Cougar Annie
Ada Annie Jordan
Am Taufschein stand allerdings nicht dieser Name, sie wurde als Ada Annie Jordan im Juni 1888 in Kalifornien geboren und zog im Jahre 1915 nach Kanada, British Columbia, nachdem sie vorher die halbe Welt bereist hatte, Südafrika, England, Schottland, waren ihre Ziele. In einer Zeit, wo man noch mit Zug und Schiff unterwegs war, kann man sich heute nicht mehr vorstellen, welche Mühen und Strapazen, die Menschen damals auf sich nahmen um von einem Ende der Welt ans andere zu kommen. Aber diese Ausdauer, diese Zähheit, das sollte ihr im späteren Leben dann auch helfen, alle Mühen und Nöte ihres Daseins in der absoluten Einsamkeit und Abgeschiedenheit ihres Zuhauses zu überstehen.
Zusammen mit ihrem ersten Mann und drei kleinen Kindern fanden sie eine Homestead an der Westküste von Vancouver Island, British Columbia, Kanada. Im Hesquiat Harbour, nur mit dem Boot zu erreichen und ständig Wind und Wetter ausgesetzt. Das Versorgungsschiff, das regelmäßig Post und Lebensmittel brachte kam höchstens ein bis zweimal im Monat, vom Wetter abhängend, denn wenn die Stürme auf dem Meer zu stark tobten, dann blieb es auch einmal aus und man war gezwungen, sich einen entsprechenden Vorrat anzulegen und vom eigenen Garten z.B. zu leben. Es gab außer den riesigen Gemüsebeeten noch viele Ziegen, Hühner, Enten und Kaninchen, die den Speiseplan bereicherten.
Im Laufe ihres Lebens gebar sie insgesamt elf Kinder und überlebte vier Ehemänner. Sie rodete die Wildnis um daraus einen großen, heute noch sehr viel besuchten Garten anzulegen. Darin züchtete sie nicht nur ihr Gemüse, das sie zum Ernähren ihrer Familie benötigte, sie begann auch mit der Zucht von verschiedenen Blumen, Zwiebeln und Knollen, mit denen sie einen recht erträglichen Handel begann und der zum Familieneinkommen einen großen Beitrag leistete. Dann eröffnete sie einen kleinen Laden und ein Postamt, hier, in der Mitte von nirgendwo und die wenigen Menschen die es verstreut an diesem einsamen Strand der Westküste gab, fanden sich in Booten bei ihr ein um sich die Post abzuholen oder Briefe in die Welt hinaus zu schicken. Das Leben in Boat Harbour war ein sehr, sehr einsames, raues und arbeitsreiches. Ihr dritter Mann hielt dies nicht lange aus und verschwand wieder in die Zivilisation, auch ihre Kinder verließen sie eines nach dem anderen. 1961 heiratete Annie zum letzten mal, der vierte Gatte war um 12 Jahre jünger als sie, begann mit dem trinken und schlug sie oft. Das ließ sich diese tapfere Frau jedoch nicht lange gefallen und sie vertrieb ihn mit Hilfe ihrer Schrotflinte. Er war niemals mehr gesehen.
Die Haupteinnahmequelle für Annie war jedoch das “bountie” Geld, welches sie von der Regierung für den Abschuss von wilden Tieren, wie Pumas oder Bären bekam. Sie war eine ausgezeichnete Jägerin und hat im Laufe der vielen Jahre auf der Insel über 62- Puma erlegt und an die 80 Schwarzbären. Die Belohnung für einen abgeschossenen Berglöwen lag zwischen 10 und 40 Dollar pro Tier und Bären wurden ebenfalls in dieser Preislage bezahlt. Aber es war nicht nur wegen des Geldes, dass sie so gezielt und rastlos hinter diesen Raubtieren her war, sie musste auch ihre Milchziegen, Hühner und Kaninchen vor den Räubern schützen. Sie züchtete diese Tier nicht nur zum Eigenverzehr, sie betrieb auch einen regen Handel mit ihnen und verdiente dabei noch etwas Geld dazu.
Wenn ich mich heute in die Lage dieser Frau versetze und an die unendlich viele, schwere, harte Arbeit denke, die sie tag-täglich auf sich nehmen musste, dann kann man ja wirklich nur sagen, dass es die fleißigen, die unermüdlichen Frauenhände wären, die einem Land wie British Columbia z.B., fünf mal so groß wie Deutschland, einen unvergleichlichen Stempel aufdrückten. Man stelle sich vor, jeden Frühling musste sie mit einem alten Spaten einen Garten in der Größe von zwei Fußballfeldern umstechen, die Beete anlegen, ihre Blumen und Gemüsepflanzen einsetzen. Diese hatte sie meistens schon aus verschiedenen Samensäckchen während des Winters im geheizten Haus vorgezogen. Wenn die Zeit kam, dann würden sie liebevoll, einzeln, in das vorbereitete Beet gepflanzt. Gejätet, gegossen, behütet werden, damit daraus dann die erhoffte Karotten, der Blumenkohl oder die vielen verschiedenen Blumen wurden, die sie dann entweder zum Verkauf anbot, oder das Gemüse trocknete oder einweckte um bis in den Winter hinein ihre Familie zu ernähren. Die wenige Hilfe, die sie von ihren Ehemännern und Kindern bekam, die dauerte ja auch nicht lange an. Sie war wohl eine der ersten, die sich ihre Männer durch Zeitungsinserate suchte, die sie am Festland aufgab. Sie bevorzugte Witwer, auch mit Kindern gerne genommen, denn diese hatten wenigstens etwas Ahnung von einem Familienleben, aber die Einsamkeit, die absolute Isolation von der Zivilisation, die hielten nicht alle aus. Der zweite Mann starb an einer Schussverletzung, die er sich unglücklicherweise selber zugezogen hatte und verblutete in ihrem Haus. Mann Nummer drei starb an Lungenentzündung, weil er das nasse, kalte Klima an der Westküste der Insel doch nicht aushalten konnte. Ja und wie schon erwähnt, die Nummer Vier, die hat sie dann selber verjagt, weil er Alkoholiker wurde uns sie und die Kinder zu schlagen begann.
So stand sie dann im hohen Alter von 79 Jahren wieder alleine auf ihrem Anwesen und musste die schwere Arbeit alleine verrichten. Es waren wohl einige Nachbarn in die weitere und nähere Umgebung gezogen, doch auch diese lebten wie Annie selbst nur von der eigenen Hände Arbeit und mit großer Hilfe war hier nicht zu rechnen. Sie verkleinerte ihren Gemüsegarten, denn für sich alleine benötigte sie nicht mehr so viel, auch die Ziegen und Kaninchen wurden weniger, aber ganz konnte sie sich von diesen Haustieren doch nicht trennen. Mehr und mehr übernahmen nun die Zucht von Blumenzwiebeln und Knollen den Hauptanteil ihrer Einnahmequellen. Dahlien, Gladiolen, Montbretien und vor allem verschiedene Sorten von Osterglocken, Krokusse, gediehen unter ihrer liebevollen Betreuung im feuchten Wetter an der Westküste sehr gut. Im Herbst wurden die Knollen und Zwiebeln dann vorsichtig aus der Erde genommen, gesäubert und in braunen Papiertüten im Erdkeller unter der Wohnhütte eingelagert. Eine steile Treppe führte am Ende ihres Bettes in den Boden, dort lagerten auch Eier und Kartoffeln, alles was nicht durchfrieren durfte. Wenn auch die Winter im Süden von Vancouver Island kaum Schnee und Frost bescheren, so konnte man dem Wetter doch nie trauen und alles, was frostsicher verstaut werden musste kam in dieses Erdloch unter ihrem Schlafzimmer. Eimer und Eimer von Erde hatte sie vor vielen Jahren aus dem Boden gehoben und ins Freie getragen, damit sie diesen Kellerraum bauen konnte. Wieder war es der alte Spaten, der ihr einziges Werkzeug war und ihr dabei gute Hilfe leistete, aber es dauerte Tage, ja Wochen, bis endlich der gewünschte Aushub vollbracht war, dann wurde die primitive Stiege gezimmert und eine Holzfalltüre darüber gelegt. Menschen aus ganz British Columbia bekamen von Annie ihre Blumenzwiebeln und Knollen geliefert. Der Frühling war die arbeitsreichste Jahreszeit, was die Arbeit im kleinen Postamt in Boat Basin anbelangte. Briefe kamen mit jedem Schiff mit Bestellungen für Blumen, Päckchen mit den gewünschten Zwiebeln und Knollen gingen wiederum hinaus in die Zivilisation. Nebenbei musste jedoch der eigene Garten wieder bestellt werden, die Knollen geteilt und alle, die nicht verkauft werden konnten wieder in den Boden gelegt, damit sie sich vermehren und wachsen würden, um einen Vorrat von diesen für das kommende Jahr zu haben.
Und immer wieder musste sie die Jagd auf streunende Berglöwen und Schwarzbären aufnehmen, die hinter ihren Ziegen her waren, das Hühnerhaus plünderten und die Kaninchenställe zerlegten. Auch den Nachbarn half sie aus mit ihrer Schießkunst, denn nicht jeder wollte auf so ein Raubtier schießen. Annie war bekannt für ihr gutes Auge, für ihre guten Schüsse und das Geld der Abschussprämien von der Regierung, das waren ihr die Nachbarn vergönnt, denn kaum jemand lebte so ein einsames, schweres Leben wie sie. Im Laufe der Jahre verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand und auch ihr Augenlicht wurde beeinträchtigt, sodass sie im Alter von 90 Jahren dann mit der Jagd aufhören musste, weil sie eben nicht mehr die gewohnte Zielsicherheit hatte. Der Garten wurde von Jahr zu Jahr kleiner, sie konnte einfach alleine die viele Arbeit nicht mehr bewältigen. Ihre Kinder hatte sie über Jahre schon nicht mehr gesehen, die hatten sich aufgemacht um ein eigenes Leben in der Großstadt Vancouver zu finden und so kam es, dass sie im Alter von 97, fast erblindet von Nachbarn in das Dorf Port Alberni auf Vancouver Island gebracht wurde, wo sie nach kurzer Zeit dann verstarb.
Ihr Erbe, der große Garten in Boat Basin, die Geschichten um die tapfere Frau, die so viele Pumas erlegt hatte, wie kaum jemand, diese lebensnahen Erzählungen, die sich heute fast wie ein Märchen anhören, die leben aber weiter und man kann nur hoffen, dass sie nie vergessen werden. Cougar Annie, eine Pionierin im edelsten Sinne des Wortes, eine Frau, die aus der Wildnis ein Zuhause für eine große Familie mit eigenen Händen schuf, solche Frauen darf man einfach nicht vergessen.
Jahrelang lag dann der Garten brach und begann zu verwildern, bis sich ein pensionierter Bankangestellter aus Vancouver fand, der es auf sich nahm, die Anlagen wieder herzustellen und den Garten für Touristen zu renovieren. Aber die vielen erhofften Besuche blieben leider aus. Dann wurde eine Gesellschaft gegründet, die für Studenten und junge Forscher ein Centrum baute, mitten im Regenurwald der Annie, wo diese studieren und lernen konnten. Also besteht wirklich die Hoffnung, dass man das Leben dieser Frau nicht so schnell vergessen wird.