Heide Schütz Raw Cut Geschichten verfallener Hütten
Kleine weisse Mutter
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Kleine weisse Mutter

Anne, Adam und Joe

Eine zwanzigstündige Zugfahrt lag vor ihr und obwohl diese für viele Menschen wahrscheinlich endlos und qualvoll und langweilig gewesen wäre, freute sich Anne ehrlich darauf und wollte das Beste daraus machen. Ein wundervoll geheizter Zug, warmes Fließwasser ohne Ende, da konnte sie noch schnell, schnell ihre ganze Wäsche waschen und in dem Abteil zum Trocknen aufhängen. Sobald sie in Lone Butte den Zug verlassen würde, war es vorbei mit diesen Annehmlichkeiten der Zivilisation, für eine ungewiss lange Zeit zumindest.
Mit Hilfe des Zugbegleiters, der sich sehr menschlich zeigte, hatte sie schon bald drei lange Wäscheleinen durch den ganzen Waggon gezogen und eilte auf die Toilette, um dort im Waschbecken ihre Wäsche zu waschen. Welch ein Anblick das wohl gewesen sein muss.
Aber man schrieb das Jahr 1927, es war Ende Oktober, die kleine Familie Anne, Adam und Joe waren auf der Reise in eine neue, hoffentlich bessere Zukunft.
Vor zwei Jahren hatten sie in Vancouver geheiratet, das Baby kam kurz vor der Abreise zur Welt. Beide hatten fleißig gearbeitet, sich auch einiges erspart und konnten sich in West Vancouver, an den Hängen der Berge ein kleines, bescheidenes Häuschen leisten. Doch dann kam die große Depression, die nicht nur Nordamerika, nein, die ganze Welt heimsuchte und erst ein fürchterlicher Weltkrieg sollte der Wirtschaft wieder Aufschwung geben. Aber das war noch lange entfernt. In diesen ersten schlimmen Jahren kehrte nun eine Wende ein, was das Leben der Menschen anging. Nicht in die Stadt wollte die Jugend flüchten, denn die dort erhoffte Arbeit war nicht mehr vorhanden. Geschäfte und Fabriken mussten zusperren und wurden stillgelegt, nein, zurück aufs Land wollte man wieder. Wollte versuchen sich aus der Natur selbst zu ernähren und nicht stundenlange in einer Schlange vor einer Suppenküche anstehen müssen und um Essen betteln. Das war so ganz und gar nicht die Art der beiden jungen Leute. Geld war natürlich nicht viel vorhanden, aber doch soviel, dass sie sich über Wasser halten konnten. Wenn es jedoch gelingen sollte, das Häuschen zu einem halbwegs guten Preis zu verkaufen, dann hätte man das notwendige Bargeld um in den Norden zu ziehen. Nicht mehr “Go West Young Man”, (gehe in den Westen junger Mann) war das Motto, nein “Go North”, in den Norden, dort gab es noch weites, unbewohntes Land, dort konnte man sich noch eine Existenz aufbauen.
Um den Menschen in dieser großen Depression das Leben etwas zu erleichtern, hatte die Regierung Kanadas einen Plan entwickelt. 160 Acre könnte jeder Neusiedler in einer fast unbewohnten Gegend erhalten, eine “Homestead” wenn er sich verpflichtet, dieses Land fünf Jahre lang wenigstens zehn Monate im Jahr zu bewohnen und dieses Land auch urbar zu machen. Bäume mussten gefällt, Äcker und Gärten angelegt werden. Dieser Aufruf erging natürlich nur an wirklich arbeitswillige, starke, unabhängige Menschen, denn die Homesteads lagen fern ab jeder Zivilisation und man musste sich schon selber zu helfen wissen. Anne und Adam hatten das große Glück, dass ein befreundetes Ehepaar, das vor nicht zu langer Zeit aus Europa eingewandert war, sich in ihr kleines Haus in Vancouver geradezu verliebten, da aber auch bei ihnen das Geld knapp war, entschloss man sich zu einem sogenannten Mietkauf. Eine größere Anzahlung musste geleistet werden, der restliche Betrag wurde in monatlichen Raten, wie eine Miete, überwiesen. Damit war beiden Teilen bestens gedient.
Anne und Adam hatten nun genügend Kapital, um sich mit dem notwendigsten Hausrat und Lebensmitteln einzudecken, die sie per Zug mit in die Wildnis nehmen wollten. Ein Altwarenladen in der Innenstadt von Vancouver entwickelte sich zur Goldgrube, was das Auffinden und Kaufen aller brauchbaren Gegenstände anlangte.
Bügeleisen, die man noch auf der Herdplatte erhitzen musste, eine Buttertrommel, handbetrieben versteht sich von selbst, denn in ihrem Tal gab’s keinen Strom und fließendes Wasser nur aus dem Fluss. Sägen, Äxte, Hämmer und Nägel, Waschzuber und Eimer, die Liste war endlos lange. Und in Mitten all dieser brauchbaren Herrlichkeiten stand die “Kitchen Queen”, ein gusseiserner Herd, wie man ihn zur damaligen Zeit in vielen der alten Bauernhäusern und Blockhütten fand. Massiv gebaut, mit einem Wassertank an beiden Seiten, einem großen Backofen, einer eisernen Rückwand die von einem Warmhalterohr gekrönt wurde. Die Holzlade war beachtlich groß, sodass man sicherlich mit diesem Schmuckstück das ganze Haus auch würde heizen können. Der Preis war auch nicht zu hoch angesetzt, aber das Gewicht, das Gewicht dieses Monsters! Adam wollte nichts davon wissen, es zu kaufen und dann auf die Reise mitzuschleppen. Aber hier kam dann auch der schlaue Verkäufer Anne zu Hilfe und mit etlicher Überredungskunst wurde das Ungeheuer dann doch gekauft, verpackt und auf den Weg gebracht.
Kisten und Truhen, Körbe voll Gerätschaft, alles, alles musste verpackt und zum Bahnhof gebracht werden, und dann war es endlich soweit. Ihr ganzes Hab und Gut war in einem Waggon des Zuges untergebracht, über allem thronte die “Kitchen Queen”, das Baby in einer warmen Decke eingewickelt auf den Rücken gebunden, so bestieg die junge Familie in Squamish, an der Westküste von British Columbia, den Zug, der sie in den Norden bringen sollte.
Und dann sind wir wieder im Abteil, wo die Wäsche an der Leine baumelt und noch Gelegenheit hat, auch wirklich trocken zu werden.
Das Grundstück der erworbenen “Homestead” lag in den Cariboo Mountains, in den Tälern zwischen Lone Butte und Bridge Lake, am sogenannten “Dragonfly Lake” also am Libellen Lake und konnte nur auf einem alten Karrenweg erreicht werden. Das Schicksal war der jungen Familie aber auch hier entgegen gekommen. So hatten sie durch ein Inserat in der Zeitung entnommen, dass ein Farmer aus der nächsten Umgebung, am Deka Lake, dringend jemanden suchte, der über die Wintermonate auf sein Haus und seine Rinder aufpassen würde, da seine Frau operiert werden musste und er mit ihr für einige Monate nach Vancouver ziehen wollte. Freudigst nahm man dieses Angebot auch sogleich an, somit konnte man mit dem Bau des eigenen Hauses bis zum Frühjahr warten und hatte trotzdem ein feste Dach über dem Kopf. Vor allem mit dem Kleinkind war es wichtig, etwas an Sicherheit im Leben zu haben.
Als der Zug in Lone Butte einlief standen da schon der Stationsvorstand und einige junge Indianer, die beim Ausladen der vielen Gepäckstücke behilflich waren. Auch die tonnenschwere Kitchen Queen wurde auf einen Zugschlitten gehoben und dann in einer Scheune vorübergehend verstaut. Das einzige Hotel im Dorf gehörte auch dem Stationsvorstand und seiner Frau und dort bekam die kleine Familie rasch ein relativ warmes Zimmer und jede Menge zu Essen. Anne sollte vorauseilen und mit dem Kind schnell in das Hotel ziehen, aber sie hatte große Sorgen um ihre wertvolle Ladung an eingekochtem Obst, Gemüse und Fleisch, bei minus 20 Grad die herrschten, würden die Gläser schnell frieren und platzen. So blieb sie bis zum Ende des Ausladens um sicher zu gehen, dass ihre geliebten Einkochgläser auch wirklich an einem warmen Ort verstaut wurden. Dieses Gut sollte auf der ganzen Reise, bis hin zum Dragonfly Lake, noch besser gehütet werden als der eigene Augapfel und oft wärmer eingepackt werden als die Menschen selbst. Das war der Grundstein für ihr Hausfrauendasein in der Wildnis, davon wollte sie auch nicht ein Glas verlieren und dies gelang ihr auch! Das kleine Dorf bestand nur aus einer Kirche, dem Hotel und ungefähr 20 Blockhäusern, die entlang des Karrenweges angesiedelt waren. Im Laden konnte man alles, aber auch wirklich alles kaufen, was man zum Leben und Überleben benötigte. So waren Anne und Adam auch am nächsten Morgen gleich daran gegangen, eine Einkaufsliste für die notwendigsten Lebensmittel aufzustellen. Reis, Nudeln, Gewürze, Salz, Zucker und Kaffee waren die wichtigsten Dinge auf der Liste. Der Krämer überzeugte sie dann jedoch noch, dass sie unbedingt eine große Menge trockener Bohnen haben müssten, denn sollte es kein Fleisch geben, so waren Bohnen immer noch die beste und haltbarste Ernährung. Kein Fleisch, da waren die beiden doch sehr verwundert, das Gebiet der Cariboos wimmelt doch nur so von Hirschen, Karibus und Elchen, wieso sollten sie da kein Fleisch haben. Aber wie sie dann erfahren mussten, zog das Wild während der Wintermonate aus den Bergen in die Flusstäler weiter im Süden und da es schon spät im Jahr war, würden sie mit einem Jagdglück wahrscheinlich bis zum Frühling warten müssen. Das war eine bittere Enttäuschung, die nächste kam gleich nach, als Anne erfuhr, dass die Farm auf der sie Einhüten sollten über zwei Tage mit dem Schlitten vom Ort entfernt lag und es dort weit und breit keine Nachbarn geben würde. Hier wurden die Entfernungen nicht in Meilen oder Stunden, hier wurden sie in Tagen gemessen. Sie waren also wirklich auf sich allein gestellt. Was hatte sie erwartet? Hatte sie zu viele Romane aus dem Wilden Westen gelesen, hatte sie gehofft, dass regelmäßig jemand auf dem Pferderücken zum Nachmittagskaffee vorbeikommen würde? Dieser Traum war ausgeträumt, aber der von einem freien Leben, der blieb bestehen.
Im Morgengrauen des nächsten Tages wurde beim Schein von einigen Laternen der große Schlitten mit den wichtigsten Dingen bepackt. Da man vorübergehend in ein vollständig eingerichtetes Haus ziehen konnte, mussten sie nur persönliche Sachen verstauen, und natürlich die heißbegehrten Einmachgläser. In Decken und Fellen gewickelt wurden sie in der Mitte des Schlittens in eine Kiste gepackt, obendrauf die Federbetten und Pölster, damit nur ja keine Gefahr eines Frierens bestand. Anne und das Baby wurden auch in Felle und Decken gewickelt und saßen mit dem Rücken an die Kiste gelehnt, sehr gemütlich und behütet für die lange Reise. Stunde um Stunde kämpften sich die vier Pferde durch den Schnee, durch Schneewehen, entlang von Sümpfen und Seen, die in der Mitte noch offenes Wasser zeigten, am Rand aber schon fest gefroren waren. Ende Oktober, Mitte November, da ist in den nördlichen Bergen von British Columbia schon der Winter vor der Türe. Mittags machte man Rast auf dem Weg, schnell wurde ein kleines Lagerfeuer entfacht, die Kaffeekanne darüber gehängt und einige belegte Brote gegessen. Weiter ging die Fahrt. Abends kamen sie an die Farm eines schwedischen Ehepaares und wurden freundlichst aufgenommen und bewirtet. In Windeseile wurden die Weckgläser wieder vom Schlitten genommen und im Haus verstaut, die Nächte waren klirrend kalt. Der nächste Tag brach viel zu früh heran, Rücken und Hinterteil taten der jungen Frau vom Sitzen auf dem Schlitten so weh, dass sie sich kaum bücken konnte. Auf der letzten Etappe ihrer Reise wollte sie längere Strecken zu Fuß neben den Pferden und Schlitten gehen, damit die Durchblutung wieder richtig auf Schwung kam. Als Dank für die nette Bewirtung, schenkte Anne einige ihrer heißgehüteten Obstgläser der Farmersfrau. Diese war sehr dankbar und gerührt, solche Köstlichkeiten zu erhalten und die Freude war riesengroß. Der Rest wurde wieder in Decken und Fellen auf dem Schlitten verstaut. Spät abends dann trafen sie endlich, endlich auf der Farm von Chris ein. Chris und seine Frau waren schon seit einigen Tagen reisefertig und machten sich sogleich auf dem Weg um in die Stadt zu kommen. Die Übergabe der Ranch wurde in großer Eile vorgenommen, aber da Adam doch Erfahrung mit Rindern und Pferden hatte, sah er kein Problem, die kommenden Monate allein die Verantwortung für das fremde Anwesen zu tragen.
Das Einleben in der Wildnis gelang dann doch nicht so ohne weiteres. Anne hatte ihre Not mit dem Heizen, dem Kochen und vor allem dem Backen von Brot, aber Übung macht den Meister und nach wenigen Wochen gingen ihr diese Arbeiten schnell von der Hand. Adam war ständig unterwegs um die Rinder und Pferde von einem Weideplatz zum anderen zu treiben. Es gab zu wenig Heu auf der Farm selbst, so mussten die Tiere draußen auf den Weiden unter dem Schnee nach Futter scharren. Wenn ein Platz “abgeerntet” war, mussten sie weiter getrieben werden. In seinem Inneren schwor er sich, es auf seiner eigenen Ranch das anders zu machen, er wollte unbedingt gute Heuwiesen anlegen und dafür sorgen, dass genügend Futter für die Tiere vorhanden sein wird.
Weihnachten nahte, die gekochten Bohnen, die zur Hauptnahrung geworden sind, hingen schon zum Hals heraus, aber bisher hatten sie keine Fährten von Wild gesehen, ein paar Haselhühner lebten in den Weiden am Seeufer, die waren aber auch mager und zäh. Da kam eines Tages aus dem Schneesturm ein Indianer auf die Farm. Die anderen weißen Siedler hielten immer einen großen Abstand zu den Rothäuten, je weiter weg diese lebten um so lieber war es ihnen. Aber Anne war neu in diesem Land und hatte keine Vorurteile mit gebracht. So lud sie den jungen Mann ins Haus und bot ihm eine heiße Suppe und Kaffee an. Im Laufe der Unterhaltung kam das Gespräch auch auf den Mangel an Fleisch und Fisch, sie hätten noch nie durch das Eis gefischt. Da konnte sich der Indianer dann gleich für die so ungewohnte Gastfreundschaft bedanken, indem er mit Anne auf das Eis hinaus wanderte, in einer kleinen Bucht im Schatten einer Halbinsel, drei Löcher hackte und eine Fischleine mit drei Haken ins Wasser legte. Über Nacht fingen sich dann drei herrliche Forellen an den Haken und von da an hatten sie wenigstens frische Fische, die den Speiseplan wesentlich verbesserten. Der Duft von frischgebackenen Brot und Forellen in Butter lockte dann doch einige Junggesellen an, die ihre Hütten sehr versteckt rund um den Deka Lake hatten. Martin war einer davon, seine Trapperhütte lag nur zwei Stunden Weges am nördlichen Ufer des Sees entfernt. Er war ein Mann in den Siebzigern, der schon seit über 20 Jahren allein in der Wildnis lebte. Als er nun erfuhr, dass eine Frau und ein Baby in die Gegend gezogen waren, da bot er sich gleich als Ersatzgroßvater an kam ihnen sehr oft zur Hilfe. Sein eigenes Kochen sei er leid, meinte er und so gute Dinge, wie Anne sie auf den Tisch brachte, hätte er schon eine Ewigkeit nicht gegessen. Woher denn die herrlichen Fische kämen. Er lebe nun schon 20 Jahre an diesem See, aber er hatte nur ganz selten das Glück, den einen oder anderen herauszuholen. Annes und Adams Fischleine produzierte jedoch in regelmäßigen Abstand die herrlichsten Forellen, so viele, dass Anne sie einkochen konnte oder trocknete für eine spätere Verwertung. Sie wurden auch gern gesehene Gastgeschenke, wenn sie zu den benachbarten Farmen eingeladen waren, oder in die Stadt musste. Im Großen und Ganzen spielte sich das Leben in diesem Winter aber vor allem in der einräumigen Blockhütte ab. Das Kind gedieh prächtig, war schon selber zu einem kleinen Pionier geworden, der sich auf den Rücken der Mutter gebunden, durch die Wälder tragen ließ oder mit dem Vater auf dem Pferd saß.
Und dann kam plötzlich die Nachricht, dass die Operation sehr gut verlaufen wäre und Chris und seine Frau in zwei Wochen auf ihre Farm zurückkehren würden. Schneller als vorgesehen mussten sie sich nun um eine neue Unterkunft mühen. Und nicht nur um ein Haus, sondern mit der Farm verloren sie auch ihr Bewegungsmittel, sie brauchten eigene Pferde, einen eigenen Schlitten oder Wagen und wenn es ginge auch eine eigene Milchkuh, denn ohne Milch konnte die Familie kaum leben, das Kleinkind schon gar nicht und immer nur aus der Dose, das schmeckt natürlich auch nicht. Aber auch hier war ihnen das Schicksal hold, Martin, der Ersatzgroßvater kannten jemanden, der seine Farm aufgeben wollte, weil er schon zu alt für die schwere Arbeit wurde und sicherlich froh wäre, wenn er seine Pferde und Fuhrwägen verkaufen könnte. Er selber hätte eine winzig kleine Hütte am Dragonfly Lake, die er als Unterschlupf benützte, wenn er seine Fallen stellte und einholte. Vielleicht könnte man ja vorübergehend dort wohnen und dann sogleich mit dem Bau eines neuen Hauses beginnen. Ja, da war der Plan schon wieder gemacht. So typisch kanadisch ist es, man kennt da einen, der kennt wieder einen anderen der sicherlich helfen kann oder weiß wieder jemanden der genau die Dinge hat, die man selber so notwendig benötigt. Adam und Martin machten sich sogleich auf den Weg zum alten Bill, der zwei Tage weit in den Bergen wohnte und sich wirklich langsam auf den Ruhestand vorbereiten wollte. Er würde zu seinem Sohn in die Prärie nach Manitoba ziehen, sobald er sein Anwesen verkauft hat. Zwei Zugpferde und ein Reitpferd könnte Adam aber sofort haben, einen Schlitten dazu auch. Sobald der Verkauf der Ranch über die Bühne gegangen wäre könnte er ja auch nochmals kommen und den Karrenwagen abholen, eventuell noch ein zweites Reitpferd für Anne. Damit hatte es aber nun gar keine Eile, denn Anne war noch nie auf einem Pferd gesessen und jetzt im Winter damit zu beginnen, wo das Kind auch noch so klein war, das war nicht nach ihrem Geschmack. Sicherer fühlte sie sich schon, wenn sie das Gespann lenkte, das war in ihren Augen ein besseres Fortbewegungsmittel, als so hoch zu Ross. Martin erwies sich als große Hilfe für die junge Familie, da er nicht nur die Menschen kannte, die weit verstreut in den Tälern wohnten, nein, er wusste auch genau worauf es wirklich ankam, wenn man ein Leben da draußen startet. So bot er sich auch an, in einem Zelt neben seiner kleinen Hütte zu wohnen und den beiden in den schweren Anfangszeiten beim Bauen des Hauses zu helfen.
Die Trapperhütte war eigentlich nur ein eher primitiver Unterstand, ca. 4 x 4 Quadratmeter groß, aber mit einem Ofenrohr und vor allem einem noch sehr dichten Dach. Für drei Leute und all ihrem Hab und Gut wird das eher eine sehr enge, unbequeme Angelegenheit, aber es war Winter und sehr, sehr kalt, sodass es vielleicht von Vorteil sein wird, wenn man auf engem Raum zusammen kriechen kann. Da die kleine Behausung aber keinen Ofen hatte, musste endlich die riesige Kitchen Queen aus ihrer Winterruhe geholt werden. Drei Tage war Adam mit den Pferden und dem Schlitten unterwegs nach Lone Butte um das gute Stück aus dem Lagerschuppen zu holen. Wie man dieses Monster auf dem Schlitten durch die weite Landschaft bringen würde und ob die Pferde es schaffen würden das Ungeheuer die steilen, eisigen Wege hochzuziehen, das stand in den Sternen. Aber wo ein Wille da ist auch ein Weg und er wusste genau, dass seine liebe, fleißige Frau ohne diesen Herd total unglücklich sein würde. Also wurde das gusseiserne Musterstück fest auf den Schlitten gezurrt, Lebensmitteln wurden noch eingekauft und nach nur wenigen Stunden Schlaf ging es wieder zurück an den Dragonfly Lake. In der Zwischenzeit hatte Anne all ihre persönlichen Sachen auf der Farm auch in Schachteln und Körbe verpackt, denn sobald Chris mit seiner Frau hier ankam, wollten sie übersiedeln. Die nächsten Tage waren wirklich hektisch und zwischen den beiden Grundstücken wurde ein sicherer, fester Weg in den Schnee gefahren, sooft musste man hin und her pendeln. Aber dann war alles, bis auf die begehrten Einmachgläser verpackt und übersiedelt. Auf der letzten Fahrt von Deka Lake zur Homestead wurden dann die “Augenäpfle” wieder in Decken und Felle auf dem Schlitten verpackt und endlich an ihren letzten Bestimmungsort gebracht. Es war so eng in der Hütte, dass Anne nicht mehr wusste, wo sie noch Dinge hin stopfen und unterbringen konnte. Da entdeckte sie die kleine Falltür in der Mitte der Hütte und einen kleinen Erdkeller darunter. Drei Stiegen führten in das Loch, die Wände hatten Regale und das war nun genau der richtige Platz für alle ihr Eingemachtes, die Lebensmittelvorräte und die Kleider, die man im Augenblick nicht benutzen konnte. Die Hälfte des Raumes nahm die Kitchen Queen ein, ein kleiner Tisch und zwei Bänke waren vor dem Fenster und an der Rückwand gab es zwei Stockbetten, Haken an den Wänden dienten zum Aufhängen der Kleidung, aber auch Töpfe und Pfannen hingen rund um den Ofen an Haken. Februar und März brachten noch eisige Stürme und starke Schneefälle und je länger die Kälte andauerte, um so froher wurde auch Adam, dass sich Anne nicht abhalten hatte lassen und den großen Ofen kaufte. Er wurde der Mittelpunkt ihres Daseins in der rauen, ungemütlichen Wildnis. Heißes Wasser gab es immer, denn ständig füllte Anne die Wasserbehälter mit Schnee auf, der dann schmolz, auch konnte man die nasse, gefrorene Kleidung rasch zum Ofen zum Trocknen aufhängen.
Als die Temperaturen stiegen, es wärmer wurde und die Tage länger, begannen Adam und Martin mit dem Fällen der Bäume für das neue Haus. Groß, groß musste es werden, sagten sie alle, und mindestens drei Räume, viel, viel Platz in der Küche und zum Wohnen wollte Anne haben, ein eigenes Kinderzimmer für den kleinen Joe und einen richtig großen Vorratsraum, der an die Küche angebaut werden sollte, für all ihre Lebensmittelvorräte. Die bedrückende Enge der kleinen Hütte machte ihnen doch mit der Zeit zu schaffen, daher der Wunsch nach Raum und Weite! Und da sich Martin als so hervorragender Großvater und Helfer erwies, machten sie ihm eines Tages den Vorschlag, dass er doch gar nicht mehr zu seiner alten Trapperhütte zurückkehren musste, er könne sich einen kleinen Raum ganz für sich selber am Haus anbauen und sie wären froh und dankbar, wenn er Teil der Familie werden würde. Das jedoch musste sich der lebenslange Einzelgänger erst einmal noch gründlich überlegen. Er wollte helfen das Haus fertig zu bauen, dann würde er für einige Zeit zurück auf seine Homestead gehen und sich später dann entscheiden. Sehr schnell wuchs das neue Blockhaus, die Wände bestanden aus dicken, kerzengeraden Föhren, Lodgpines, die fast astlos viele Meter hoch wurden, das ideale Baumaterial. Fenster und Türen wurden ausgeschnitten, ein Fußboden aus grob gehobelten Brettern verlegt, aus diesen wurden auch die neuen Bettgestelle und Möbel gebaut. Einzig allein die Kitchen Queen war nicht selbst gefertigt, aber sie wurde auch in dem neuen zu Hause zum Kernstück, ja Schmuckstück, der Inneneinrichtung. Aber erst musste man sie durch die Türe haben. Es war der Brauch, dass sowohl Fenster als Türen nicht allzu groß und weit ausgeschnitten wurden, denn man wollte soviel Wärme wie möglich im Raum behalten, also war die Haustüre dann doch zu schmal für die dicke Kitchen Queen geraten. Was nun? Adam wollte keine größere Öffnung sägen, auch der Rat von Anne, das Haus rund um den Ofen zu bauen, kam zu spät. Aber da Anne ohnehin einen großen Vorratsraum an der Rückwand der Küche haben wollte, wo man im Winter auch die Hühner und Milchkuh unterbringen konnte, da wurde eben diese Wand ausgewählt und mit einer großen Öffnung versehen, durch die man dann den Herd auch in die Küche schieben konnte. Teilweise setzte man die abgeschnittenen Holzbohlen wieder an den alten Platz zurück, es blieb aber Platz für einen schmalen Durchgang offen, durch den konnte die Hausfrau nun an ihr Eingemachtes, ihre Vorräte und die Hühner konnten direkt mit Küchenabfällen gefüttert werden. Dieser Raum wurde zum eigentlichen Kinderzimmer, denn in späteren Jahren gab es für Joe nichts Schöneres als in diesem warmen Verschlag mit den Hühner zu spielen und dort seinen eigenen Bauernhof aus geschnitzten Tieren aufzubauen. Aber noch war er zu klein, er verbrachte die meiste Zeit im großen Bett der Eltern, schlief viel und war ein ausgesprochen braves, zufriedenes Kind.
Sobald das Haus halbwegs bewohnbar war, wurde übersiedelt, die Feinheiten und das Ausschmücken der Hütte konnte dann immer noch vorgenommen werden, wichtig war endlich mehr Platz, Joe begann zu krabbeln und machte seine ersten Schritte, ein vernünftiges Kinderzimmer war für Anne das Wichtigste im Augenblick. Immer wieder musste jedoch die Arbeit am Haus eingestellt werden, weil man Feuerholz machen musste oder zu einem der weit entfernt lebenden Farmer fahren musste um Milch und Kartoffel zu kaufen. Heimlich schwor sich Anne, im kommenden Sommer und Herbst so viele Vorräte anzulegen, dass sie welche verkaufen konnte und nicht mehr um Unterstützung bitten musste. Aber aller Anfang ist eben schwer und wenn man im Spätherbst und Winter in dieses Land kommt, dann hat man nicht viele Möglichkeiten, dann muss man froh sein um alles, was man bekommen kann. Martin war wieder zurück in seine eigene Hütte gezogen und wollte versuchen in den letzten Winterwochen doch noch so viele Fallen zu stellen und Tiere zu fangen, wie es ihm möglich war. Adam kam von einer Fahrt aus der Stadt nach Hause und brachte die Nachricht, dass ein Farmer an Sulphur Lake, der ungefähr einen halben Tag weit entfernt lag, eine Milchkuh zu verkaufen hätte. Das wäre doch endlich eine gute Nachricht, man musste nicht immer nur die Milch aus den Dosen nehmen. Es war Ende März und das Eis auf den Seen begann langsam weich und brüchig zu werden, also war es an der Zeit, schnell noch die Kuh nach Hause zu schaffen, bevor man den tagelangen Landweg nehmen müsste, übers Eis ging es viel, viel schneller. Adam machte sich mit seinem Reitpferd auf den Weg, er wollte die Kuh dann an einem Seil hinter sich herziehen und hoffte gegen Abend wieder zu Hause zu sein. Anne war ja den ganzen Tag über eifrig mit kochen, nähen und putzen beschäftigt, das Wetter war windig und immer noch kam Schnee aus den tiefhängenden Wolken. Es wurde abends, das Essen stand fertig gekocht auf dem Herd, immer wieder ging sie vor die Hütte und hielt Ausschau nach Adam und den Tieren, aber sie hörte und sah nichts, es wurde dunkel und er war noch immer nicht da. Dann hörte sie das Schnauben des Pferdes und eilte freudig vor das Haus um ihn zu begrüßen. Müde und abgekämpft schaute er aus, das Pferd war mit Schweiß bedeckt, aber von der Kuh war keine Spur. Auf ihre Fragen teilte Adam dann mit, dass er das Tier am Ufer des Dragonfly Lakes hatte anbinden müssen, sie wäre absolut nicht bereit gewesen, auf das Eis zu gehen um die letzte Etappe anzutreten. Es würde ihnen nun wohl nichts übrig bleiben, als die Pferde vor den Schlitten zu spannen und zu versuchen, die Kuh hinten auf dem Schlitten übers Eis nach Hause zu bringen. Ob Anne bereit wäre, ihm dabei zu helfen, denn alleine würde er es sicherlich nicht schaffen. Natürlich war sie sofort dabei, aber als sie daran ging, das Kind in warme Decken zu wickeln um ihn mitzunehmen, da war Adam absolut dagegen. Das sei nicht der Ort für einen so kleinen Jungen, er wäre viel besser in seinem Bettchen aufgehoben als draußen in der dunklen Nacht, es sei auch viel zu kalt für ihn. Anne war das gar nicht recht, wie eine Gluckhenne wollte sie nun doch lieber bei ihrem Kind bleiben, aber Adam brauchte ihre Hilfe dringend. So legte sie noch jede Menge Holz auf das Feuer, damit der Ofen auch nicht ausginge und es wenigstens schön warm in der Hütte wäre, damit das Kind nicht frieren muss. Selbst warm eingepackt, mit drei Laternen versehen machten sie sich auf den Weg. Adam hatte die Seitenwände vom Schlitten abgenommen und eine alte Holztür flach auf die Kufen gelegt, darauf wollte er die Kühe treiben und sie dann langsam über den See transportieren. Das Reitpferde wurde mitgenommen, falls man es doch benötigen würde. Aus der Nacht klang das Heulen von Wölfen, es kam genau aus der Ecke des Sees, in der die Kuh angebunden am Ufer wartete. Nun mussten sie sich aber wirklich beeilen, denn so ein Rudel Wölfe, das schreckt auch vor eine Kuh nicht zurück und so angebunden und hilflos wird sie zum leichten Fraß für die hungrige Meute. Dunkle Flecken zeigten sich schon auf dem See als sie in großer Eile das Eis zum anderen Ufer hin überquerten. Es krachte und zwischen den Spalten drückte das Seewasser, sodass die Pferde tief einsanken in den Schnee. Ängstlich klammerte sich Anne an ihren Mann und so manches Stoßgebet wurde in den Himmel geschickt. Dieser beruhigte sie jedoch immer wieder, keine Sorge, wir kommen auch noch vor den Wölfe bei unserer Kuh an und das Eis wird uns schon halten. So viel Gottvertrauen hatte er. Und dann erreichten sie das andere Seeufer, die Bucht, in der die Milchkuh angebunden war. Schwarze Schatten auf dem Eis suchten in Windeseile das Weite, die Wölfe hatten sie kommen gehört und flüchteten in den angrenzenden Wald, verschwanden aber nicht ganz, noch warteten sie auf ihre Chance. Im Tiefschnee am Ufer war es schwer den Schlitten zu drehen, daher blieben sie einige Meter auf dem Eis und machten einen großen Bogen um die Pferde wieder in Richtung Heimat zu drehen. Die gute Kuh wollte nun aber überhaupt keine Anstalten machen, sich auf die etwas wackelige, doch rutschige Türe am Schlitten zu begeben. Kein Schieben oder Zerren half, stur und steif bleib sie am Ufer stehen, da bleib den beiden nun nichts anderes übrig, als sie mit einem langen Seil hinten am Schlitten anzubinden und zu hoffen, dass sie freiwillige dem Gefährt folgen würde. Anne sollte auf dem Reitpferd den Abschluss der kleinen Karawane machen und die Kuh sanft antreiben hinter dem Schlitten herzugehen. Adam wollte die Zugpferde lenken.
Anne, die eine große Angst vor Pferden überhaupt hatte und vor dem erst neu zugerittenem Reitpferd ganz besonders, fühlte sich im Sattel ganz und gar nicht wohl. Das konnte das Tier natürlich gleich spüren und es begann unruhig hin und herzu tanzen, keine Spur von Antreiben der widerspenstigen Kuh, im Gegenteil, es nervöse Pferde stieß auch die Kuh immer wieder von hinten oder der Seite an, was das Unternehmen nur noch schwieriger machte. Anne wäre lieber auf dem Schlitten, würde die Zugpferde besser kontrollieren können als das Reitpferd, es wäre ihr daher sehr lieb, wenn Adam und sie die Plätze tauschen könnten. Weil ihnen nun auch die Zeit davon lief, die halbe Nacht schon vorüber war, das Kind schon viel zu lange alleine in der Hütte lag, wurde also der Plan rasch geändert und langsam setzte sich die Kolonne nun endlich doch in Bewegung, quer über den See in Richtung Heimat.
Tiefe Wolken hingen am Himmel, immer wieder fielen Schneeflocken daraus, das karge Licht der Laternen war nicht viel Hilfe um den großen, nassen Flecken auf dem Eis auszuweichen. Über die Hälfte des Sees lang nun schon hinter ihnen, nur noch ein kurzes Stück, dann war man in Sicherheit. Angespannt den Blick nach Vorne und aufs Eis gerichtet, war Anne innerlich von Angst getrieben. Sie solle ruhiger werden, die Pferde würden schon den richtigen Weg finden, sagte ihr Adam ein ums andermal, Pferde würden sicherlich nicht freiwillig in ein Loch treten oder fallen, nur keine Angst, alles würde gut gehen. Ihr Bewunderung für Adams Glauben an die Pferde, dass diese wirklich immer das Richtig tun, war riesengroß, aber so ganz konnte sie sich damit nicht vertraut machen. Sie wollte nur noch nach Hause, nach Hause in die warme Stube, zu ihrem hoffentlich noch friedlich schlafenden Kind, weg vom Eis, weg vom See, weg aus der kalten finsteren Nacht. Und dann gab es einen gewaltigen Krach, dem eine Serie von knallartigen Salven, wie rasche Gewehrschüsse, folgte. Das Eis brach genau unter den Kufen des Schlittens auseinander und viele Sprünge liefen in allen Richtungen davon. Pechschwarzes Wasser gurgelte aus den Rissen und Sprüngen und schnell breitete sich eine riesengroße Pfütze auf dem Eis aus. Die Pferde blieben wie angewurzelt stehen, Anne hatte das Gefühl, dass sich das Eis unter dem Schlitten bog und senkte, wieder hoch kam und abermals erschall eine Serie von “Schüssen” in dem das Eis weiter und weiter aufbrach. Der angstvolle Ruf ihres Mannes, die Pferde anzutreiben, ja nicht stehen zu bleiben, schnell, schnell weg von dieser Stelle, sonst würde das Eis noch mehr aufbrechen und alle wären verloren. Mit der Peitsche, die sie zum ersten Mal in ihrem Leben jetzt benutzte, knallte sie den beiden Gäulen eine über den Rücken, diese machten einen Satz, der Schlitten flog nach, die angebundene Milchkuh wurde halb zu Boden gezerrt, und mitgeschliffen. Durch knöcheltiefes Wasser pflügten sich die Pferde und der Schlitten auf festeres Eis, heraus aus der Gefahrenzone. Die letzten hunderte von Metern bis zum sicheren Ufer wurden in Windeseile zurück gelegt, denn die Pferde liefen, als wenn der Teufel hinter ihnen her wäre. Die arme Kuh konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und schrie ihre Ohnmacht in die kalte Nacht. Aber dann war fester Boden unter ihrer aller Füße und ein Dankgebet wurde zum Himmel geschickt. Man war zu Hause, man war dem nassen Tod entkommen, alles war gut gegangen. Schnell wurden die Zugpferde angebunden, Anne sprang vom Schlitten und lief ins Haus. Friedlich schlief der kleine Joe noch in seinem Bett, aber es war kalt geworden in der Hütte, so wurde schnell ein neues Feuer in der Kitchen Queen entfacht, als dieses hell brannte, konnte Anne wieder hinaus um Adam bei der Versorgung der Tiere und des Schlittens helfen. Fest nahm er sie in die Arme und bedankte sich für ihre Hilfe, ohne sie hätte er es sicherlich nicht geschafft heil nach Hause zu kommen. Anne meinte wohl, dass sie durch ihre übergroße Angst sicherlich keine große Hilfe gewesen sein konnte, aber Adam sah das mit anderen Augen. Wieder hatten sie ein gefährliches Abenteuer in ihrem neuen Pionierleben gut überstanden und im Stillen wünschte sich Anne, dass nicht noch mehr solche Unternehmen auf sie zukommen würden. Aber keiner weiß, was die Zukunft bringen würde. Ab sofort gab es also täglich frische Milch, bald auch genügend Butter, als Anne es gelernt hatte die handbetriebene Buttertrommel zu verwenden, und mit der Zeit würde sie auch lernen Käse zu machen.
Langsam kam dann endlich der Frühling ins Land, die warmen Winde aus dem Süden, Chinook genannt, brachten den Schnee und das Eis zum Schmelzen, da und dort zeigte sich das erste Grün. Die Zugvögel kamen zurück und eines Tages erschien der junge Indianer wieder, den Anne im Winter zum Essen ins Haus gebeten hatte. Er hatte eine saftige Hirschkeule auf seinem Rücken und wollte der Familie damit eine Freude machen. Dies war ihm natürlich auch gelungen, denn nach so einem langen Winter mit Bohnen, Reis und Nudeln, da freuten sich alle auf einen leckeren Braten und bedankten sich ganz, ganz herzlich für die Gabe. Das Wild würde jetzt wieder in die Täler zurückkommen meinte er und bald gäbe es Fleisch in jeder Menge, allerdings nur für die Indianer, diese durften das ganze Jahr über jagen, die weißen Ansiedler hatten auch zu damaligen Zeiten schon Gesetze, was den Abschuss des Wildes anlangte und von Zeit zu Zeit kam sogar ein Wildhüter aus der Stadt vorbeigeritten um zu kontrollieren, wer hätte das geglaubt. Anne war ganz glücklich über den Dank und das Vertrauen, das der junge Indianer in sie und ihre Familie hatte, verschwieg dies aber allen weißen Nachbarn gegenüber. Die hätten ohnehin nicht verstanden, dass sie sich mit den Roten abgab. Löwenzahn, Guter Heinrich, Bärlauch, das war das erste Grün, das in der Küche Verwendung fand, frische Triebe der Weiden und Brennnesseln, alles wurde mit Begeisterung gesammelt und verkocht, endlich hatte die ziemlich langweilige Winterkost ein Ende.
Als das Eis aus den Seen weg war fanden sich am Ufer des Deka Lakes einige Indianerstämme ein, die dort ihr Fischlager aufbauten, der Zug der “Sucker” hatte begonnen. Diese Fische wurden von den Männern mit viel Geschick aus der Flussmündung mit Speeren herausgestochen. Die Frauen reinigten sie mit geschickten Händen und hingen sie über dem Rauch zum Trocknen auf. Aus der Ferne beobachteten Anne und Adam das emsige Treiben, ihnen selbst schmeckten diese Fisch nicht so gut, sie hatten zu viele Gräten. Eines Morgens stand dann eine junge Indianerfrau mit zwei Kleinkindern vor der Tür und bat Anne um etwas Milch, ob sie genügend hätte für die Kinder und alten Menschen unten am See.
Mittlerweilen gab die Kuh immer noch jede Menge Milch, sodass Anne großzügig täglich zwei Kannen abgeben konnte. Täglich kamen nun immer neue Menschen an die Blockhütte der weißen Pioniere, voll Neugierde bestaunten sie das Haus und die Nebengebäude, bewunderten die Kuh und die Hühner, wurden auch zu Kaffee und Kuchen ins Haus eingeladen, denn Anne kannte keine Scheu vor diesen Menschen. Kurz darauf kam dann auch die Großmutter des Stammes mit, sie wollte weder Kuchen noch Kaffee, ob Anne ein Stück Brot hätte. Bereitwillig wurde dieses dann serviert und es schien der alten Frau gut zu schmecken. Ab sofort würde sie nun täglich jemanden vorbeischicken um zehn Brote für den Stamm abholen zu lassen, sie wurde pro Laib fünf Cent bezahlen. Es war keine Frage, keine Bitte, es war ein Auftrag und dieser war sehr bestimmend herübergebracht worden. Anne hatte aber weder die Zeit noch die Mittel noch Lust täglich so viel Brot für die Indianer zu backen, lange dauerte es, bis sie der Stammesälteren dieses klar gemacht hatte, worauf diese erbost aufstand, sie eine faule, liederliche Weiße schimpfte und ohne Gruß wegging. Na, dachte sich Anne, da kann man auch nichts machen, die anderen werden trotzdem um die Milch wiederkommen. Was ja dann auch so geschah. Man brachte ihr eines Tages ein sehr, sehr krankes Kind. Irgendetwas giftiges musste es gegessen haben, denn es erbrach sich immer wieder und wollte nichts mehr zu sich nehmen. Nun blätterte Anne in ihren Büchern um eine Kur für dieses schwache kleine Wesen zu finden. Er müsse noch mehr erbrechen, damit auch wirklich alles aus seinem Magen heraus käme, so machte sie eine Tinktur aus Senfpulver und einigen bitteren Tropfen, warmes Wasser und zwang das Kind dies so schnell wie möglich zu trinken. Und wirklich, es half, mehrmals erbrach sich das Kleine noch und dann kehrte plötzlich wieder Farbe in die Wangen und es ging besser. Ja, das verhalf Anne natürlich zu einem besonderen Ruf, obwohl sie weit und breit die jüngste Frau und Mutter unter den Pionieren war, kamen doch von diesem Tag an immer wieder Menschen mit ihren Leiden und Beschwerden zu ihr und sie wurde die “Kleine weiße Mutter” genannt, die allen gerne helfend zur Seite stand. Brotbacken oder nicht, das war nun wirklich nicht mehr die Frage für die Indianer, sie kamen immer gerne um Rat und Hilfe zu ihr.
Da aber in diesen Monaten und Jahren Geld immer eine Mangelware war, man nie zu viel davon hatte, wurde ein reger Tauschhandel betrieben. Für die Milchkuh nun hatte Adam nur sehr wenig Geld hinlegen müssen, er hatte sich jedoch verpflichtet, dem Farmer beim Ausbau seiner Weidezäune für einige Wochen zu helfen. Damit war beiden bestens geholfen. Also kam der Tag an dem Adam sich jeden Morgen auf den Weg machen musste, an die drei Stunden Ritt ein Weg, um seine versprochene Hilfe abzuleisten. In dieser Zeit lernte Anne sehr gut, alleine mit der vielen Arbeit auf dem kleinen Hof selber fertig zu werden. Sie molk die Kuh, fütterte die Pferde und Hühner, legte einen großen Gemüsegarten an und machte sich im Haus an viele Verbesserungen. Sie war eine richtige Pionierfrau geworden, der keine Arbeit zu viel oder zu schwer war, die Hand mitanlegte, wo es gerade notwendig war. Ihr behütetes, zimperliches Leben in der Großstadt hatte sie schon ganz vergessen und oftmals wusste sie nicht wovon die Freundinnen in ihren Briefen sprachen und welche Sorgen diese in der Zivilisation hatten. Ihre waren von ganz anderer Art. Hautnah und bodenständig, wenn der Marder einige Hühner wegholte, oder der Fuchs versuchte ins Hühnerlaus einzubrechen, dann musste sie ihm den Weg versperren, das waren ihre Sorgen geworden! Ihre Nachbarschaftshilfe wurde bald in den Tälern nah und ferne bekannt, einige alleinstehende Junggesellen, die schon viele Jahrzehnte an den verschiedenen kleinen Seen rund um Lone Butte lebten, kamen nun regelmäßig bei ihr vorbei. Sie brachten ihr verschiedene Fische, Wildbret, Beeren oder Kräuter mit, dafür wurden sie dann zu einem herrlichen Essen eingeladen und Anne lernte dabei auch viel über die Natur und den Küchengarten von Mutter Erde. Ihre Brote und Kekse waren besonders begehrt und beliebt, wenn sie diese auch nicht für 5 Cent an die Indianer verkaufen wollte, so konnte doch so mancher Besucher beim Nachhause gehen einen Brotlaib unter seinem Arm mitnehmen. Auch das Herstellen von Käse hatte sie mittlerweile sehr, sehr gut gelernt. Aller Anfang hier war jedoch auch schwer, denn es fehlte vor allem an Lab, den richtigen Zusatz um die Milch entsprechend gerinnen zu lassen. Aber nach langen und vielem Herumfragen konnte sie diese Substanz dann doch in größeren Mengen bei Eaton’s bestellen. Ja, da muss ein Wort zu Eaton’s gesagt werden. Dieses riesengroße Einkaufshaus im Osten von Kanada versorgte das ganze Land mit Allem und Jeden. In jedem Haushalt gab es bestimmt mindestens einen Eaton’s Katalog, in dem man stunden- ja tagelang blättern und aussuchen konnte. Ein bis zweimal jährlich wurde dann eine Bestellliste aufgegeben und die Post lieferte die gewünschten Artikel ins Haus. Von Bekleidung über Werkzeug, Küchenutensilien, Kinderspielzeug bis hin zu den Blumen und Gemüsesamen, alles, wirklich auch alles konnte bei Eaton’s per Katalog bestellt werden. Es war ein wahres Vergnügen sich in die vielen bunten Seiten zu vertiefen, wenn auch die Bestellungen auf Grund der Depression, dann meistens nur gering ausfielen, aber träumen, träumen konnte man ja von so vielem! Adam bastelte ihr einen Käsepresse und schon die ersten Versuche gelangen hervorragend. Von da ab wurde Annes Käse in den ganzen Cariboos bekannt und sie konnte nicht genug davon machen. Hatte ein Nachbar sein Schwein geschlachtet, so brachte er etliche saftige Braten vorbei und handelte dafür ein paar Käse ein, oder bekam von der eingekochten Marmelade oder den gepickelten Fischen etwas mit. Sie alle lebten nicht schlecht, da draußen in der Wildnis, sicherlich besser, als die Menschen in der Großstadt, die auf Puppenküchen angewiesen waren und oft nicht einmal einen eigenen Ofen zum Wärmen hatten. Es wurde ihr nicht langweilige, auch nicht wenn sie tagelang alleine mit dem Kind auf der Homestead war, weil Adam wieder irgendwo bei einer Arbeit aushalf. Das war das normale Leben hier draußen.
So war er eines Morgens wieder aufgebrochen um einem Nachbarn beim Aufbau einer Scheune zu helfen, als sie von Klappern der Hufe aufgescheucht wurde. Zwei Polizisten, hoch zu Ross, kamen auf das kleine Haus zugeritten, sie stiegen ab, banden die Pferde an die Pfosten der Veranda und fragten, ob Adam zu Hause wäre. Nein, dieser sei morgens bereits weg und auch Martin, der Ersatzgroßvater, war an diesem Tag aufgebrochen um in Lone Butte einige Lebensmittel zu besorgen. Sie wäre mit dem Kind alleine zu Hause. Die Polizisten rieten ihr nun, sich im Hause aufzuhalten, sie wären hinter zwei Mördern her, die sich vom Babine Lake im Norden hierher in den Süden verkrochen hätten, bewaffnet und sehr gefährlich wären. Da fiel Annes Herz natürlich gleich in die Hose, sie versprach sich im Hause nützlich zu machen und bat die Gesetzeshüter an der Farm von Frank vorbeizureiten, dort wäre ihr Mann bei der Arbeit, er solle so schnell wie möglich nach Hause kommen. Sie gaben ihr das Wort darauf und ritten wieder weiter. Anne machte sich ans Einwecken von Moosfleisch, das nun nicht mehr gefroren war und schnellstens verarbeitet werden musste. Nach einiger Zeit hörte sie wieder Hufschlag und das Herz blieb ihr stehen. Wirklich, da draußen waren die beiden Verbrecher, sie kamen auf das Haus zu, wo konnte sie sich schnell verstecken...es gab keine Möglichkeit. Wahrscheinlichen hatten die beiden das Haus schon länger beobachtet, gesehen wie Adam und auch Martin weggeritten sind, hatten die Polizisten kommen und gehen sehen und waren sich nun sicher, dass die junge Frau mit dem Kind alleine zu Hause war. Sie banden ihre Pferde ebenfalls an dem Geländer der Veranda an und stießen die Haustüre auf. Anne stand da mit ihrem schwachen Gewehr in der Hand, das ihr letztlich wahrscheinlich nicht geholfen hätte. Sofort riss ihr der eine das Gewehr aus der Hand und verlangte die Patronen dazu. Außerdem wollte er wissen, ob noch andere Waffen im Hause wären. Anne verneinte dies, ihr Mann hätte noch ein Gewehr zum Jagen mit, aber Cash wäre auf seinem Pferd. Da sie ihr nicht so recht glaubten begannen sie das Haus total auf den Kopf zu stellen, sie rissen alle Türen und Laden auf, zerstörten die Betten, zerrten sogar die Matratzen von den Lagern. Anne kauerte verzweifelt und verängstigt mit dem Kind fest in ihren Armen in einer Ecke der Hütte und konnte keinen Laut von sich geben. Einer der Männer war ein Weißer, der andere ein Halbindianer, sie durchsuchten auch Scheune und Holzschuppen, ob es eventuell noch Pferde am Hof gab, da ihre beiden Tiere total übermüdet und schlapp waren. Aber es gab nichts zu finden. Da entdeckten sie am Herd den riesigen Einkochstopf mit dem halbgaren Elchfleisch, sie trugen ihn zum Tisch und griffen mit ihren dreckigen, schwarzen Händen in die Brühe und holten sich einen Brocken Fleisch nach dem anderen heraus, den sie lautschmatzend verzehrten. Wahrscheinlich hatten sie schon tagelang nichts gegessen, sodass es Anne nur recht war, je länger sie sich aufhielten mit dem Essen um so grösser war die Chance, dass Adam nach Hause kam. Ihre große Befürchtung war, dass die beiden nach vollendeter Mahlzeit sie und das Kind töten würden, wer einmal mordet, der tut es auch wieder, dachte sie, dann würden sie die Hütte anstecken und das Feuer würde alle ihre Spuren verschwinden lassen. Die Angst und Panik um sich und ihr Kind hatte sie wirklich ganz schwach werden lassen und ihre Gedanken suchten um einen Ausweg, den sie aber nicht fanden. In der Mitte der Stube hatten die Mörder bereits einige Decken gelegt, darauf lagen die wenigen Brote, die es noch gab, einige Dosen mit Gemüse und Obst, Mehl und Zucker, fast die ganzen Vorräte haben sie auf einen Haufen geschmissen und wollten diese in den Decken verpackt dann mitnehmen.
Da wurde mit einem Schwung die Türe aufgestoßen, Adam stand da, mit dem Gewehr in Anschlag und befahl ihnen die Hände hoch zu nehmen! Total überrumpelt blieben die Gauner sitzen und streckten auch brav ihre Hände zum Himmel. Anne müsse nun schnell herkommen und helfen, um die beiden zu fesseln und an einen der Pfosten der Veranda zu binden. Sie wagte sich zuerst an den Halbindianer, da dieser kleiner und schwächer erschien. Und es gelang ihr auch, ihn wie ein Paket verschnürt an den Stamm zu binden. Sie würden nun Platz tauschen und Adam würde den großen, weißen Mann fesseln und anbinden, Anne solle in der Zeit die Waffe auf ihn gerichtet halten. Das war jedoch keine so gute Entscheidung, denn im Augenblick der Waffenübergabe gelang es dem Banditen sich mit einem Hechtsprung über das Geländer der Veranda ins Freie zu flüchten. Anne stand da mit dem Gewehr und Adam schrie sie laut an, schieße, schieße, sonst entkommt er uns noch. Nicht mit der Wimper zuckend brachte sie das Gewehr in Anschlag und drückte ab. Der Rückstoß warf sie um, aber auch der Verbrecher fiel laut schreiend um und lang bewegungslos im Gras.
Mein Gott, jetzt hab ich einen Menschen getötet, das war es was ihr ein ums andere Mal durch den Kopf schoss. Jetzt bin ich selber zur Mörderin geworden, es wurde ihr schwarz vor den Augen. Aber weich werden half jetzt nicht, schon schrie Adam wieder um ein Seil. Er war mit der Waffe in der Hand zu dem Verbrecher hingegangen und hatte gesehen, dass dieser nur einen Streifschuss am Bein hatte, also nicht gefährlich verletzt war. Aber man müsste ihn schnell an einen Pfosten der Veranda binden und vielleicht auch eine Kompresse anlegen, damit er nicht letztlich doch noch verblutete und sich der gerechten Strafe entziehen konnte. Gemeinsam zerrten sie den schweren Mann die wenigen Stufe auf die Veranda und Anne eilte ins Haus um ein Seil zu holen. Da hörte sie fürchterliche Schreie und Stöhnen von draußen, schnell lief sie wieder durch die Türe und musste mit ansehen, wie der Mörder auf ihrem Mann kniete und versuchte diesen zu erwürgen. Hilfe! schrie es in ihr, und da lag Gott sei Dank noch das Gewehr, das sie schnell aufnahm, umdrehte und mit dem Kolben hieb sie dem Mörder mit aller Wucht über den Kopf. Aufschreiend brach dieser zusammen, ließ sofort von Adam ab und rollte ohnmächtig auf die Seite. Adams Gesicht hatte sich schon blau verfärbt und nur mühsam konnte er Atem holen, aber Anne hatte nicht Zeit um sich um ihn zu kümmern, erst musste dieser Bandit gefesselt und angebunden sein, damit er nicht noch mehr Schaden anrichten konnte. So schnürte sie ihn auch wie ein Paket fest an den Pfosten der Veranda, nicht einmal der Entfesselungskünstler Houndini hätte sich aus dieser Verschnürung befreien können! Adam erholte sich schnell wieder und man musste nun beraten, welche Schritte man als nächstes einleiten sollte. Da kam aus dem Wald der laute Ruf von Martin, er war zurück aus der Stadt Lone Butte. Eigentlich hätte er erst am kommenden Tag wieder hier sein wollen, aber als er seine Einkaufsliste im Laden abgab, da hatte er von den Verbrechern erfahren, die sich auf den Weg Richtung Deka Lake und Dragonfly Lake aufgemacht hätten. Er wusste dass Anne den ganzen Tag alleine mit dem Kind sein würde, das ließ ihm keine Ruhe, so kehrte er auf der Stelle um und ritt so schnell er konnte wieder zurück! Sehr erstaunt war er, als er sah, dass die beiden wohlversorgt an den Säulen der Veranda angebunden waren, dass die kleine weiße Mutter sich nicht unterkriegen hatte lassen, nicht nur ihr eigenes Leben, nein auch das des Kindes und ihres Mannes gerettet hatte. Er wolle nur eine Kleinigkeit essen, sagte Martin dann würde er schnellsten wieder zurück nach Lone Butte reiten um die Polizei zu unterrichten, dass sie sich ihre Mörder am Dragonfly Lake abholen könnten. Auf Grund der weiten Entfernungen würde er aber sicherlich nicht vor Mittag des nächsten Tages wieder zurück sein können, also musste man wohl oder übel die Verbrecher über Nacht vor dem Haus angebunden lassen und bewachen. Adam war von seiner Attacke so gezeichnet, dass er sich nicht lange auf den Beinen halten konnte und mit dem Kind bald im Bett verschwand. So war es wiederum die Frau, Anna, die die Starke war, die die ganze Nacht mit dem Gewehr auf dem Schoss bei der offenen Haustüre saß und kein Auge von den Gefangenen nahm. Ihre Angst war grösser als alles andere, so viel Glück hatte der Mensch nicht oft, so knapp an einer Katstrophe vorbeizukommen, diese zu überleben, was waren da schon einige schlaflose Stunden dagegen.
Herzlichen Glückwunsch, riefen die Polizisten schon von Weitem, als sie am nächsten Tag um die Mittagsstunden auf die Homestead eingeritten kamen. Sind wir glücklich, dass diese beiden gefährlichen Menschen endlich gefangen sind. Sie priesen und lobten den Mut der jungen Frau und ihre rasche Entscheidungskraft und konnten sich nicht genug darüber wundern, wie umsichtig und schnell sie mit der Situation fertig geworden ist. Anne aber hatte nur einen Wunsch, schnell ihr Haus wieder in Ordnung zu bringen, die Lebensmittel zurück in die Regale zu stellen, die Betten ordentlich zu machen und Frieden, Frieden in ihren eigenen vier Wänden zu haben. Nach einer bescheidenen Mahlzeit für alle anwesenden Männer, Polizei und Mörder gleichermaßen, machten sich die Gesetzeshüter auf den Weg zurück in die Stadt um die Beiden ins Gefängnis zu bringen. Ja und außerdem, sagte der eine noch, auf die Gefangennahme dieser beiden Mörder wäre eine Belohnung von 3.000 Dollar ausgesetzt gewesen, dieses Geld hätte sich Anne wohl redlich verdient. Hurra, so viel Geld, das könnte man ja dringend brauchen, denn auf der neuen Farm fehlte es an allen Ecken und Enden noch an wichtigen Dingen, und diese, da war sich Anne sicher, würde sie in aller Ruhe aus dem neuesten Eaton’s Katalog heraus suchen.

Gangan Verlag: Raw Cut: Heide Schütz: Geschichten verfallener Hütten | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13