sehr groß wäre, ging Walt gleich daran dem Fohlen ein paar Lederschuhe zu nähen und überzuziehen. Derart geschützt lief es munter neben seiner Mutter her, als sich der Wagen wieder auf die Reise machte. Die Tage zogen sich eher eintönig dahin, die Landschaft wechselte von einer Halbwüste rund um Ashcroft und Cache Creek, endlosen Weiden und Farmland rund um Clinton bis hin zu den Hügeln, Bergen und Schluchten weiter im Norden, 100 Mile House, Williams Lake. In Williams Lake wurde auch wieder eine längere Rast eingelegt. Hier zweigte die Straße nach Westen und Süden in Richtung Küste ab. Hier gab es riesige Rinderfarmen und die Herden wurden ebenfalls auf dem Gold-Rush-Trail zu den Versteigerungen getrieben. Ab Williams Lake wurde die Straße noch enger, immer weniger Menschen zogen in den Norden, immer schlechter wurden die Verhältnisse. Tagelang mühte sich das schwere Gefährt durch die Berge in Richtung Quesnel und als man dann endlich dort ankam, da waren Laura und Walt mit ihrer Geduld und den Nerven so ziemlich am Ende. Eigentlich wollten sie keinen Meter mehr weiterfahren, die Pferde waren dünn und mager geworden, kämpften sich auch mit letzter Kraft die steilen Kehren hinauf. Alles war verstaubt und schmutzig, irgendwann reichte es!
Quesnel, am Ende der Caribou Road, am Ende der “Straße” hatte sich zu einem größeren Ort herausgemausert, in dem emsiges Treiben herrschte. Menschen von ganz Kanada, von der ganzen Welt waren hier vereinigt, alle von dem selben Gedanken getrieben, irgendwo fern ab der Zivilisation ein neues Leben zu beginnen. Die Häuser lagen alle entlang der einzigen Straße, die durch die Siedlung führte oder entlang des Fraser Rivers, der seinen Weg in den Süden sucht. In den weiten Tälern rund um das Dorf lagen vereinzelt die Farmen mit ihren großen Rinderherden. Das Land war fruchtbar und unermesslich groß und weit. Die Winter nicht so kalt und grimmig wie weiter im Norden. Die Versuchung war groß, sich hier einen geeigneten Platz zum Siedeln auszusuchen. Aber....
Laura und Walt quartierten sich in dem einzigen Hotel ein, das es damals in Quesnel gab. Nach den vielen Nächten auf engstem Raum im Planwagen hofften sie auf Ruhe und ein bequemes Lager. Als man ihnen jedoch ihr Zimmer zeigte, konnten sie sich vor Staunen nicht fassen. Das Erdgeschoss des Gebäudes wurde ganz von Küche und Speisesaal eingenommen, über eine sehr steile, enge Treppe gelangte man in den ersten Stock. Hier waren die Schlafzimmer, 2 x 2 m mit nur einem Bett und einem Stuhl ausgestattet. Die einzelnen Zimmer waren wie Zellen in einem Kloster nur mit einer dünnen Papierwand abgetrennt, die nicht einmal bis an die Decke reichte, sondern oben einen Spalt von einem guten halben Meter frei ließ. Dies war zwecks einfacherer Beheizung der “Zimmer” nicht anders möglich. Also hörte man die Nachbarn atmen, schnarchen, sich kratzen, husten...an eine ruhige Nacht war nicht zu denken. Das gab wohl auch den Ausschlag, warum Laura und Walt nach zwei Tagen wieder ihren Planwagen bestiegen und sich auf die Weiterfahrt in Richtung Barkerville machten. Diese Art von Zivilisation, die war ihnen nun doch nicht ganz geheuer und lieber schliefen sie unter Sternen irgendwo an einem Seeufer, als auf so engem Raum mit unbekannten Menschen ihre Nächte zu verbringen.
Besonders Laura genoss diese Nächte im Freien, den Morgen, wenn noch Nebel über dem Wasser lagen, im fernen Osten langsam das erste Licht erwachte. Ein Bad in einem eiskalten Bergfluss der das Blut in den Adern so richtig pulsieren lässt und den letzten Schlaf vertreibt. Anschließend wird einem so rundum richtig wohlig und warm, man sitzt im Ufersand und lauscht dem munteren Gurgeln, dem Rauschen des Wassers. Während am nahen Lagerfeuer der Speck in der Pfanne pruzzelt und der Duft des Kaffees sich mit dem frischen Atmen der aufwachenden Natur vermengt. Tau liegt noch auf den Gräsern und die ersten Sonnenstrahlen lassen ihn funkeln wie Diamanten. Wer dies alles nicht kennt, der vermisst, in Lauras Augen, das einzig Wahre und Beste auf dieser Welt.
Einige Kilometer hinter Quesnel zweigt die Straße in Richtung Barkerville nach Osten ab, was nun folgt ist eigentlich nicht mehr Straße zu nennen. Ein Karrenweg, bestehend aus einigen tiefen Rinnen in Schotter und Schlamm schlängelt sich durch die Berge. Bei starkem Regen wird dieser Pfad unbefahrbar, man muss tagelang irgendwo Unterschlupf suchen und warten, bis der Weg wieder einigermaßen trocken wird, sonst versinken die Pferde in den Schlamm, die Räder verschwinden bis zu den Achsen darin und ein Weiterkommen ist unmöglich. Aber Laura und Walt hatten in diesem Frühsommer Glück und erreichten ohne große Verzögerung das Ziel ihrer Träume, Barkerville. Von der seinerzeit so emsigen, stark bevölkerten Stadt war nicht mehr viel zu sehen. Die meisten Häuser waren halb verfallen, die Gehsteige aus Holz sanken langsam zurück in den Schlamm. Nur die Kirche stand noch da, als Wahrzeichen einer besseren Zeit. Im sogenannten Chinesenviertel von damals gab es noch zwei Läden in denen man alles mögliche kaufen konnte. Ein Hotel, ein Kaffeehaus und einige bewohnbare Holzhäuser, das war alles was von dem Barkerville der Jahre 1862 bis 1880 übrig geblieben war.
 Heute ist die Stadt für die Touristen wieder aufgebaut worden und gilt als eine der Hauptattraktionen im nördlichen British Columbia und wird von tausenden Menschen jährlich besucht. Aber der Name “Geisterstadt” ist geblieben, die Öffnungszeiten sind von Mai bis Oktober, dann verfällt die Stadt wieder in einen Dornröschenschlaf. Die Geister aber leben in den leeren Räumen weiter und bleiben sehr lebendig auch nach Schließung der Touristensaison. Im Williams Creek wird immer noch nach Gold gewaschen, auch wird immer noch welches gefunden, was ein Fortleben der Geschichte bewirkt. Es ist fast eine Pflichtbesuch mit europäischen Gästen die Fahrt nach Barkerville zu unternehmen. In der Saison bevölkern Einheimische in den damaligen Trachten die Gehsteige, in den Geschäften werden Souvenirs angeboten, all abendlich wird eine Gerichtsverhandlung abgehalten, wie eben in der guten alten Zeit. Musik und Volkstanz runden das Programm ab und in einer künstlich aufgebauten Wassermühle kann man Gold waschen, das allerdings vorher vom Besitzer hineingeworfen wurde, aber den Kindern vor allem macht’s Spaß.
Laura und Walt hatten sich eine Homestead ungefähr Sechsunddreißig Meilen hinter Barkerville ausgesucht, dort wollten sie ein neues Zuhause in der Wildnis gründen. Nun hieß es den schweren Planwagen zu verkaufen und dafür neue Packpferde einzuhandeln. Ab hier geht es auf alten Wildwechseln, ohne Weg und Steg, quer durch die Landschaft. Alles Hab und Gut wurde auf diese Pferde verladen, jedes der Tiere konnte ungefähr 80 bis 90 kg schleppen und das Aufpacken alleine war schon eine Wissenschaft für sich, die Walt mit Hilfe einiger älterer Farmer schnell erlernen musste. Auf ihre wertvollen Kisten mit dem Tafelsilber und Tafelservice, den feinen Leinentischdecken musste Laura jedoch vorerst verzichten. Diese wurden bei einem alten Mineur untergestellt und erst wenn man ein geeignetes Blockhaus gebaut hatte, sollten sie geholt werden. Das Zurücklassen dieser fast geheiligten Dinge fiel der jungen Frau außerordentlich schwer und nur das Geschenk eines jungen Hundes half über die Traurigkeit hinweg. Die Käfige mit den Hühnern wurden auch auf eines der Tragpferde gepackt, der kleine Hund erhielt seinen Platz vor dem Sattelknauf von Lauras Pferd und war daher immer in ihrer Nähe. Drei Tage dauerte der Ritt durch dieses unwegsame Land. Flüsse mussten überquert werden, teilweise war der Wald so dicht gewachsen, dass die Packpferde nicht zwischen den Bäumen durch konnten. Also musste man mühsam einen Weg freihacken und frei sägen, aber endlich, endlich kamen sie am “Indian Point” an. Man muss sich eine herrliche, kleine Wiese vorstellen, durch die ein klarer, kalter Gebirgsbach fließt. Im Norden und Westen steigen langsam die dicht bewachsenen Hänge auf, hinauf bis zu den steilen Felsflanken der Berge. Nach Osten und Süden hin liegt freies, weites Land, einige kleine Seen, Bibersümpfe und nur von Pappeln und Weiden spärlich bewachsene Flächen. Diese sollten gerodet und in Felder und einen großen Gemüsegarten umgewandelt werden. Am Rande der Wiese, im Schutze der Wälder im Norden und Westen, sollte ein Blockhaus entstehen und später mussten noch Scheunen und Schuppen für die Tiere errichtet werden. All diese Pläne hatten die Beiden schon wochenlang durchgedacht und auf der langen Reise genau durchbesprochen. Aber jetzt, hier, vor Ort, als man endlich diese unberührte Landschaft vor sich liegen sah, jetzt konnte man sich alles noch viel bildlicher vorstellen. Schnell wurden die Pferde abgepackt und abgesattelt, ein großes Zelt aus Planen sollte für den Anfang als Behausung dienen, darin konnten auch die mitgebrachten Schätze trocken aufbewahrt werden.
Laura war als wohlbehütete Tochter einer Lehrerfamilie in einer kleinen Stadt im mittleren Westen Amerikas aufgewachsen. Sie liebte die Natur und ihre Lebewesen über alles, hatte jedoch keinerlei praktische Erfahrungen im Umgang mit Wildtieren. Die Geschichten über Bärenattacken und Angriffen von Wölfen waren auch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts schon richtige “Reißer” und die Angst des Menschen vor der unbekannten Bestie Raubtier ist sprichwörtlich. Aus diesem Grund fühlte sie sich plötzlich hinter den dünnen Wänden des Zeltes nachts nicht mehr sicher und gemeinsam gingen sie nun daran, so schnell wie möglich eine feste Hütte zu bauen. Es gab genügend Bauholz gleich hinter dem Lager und täglich wuchsen die Wände aus geschälten Baumstämmen, die Walt rund um das Zelt aufbaute. Irgendwann, als dann die Dachschindeln aufgenagelt waren, konnte das Zelt abgebaut und außerhalb des Blockhauses wieder aufgestellt werden. Auf diese Weise bleiben jedoch alle Gegenstände immer trocken und sicher unter Dach. Zum Abschluss wurden noch zwei Fenster eingesetzt, die Türe eingehängt und einige Möbelstücke wie Tisch, Bänke und ein großes, bequemes Bett, gebaut. Mittlerweilen war der Sommer fast vorüber und es war an der Zeit einen Wintervorrat anzulegen. Es wuchsen jede Mengen wilder Beeren an den Berghängen und entlang des Flusses, Wildgemüse konnte geerntet und getrocknet werden, die Beeren wurden ebenfalls zum Teil getrocknet oder aber als Marmelade verkocht. Walt ging auf Jagd und brachte einen fetten Schwarzbären nach Hause. Das ausgebratene Fett konnte vorzüglich zum Kochen und Backen verwendet werden, die getrockneten oder geräucherten Schinken hielten in der trockenen Bergluft für eine lange Zeit. Und dann wurde es Zeit, dass sich Walt mit einer Gruppe von Packpferden auf den Weg nach Barkerville machte, um einen Lebensmittelvorrat für den Winter nach Hause zu bringen. Da jedes der Pferde nur an die 80 bis 90 Kilogramm Gewicht tragen konnte, die Einkaufsliste aber ellenlang war, entschloss sich Laura auf der Homestead zu bleiben, damit man ein Pferd mehr für den Transport hätte. Das war nun ihre erste Erfahrung in Leben, mutterseelenallein mitten in der Wildnis einige Tage zu verbringen und sie sah dem Abenteuer mit gemischten Gefühlen entgegen.
Ganz früh, noch im Dunklen sattelte Walt die Pferde und machte sich auf den Weg, er wollte in drei Tagen mit den Vorräten wieder zurück sein. Laura blieb mit dem kleinen Hund und ihren beiden Jagdwaffen im Haus und wollte die Zeit mit Ausschmücken und Säubern desselben verbringen. Wäsche musste gewaschen werden, was ohne Maschine nur auf einem flachen Stein im Fluss, eine Tagesarbeit war. Aber je mehr Zeit sie alleine verbrachte, um so besser gefiel ihr das Leben in dieser unberührten Natur. Nun hatte sie endlich Zeit auf das Singen der Vögel zu hören, die Eichhörnchen zu beobachten, wie sie emsig einen Wintervorrat anlegten. Zwischendurch angelte sie sich einige Forellen mit der Fliege aus dem Fluss und sammelte weiter ihre Beeren. Der Tisch war noch reichlich gedeckt da draußen und die damit verbundene Arbeit war weder zu viel noch zu anstrengend. Als am frühen Morgen des dritten Tages die vereinbarten Schüsse durchs Tal klangen, mit denen Walt seine Rückkehr ankündigen wollte, da waren ihr die Tage fast zu schnell vergangen. Aber der Anblick der langen Pferdekolonne, vollbepackt mit herrlichen Überraschungen, trieb ihr dann doch Tränen der Freude und Erleichterung in die Augen. Welch ein Vergnügen es sein wird, all die mitgebrachten Herrlichkeiten auszupacken und zu verstauen, ein ganzer Sack voll Briefe und Pakete von der Familie, ein riesiger Stoß Zeitschriften, waren mitgekommen. Ein Fest stand ihr bevor! Walt hatte auch einen neuen Ofen mitgebracht in dem sie nun ihr Brot besser backen konnte als in dem Gusseisentopf über offenem Feuer. So ein Ofen ist das Kernstück einer Hütte in der Wildnis. Nicht nur dass er eine angenehme, lebensnotwendige Wärme verbreitet, darauf wird auch gekocht, Wasser zum Baden und Wäschewaschen heiß gemacht, und im Ofenrohr gebacken, von duftenden Broten über Keksen bis hin zu Torten. Kleidung wurde rund um dieses gute Stück zum Trocknen aufgehängt, aber auch aufgespannte Felle wurden oft hinter dem Ofen an die Wand genagelt, damit sie schneller trocknen und man die Spanner für den nächsten Fang verwenden kann.
Und dann kam der erste Schneefall des Jahres, Walt musste noch jede Menge Feuerholz klein sägen und hinter dem Haus aufstapeln. Kartoffel und Gemüse musste ins Haus gebracht werden, damit sie nicht frieren. Im kommenden Jahr würden sie einen Erdkeller graben für die Aufbewahrung dieser Dinge, aber heuer hatte die Zeit nicht ausgereicht, also grub man ein tiefes Loch unter dem Bett, wo man die Kisten mit den Lebensmittel hineinstellte, die nicht gefrieren sollten. Täglich wuchs die Schneedecke und bald war ein Weiterkommen ohne die Verwendung von Schneeschuhen nicht mehr möglich, auch das musste Laura jetzt so schnell wie möglich erlernen um Walt bei seinen Gängen entlang der Trappline begleiten zu können. Nach den ersten kalten Frostnächten gingen die beiden auf Jagd nach einem Stück Großwild, ein Elch, Hirsch oder ein Karibu, das ihnen für viele Wochen das so notwendige Fleisch liefern sollte. In diesem kalten Wetter würde sich das Fleisch wunderbar halten und man musste sich nicht fürchten, dass es verdirbt. Die Bären waren auch schon in den Winterschlaf gegangen, sodass man von diesen Campräubern sicher war. Da gab es aber auch noch Vielfraß, Wölfe und Kojoten zu bedenken, die gerne an einem Stück Braten naschen würden, daher wurde eine sehr massive, hohe Plattform aus Holz gebaut, ca. 3 m über dem Boden mussten einige Bäume abgesägt werden, die die Grundpfeiler für diese Plattform bilden sollten. Mittels einer Leiter konnte Laura dann ihre Vorräte nach oben bringen und unter Dach verstauen. Später wurden dann die Stämme im unteren Teil mit Blech beschlagen, was es vor allem den Schwarzbären schwer machen sollte, hinaufzuklettern. So war alles nun winterfest vorbereitet und Laura und Walt konnten sich auf die Jagd konzentrieren. Noch war das Eis auf dem Fluss nicht stark genug um diesen zu überqueren, in den anschließenden Sumpfwiesen waren einige Elchbullen zur Brunft am Treiben gewesen, aber das Risiko sich zu verletzen oder im Eis einzubrechen war zu groß. So machten sie sich auf die Suche nach einem Hirsch in den offenen Pappelwäldern gegen Süden. Es gab jede Menge Fährten, aber keinen Hirsch, das war eigenartig. Als aber des nachts denn die Wölfe rund um die kleine Farm heulten, da wussten sie, warum kein Wild zu sehen war. Das war ausgezogen, in andere Täler und hatte sich vor dem Rudel Wölfe in Sicherheit gebracht. Walt wusste aus Erfahrung, dass das Rudel weiterziehen würde, wenn es nichts erlegen konnte und es daher die Möglichkeit gab, in einigen Tagen wieder auf Jagd zu gehen. Groß war sein Erstaunen, als er am kommenden Morgen an den Fluss ging um aus dem offenen Wasserloch seine Eimer zu füllen und in den Weidenbuschen, nicht weit vom Haus entfernt, der dunkle Schatten eines sehr großen Tieres zu sehen war. Schnell lief er ins Haus um Laura und sein Gewehr zu holen. Sie warteten den Morgen ab, und als das Licht besser wurde und sie genau ausnehmen konnten, was da zwischen den Weiden stand und nicht verschwand, pirschten sie sich heran. Es war ein junger Elchbulle, etwa zwei Jahre alt, der immer wieder hinten einbrach, seine Hinterläufe waren von den Wölfen zerfetzt worden und er konnte nicht mehr laufen. Irgendwo, ganz in der Nähe, hatte sich das Wolfsrudel auch für den Tag eingeschoben und wartete wahrscheinlich auf den Abend um endlich an den Fraß zu kommen. Da waren ihnen aber nun Laura und Walt zuvorgekommen. Mit einem Schuss ins Genick erlöste Walt den Elch von seinen Qualen und unverzüglich machten sich die Beiden an die rote Arbeit. Welch eine Menge herrlichen Fleisches hatten sie da fast vor ihrer Haustüre geliefert bekommen! Ihre Freude war übergroß! Während Walt mit dem Zerteilen des Tieres beschäftigt war, schleppte Laura die fertigen Fleischstücke gleich zur Plattform um sie dann gemeinsam mit Walt zu verwahren. Bei einem dieser Trips gelang sie jedoch zu weit auf den Fluss hinaus und plötzlich gab das Eis unter ihren Schneeschuhen nach und sie fiel ins Wasser. Sie konnte nicht schwimmen, aber auch das hätte ihr in dieser Situation nichts geholfen. Verzweifelt schlug sie um sich und versuchte festen Halt für die Füße oder Hände zu bekommen. Das schwere Stück Fleisch war von den Schultern gerutscht, durchs Loch gefallen und im Wasser verschwunden. Die riesigen Schneeschuhe behinderten sie derart, dass sie die Beine nicht aus dem Loch im Eis ziehen konnte. Aber noch immer hatte sie nicht um Hilfe gerufen, sie war es von klein auf gewohnt, sich alleine aus schwierigen Lagen zu befreien und auch hier wollte sie es alleine schaffen. In der Kälte zogen sich jedoch die Lederriemen um die Füße immer fester zu und alles strampeln half nichts, sie konnte sich von den Schneeschuhen nicht befreien. Die Finger und Hände waren blau und klamm und auch der Halt, den sie am festen Eisrand fand, entglitt langsam ihrem Griff. Da endlich gelang es ihr, mit einem Bein aus dem Wasser zu kommen in dem sie sich mit der Spitze des Schneeschuhes vom Grund des Flusses abgestoßen hatte. Der Schwung brachte sie mit dem ganzen Oberkörper weiter auf festes Eis und sie fand neuen Halt für ihre Hände und konnte, auf dem Bauch liegend, dann auch das zweite Bein aus dem Wasser befreien. Nass und kalt und mit sich selbst total verärgert eilte sie zur Hütte, schürte das Feuer und versuchte so schnell wie möglich trocken zu werden. Neue Kleider und Stiefel mussten her, denn noch war mehr als ein halber Elch zu bergen und Walt wartete auf ihre Mithilfe. Den Wölfen bleib nur das Fell, das Haupt und die unteren Läufe über, und während den nächsten Nächten schlichen sie knurrend und rufend ums Haus, es gelang ihnen aber nicht an den Fleischvorrat zu kommen. Zehn Tage vor Weihnachten musste sich Walt abermals auf den Weg nach Barkerville machen, um die letzten Lebensmittel und etliche Geschenke für Weihnachten zu besorgen. Es hatte sich herausgestellt, dass man in Sommer und Herbst nicht genügend Heu für die Pferde machen konnte und die Tiere immer dünner wurden. Diese halbwilden Pferde ernähren sich ja nicht nur von Gras und Heu, sie verbeißen auch die zarten Triebe der Weiden, Erlen und Pappeln, aber auch davon gab es rund um die Farm nicht genügend. So beschlossen sie, ihre Pferde mit auf den Trail zugeben, der alle Tiere aus dem Barkerville Tal hinaus in die Chilcotin führte. Jeden Herbst werden die Tiere zusammengetrieben und gehen auf eine lange Reise durchs Tal hinaus an den Fraser River, diesen überqueren sie zwischen Quesnel und Williams Lake und dann geht’s weiter auf eine große Farm in den Chilcotin Bergen. Wenn der Schnee im Frühling schmilzt und die ersten Weiden im Tal wieder grün werden, dann holen die Farmer sich ihre Tiere wieder ab. Auch Laura und Walt schlossen sich diesem Brauch an und hatten daher während der Wintermonate nur ihre Schlittenhunde als Fortbewegungsmittel.
Von seiner Einkaufsfahrt nach Barkerville brachte Walt daher vier starke Hunde und einen Schlitten mit. Aber auch jede Menge Post und Geschenke waren auf dem Gefährt verstaut, wurden jedoch nicht vor dem Weihnachtstag ausgepackt. Weihnachten in der Wildnis, das hatte einen besonderen Klang für Laura und tagelang schon war sie mit den Vorbereitungen für das Fest beschäftigt. Kekse wurden gebacken und Brote, das Haus wurde mit Tannengrün geschmückt und abends brannten dann die Kerzen, mehr als sonst. Am Vorabend des Weihnachtstages gingen sie dann in den Wald hinaus und suchten sich einen Tannenbaum aus, der mit kleinen Kerzen und allerlei selbstgebastelten Schmuck verziert wurde. Ketten aus Popcorn und getrockneten Preiselbeeren wurden aufgefädelt, bunte Schleifen an die Astspitzen gebunden. Aus einfachem Papier wurden Sterne gefaltet und schon während der Herbstwochen hatte Walt Motive in die abgeschnittenen Dosendeckel gestanzt, auch diese schmückten den Baum. Alles war primitiver, viel, viel einfacher als heute, aber die Freude der Beiden über ihre ersten gemeinsamen Weihnachten war sicherlich unbeschreiblich groß. Laura wollte die Geschenke ja schon am 24. abends auspacken, wie sie es aus der katholischen Familie gewohnt war, aber Walt wollte davon nichts wissen. Hier in Kanada wird am Christtagmorgen gefeiert und das wollten sie es auch in Zukunft halten.
Leise Weihnachtsmusik erklang von irgendwo her, Wassertropfen fielen ihr auf die Nase, so erwachte Laura am heiligen Christtag und wollte die Augen nicht öffnen, weil sie meinte in einem herrlichen Traum zu sein. Dann aber reckte und streckte sie sich doch, das Wasser im Gesicht wurde mehr, die Musik kam immer näher und wurde lauter. Da blieb ihr dann doch nichts anderes übrig als vollends aufzuwachen. Walter stand mit einem Wasserbecher über ihr Bett gebeugt und ließ vereinzelte Tropfen auf ihr Gesicht fallen und die herrliche Musik kam aus einem kleinen Grammophone, das Walt aus der Stadt mitgebracht hatte. Dazu einige Platten mit Opernarien und Weihnachtslieder, als nächste Überraschung hatte er auch endlich die Kisten mit dem geliebten Tafelgeschirr und Besteck und Gläsern vorsichtig auf dem Schlitten gepackt und mitgebracht. Nun stand einem wundervollen Weihnachtsfest nichts mehr im Wege. Eine festliche Tafel wurde gedeckt, ein Festschmaus vorbereitet. Ja, ja, so hatten sie sich ihr erstes Weihnachtsfest in der Wildnis vorgestellt!
Alle Wünsche waren bisher in Erfüllung gegangen.
Die Feiertage verliefen in trauter Zweisamkeit, das Neue Jahr kam und brachte sehr kalte, stille Tage mit sich. Die Temperaturen sanken in den Nächten oft unter minus 50 Grad Celsius und die Beiden waren mehr oder weniger an das Haus gebunden. Aber es gab viel zu Lesen, ständig musste auch der Ofen befeuert werden und das Wasserloch im Fluss offen gehalten. Ende Jänner brauste dann mit aller Gewalt ein “Chinook” durchs Tal, ein warmer Wind aus dem Süden kommend, der die Kälte brach. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 120 Km/h fegte der Fönsturm durch die Täler. Über Nacht sackte der Schnee auf das halbe Maß zusammen, die Eiszapfen fielen von den Dächern, ein Aufatmen ging durch die Natur, das Schlimmste war überstanden. Die Tannen und Fichten konnten sich von der schweren Last des Schnees auf ihren Ästen befreien und vereinzelt verließen die Eichhörnchen ihre Baumnester und sausten mit lautem Gezeter durch die Bäume. Hasel- und Tannenhäher hüpften in die Weidenbüsche um sich an den zarten Knospen zu erfreuen. Ein neues Erwachen, aber noch ein sehr vorsichtiges, machte sich bemerkbar. Es war erst Ende Januar, es waren noch mindestens drei Monate Winter zu überleben, aber diese Pause tat allen gut. Laura und Walt schnallten auch ihre Schneeschuhe unter und begaben sich mit dem Hundeschlittengespann auf eine längere Erkundungsfahrt. Der Sturm hatte nicht nur die Kälte gebrochen sondern auch eine Unmenge Schaden in seiner Bahn hinterlassen. Bäume waren abgebrochen, entwurzelt und lagen kreuz und quer über dem einzigen Weg, den die Beiden im Herbst so mühsam ausgeschnitten hatten. Nun musste man wieder von vorne beginnen, damit der Pfad in die Stadt befahrbar würde. Tagelange, schwere, schweißtreibende Arbeit lag vor ihnen, aber diese einzige Verbindung zur Außenwelt musste offen und befahrbar gehalten werden, sollte ein Unfall passieren oder man Hilfe brauchen. So sehr sie die Abgeschiedenheit und Einsamkeit ihres Lebensstiles liebten und genossen, irgendwo im Hinterkopf saß aber doch immer eine gewisse Angst, eine Unsicherheit, was tun, wenn man dringend Hilfe braucht, wenn man alleine nicht mit dem Zustand fertig werden konnte? Also war es wie eine Lebensversicherung, den Weg immer auszuschneiden und passierbar zu machen. Einfach ein Muss, damit man die restliche Zeit auch wirklich bewusst genießen konnte.
Ende Jänner war nun auch die Zeit, in der Laura mit dem Setzen der vielen hundert verschiedenen Samen begann, sowohl Gemüse als auch Blumen. Aus den Samen wurden kleine Pflänzchen vorgezogen, die sie dann nach Ende der Frostperiode in ihren Garten aussetzen konnte. So ein Gemüse-, Kräuter- und Blumengarten war der ganze Stolz einer Pionierfrau und versorgte die Familie nicht nur mit den lebensnotwendigen Vitaminen in Form von frischem Gemüse, er brachte oft auch die eher bescheidene Hütte zum Blühen. Ein hoher Zaun war jedoch dringend gefragt, denn sonst hätten die Hirsche, Hasen, Elche und andere Waldbewohner, den gedeckten Tisch in wenigen Stunden abgeräumt und all die Mühe und Arbeit wäre in wenigen Stunden zunichte gemacht.
Und so vergingen die letzten kalten Wochen des Winters mit der liebevollen aber mühevollen Versorgung der Keimlinge und bald war es für Walt auch wieder an der Zeit in die Stadt zu fahren um neue Lebensmittelvorräte zu besorgen. Diese Reise musste sehr genau berechnet werden, denn der Hinweg erfolgte noch mit dem Hundeschlitten, also musste es noch genügend Schnee geben, der Rückweg aber wurde bereits mit den Packpferden angetreten, die von den Winterweiden aus den Chilcotin bereits in Barkerville eingetroffen waren. Im Laufe der Jahre wurde diese Routine jedoch so selbstverständlich, der Zeitpunkt so genau kalkuliert, dass Walt in weniger als einer Woche wieder auf der Homestead zurück war. In dieser noch einsameren Zeit begann Laura mit einem intensiven Studium der Kleintiere und Vogelwelt rund um die Farm. Stundenlange konnte sie mit dem Beobachten der ersten Zugvögel verbringen, die nach einer langen beschwerlichen Reise aus dem Süden, hier rund um die Farm ihre Nester bauten und die Jungen aufzogen. Ein Überangebot an Mücken, vor allem Stechmücken! und samenreichen Gräsern machte dies möglich. Im Laufe der kommenden Jahre wurde Laura nicht nur eine private Beobachterin dieser abwechslungsreichen Vogelwelt, sie erhielt einen Auftrag von der Universität Albertas so viele Vögel wie nur möglich zu fangen und zu beringen. Man wollte erforschen wie weit ihre Flüge zwischen Sommer- und Winterquartieren sind und unter welchen Bedingungen sie ihre Jungen aufzogen.
Unter all den Briefen die Walt jeweils aus der Stadt mitbrachte, gab es immer mehr und mehr Anfragen von reichen amerikanischen Geschäftsleuten, die eine Großwildjagd mit ihm buchen wollten. Das Geschäft der Jagdveranstaltung sollte die große Einnahmequelle der Familie werden und Walt wurde zu einem der ersten Outfitter in British Columbia. Nun galt es mit dem Bau von verschiedenen Jagdhütten in den Bergen hinter Barkerville zu beginnen. Tief hinein in Abgeschiedenheit der Caribou Mountains wurden Reitpfade markiert und ausgeschnitten, an Bergseen und Quellen kleine Unterkünfte errichtet. Mittlerweilen hatten sie an die 40 Pferde erstanden, die eine wertvolle Hilfe bei der Jagd waren. Ein abenteuerreiches Leben lag vor ihnen, Laura arbeitete als Köchin für das Unternehmen mit und musste diese Tätigkeit erst einschränken, als ihr Sohn Dan geboren wurde. Aber als der Kleine noch keine zwei Jahre alt war, wurde auch er auf ein Pferd gesetzt und zog für Wochen mit in die Berge auf Jagd. Diese Idylle fand dann ein Ende, als Dan ins Schulalter kam und die kleine Familie einen Zweitwohnsitz in Barkerville beziehen musste. Laura zog im Herbst in die Stadt, während Walt noch mit den letzten Jagdgästen in den Bergen unterwegs war. Als diese dann abgereist waren verbrachte auch er seine Zeit mit seiner Familie, war aber wenigstens einmal im Monat mit den Schneeschuhen auf dem Trail zurück zur Farm um nach dem Rechten zu sehen. Sobald jedoch das Schuljahr zu Ende war, wurde das Haus in Barkerville dicht gemacht und die Familie zog wieder in die Berge. Zu sehr waren sie alle mit dem abenteuerlichen Lebensstil verbunden, der Weite und Freiheit, die sie auf ihrer Farm genießen konnten. Auch Dan wurde ein richtiges Wildniskind, das sich schon bald mit den Tieren in seiner Umgebung anfreundete und stille Gespräche mit Hirschen und Waldhühner führte.
Der Sommer im Jahre 1928 war besonders heiß und regenarm gewesen. Das Gras vertrocknete am Halm, der Fluss neben der Farm war zu einem kleinen Rinnsal eingetrocknet, die Hitze stand nur so in der Luft. Walt war mit dem ersten Jäger dieser Saison bereits in den Bergen, während Laura und Dan sich auf der Farm um die Tiere und den Garten bemühten. Eines Morgens sah Laura aus dem Bowron River Valley dicke Rauchwolken aufsteigen, ein Westwind brachte diese näher und immer näher in ihr Tal. Während Dan noch friedlich in seinem Bettchen schlief hatte sie bereits alle verfügbaren Eimer und Töpfe mit Wasser aus dem Fluss gefüllt und rund ums Haus aufgestellt. Und dann züngelten kleine Flammen aus einer Ecke der Scheune, schnell rannte sie hinüber und schlug diese mit einer nassen Decke aus. Alle Tiere wurden freigelassen und suchten sich den Weg zum nahen Fluss. Mit einem Eimer voll Wasser und der nassen Decke gelang es Laura, das Feuer an der Scheune zu löschen, jetzt war es aber höchste Zeit, das Kind zu holen und sich selber in Sicherheit zu bringen. Auf dem Weg zwischen Haus und Scheune kam sie an den Zelten vorbei in denen die Jagdgäste ihre persönlichen Sachen zurückgelassen hatten, bevor sie in die Berge aufbrachen. Schnell griff sie sich Ferngläser, Fotoapparate und einige Gewehre und brachte diese in die Mitte eines frischgepflügten Feldes. Dort hatte die Familie vor zwei Wochen Kartoffel eingelegt, aber der Boden war noch ohne Gras und Unkraut. In eine kleine Blechbadewanne legte sie einen Vorrat an Lebensmitteln und Kleider für sich, Walt und Dan, diese Wanne schleppte sie auch auf das Kartoffelfeld und drehte sie um, sodass der Blechboden alle Vorräte schützen konnte. Mittlerweilen war die Luft mit dickem Rauch gefüllt, glühende Fichten- und Tannennadeln flogen durch die Luft, manche der alten, sehr harzreichen Bäume explodierten mit einem lauten Knall und die Wipfel flogen in einer riesigen Feuerkugel durch die Luft, es regnete Asche vom Himmel. Zuerst suchte Laura mit dem Kind Schutz im Haus, aber als der Rauch auch durch die Ritzen zu dringen begann und das Atmen unmöglich machte, packe sie das Kind und sich in eine nasse Decke ein und suchte sich den Weg zum Flussufer. Mitten im Fluss gab es einen großen, flachen Stein, der oft auch zum Wäschewaschen benutzt worden war. Auf diesen Stein flüchtete sie sich mit Dan, beide in den nassen Decken eingewickelt kauerten sie für Stunden mitten im Fluss, das Wasser brachte Kühlung von unten, sie konnten wieder freier atmen. Wie lange sie nun wirklich so gesessen sind, konnte sie nicht mehr sagen, aber es kam ihr wie Stunden vor, dann erst wurde die Luft wieder kühler, der Rauch verzog sich nach Osten, der Waldbrand war weitergezogen, die Gefahr war vorüber. Total erschöpft und müde kehrte sie mit Dan langsam zum Haus zurück. Wie durch ein Wunder war dieses verschont geblieben, auch die Scheune und das Hühnerhaus standen noch, jedoch die meisten der alten Bäume und ein Teil der Pferdekoppel war dem Feuer zum Opfer gefallen. Dicker Rauch war noch in den Räumen, Laura musste alle Fenster und Türen weit aufreißen und hoffte, dass ein Luftzug den Gestank und Rauch vertreiben würde. Aber das Haus selbst hatte sie durch ihre weise Voraussicht und indem sie es mit viel Wasser getränkt hatte, immer wieder eimerweise Wasser auf das Dach geschüttet hatte, gerettet. Nach zwei Tagen kam Walt aus den Bergen nach Hause, auch er und seine Jagdgäste hatten das Feuer durch das Tal rasen sehen und er wusste nicht, was er vorfinden würde. Seine Lieben gesund und unversehrt zu sehen, die Farm so gut wie unberührt vorzufinden, das grenzte für ihn an ein Wunder, das er aber nur seiner gescheiten und umsichtigen Frau Laura zu verdanken hatte. Tagelang noch hielten sie Ausschau nach Rauch und befürchteten, dass sich irgendwo ein Glutrest wieder entfachen könnte, aber die Gefahr war endgültig gebannt, als ein heftiges Gewitter mit starken Regenfällen ins Tal zog. Jetzt getraute sie sich wieder Feuer zu machen in ihrem Ofen und richtig zu kochen, aber irgendwo war die Angst in den Knochen sitzen geblieben und sie wollte raus aus der Wildnis, zurück in ihr Haus in Barkerville. Den letzten Anstoß dazu gab auch noch der Jagdgast, der wohl hoch erfreut war, dass seine wertvollen Gegenstände von ihr gerettet worden waren, dem es aber dann einfiel, dass er ja neben dem Bett noch ca. einen Dollar Kleingeld auf einer Kiste hatte liegen gehabt. Die wären nun leider verloren. Da nahm Laura eine Harke und durchsuchte die verbrannten Teile des Zeltes und wirklich, sie konnte das verkohlte Kleingeld finden, dass sie voll Ärger und Wut dem Gast in die Hand drückte. Dass er sich nicht schämte, gerade war die Familie um ein Haar einer Katastrophe entkommen, in der sie ihr ganzes Hab und Gut, ja das Leben hätten verlieren können, und er jammert seinen Groschen nach, mit solchen Leuten wollte Laura auch in Zukunft nichts mehr zu tun haben. Als dieser Mann im nächsten Jahr wieder zur Jagd kommen wollte, da war man leider, leider schon für mehrere Saisonen voll ausgebucht. Die Landschaft rund um den Indian Point glich für einige Wochen einer Mondlandschaft, total und halbverbrannte Bäume standen wie schwarze Skelette für Meilen und Meilen im Tal und den umliegenden Hügelketten, aber als das nächste Frühjahr kam, da schossen frische Büsche und Blumen aus dem Boden und bedeckten die öde Wüste mit frischem Grün und saftigen Gras. Himbeersträucher und Heidelbeerbüsche wuchsen auf diesem neu gerodeten Boden so gut und groß wie nirgendwo sonst und das Wild fand eine neue Äsungsfläche, die gerne angenommen wurde.
Über viele Jahr noch betrieb die Familie ihr Jagdunternehmen und die kleine Farm im Hinterland von Barkerville und erst als die Gesundheit von Walt langsam schlechter wurde, mussten sie die Farm und die Jagd aufgeben und verbrachten die letzten Jahre in ihrem Haus in Barkerville. Die Blockhütten in den Bergen, sowohl wie die Gebäude auf der Farm waren dem Verfall preis gegeben und nur vereinzelte Wanderer und Naturliebhaber, wozu ich mich zählen, fanden den Weg in diesen Garten Eden, wie Laura ihn nannte.

Gangan Verlag: Raw Cut: Heide Schütz: Geschichten verfallener Hütten | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13