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Der Kopf

Es war einmal eine Frau in ihren besten Jahren. Abends kam sie von der Arbeit nach Hause, verstaute ihre Einkäufe und machte sich ans Kochen. Nachdem sie gegessen hatte, nahm sie ein Glas und eine Flasche Wein, ging ins Wohnzimmer, und betrachtete es. Sie wollte Veränderung. Womit beginnen? Mit den Bildern!

Sie stellte das Glas und die Flasche Wein auf den Couchtisch, stellte sich prüfend vor ein Bild, sagte: „Ja, ich nehme mir ein neues“, und nahm das Bild vom Haken.

Sie sah in zwei Augen, sah einen bleichen Kopf mit wirrem Haar, sah den Mund sich öffnen, und der Kopf fiel aus der Wand und schlug auf den Boden. Er rollte ein wenig und lag zu Füßen der Frau.

Die kreischte.

Sprach der Kopf: „Muss zum Schuster Wettebner. Habe etwas mitzuteilen. Nehmen Sie mich in den Arm. Bringen Sie mich hin. Muss Herrn Wettebner das mitteilen. Wichtig. Heute noch. Seien Sie gut zu mir, nehmen Sie mich.“

Die Frau kreischte.

Dann wollte sie auf den Kopf treten, aber ihn berühren? Sie dachte, vielleicht wird er schreien und um ihr Mitleid flehen.

Der Kopf redete: „Es ist eine wichtige Sache. Herr Wettebner erwartet mich. Bringen Sie mich hin. Ich bin nicht so schwer.“ Und in einem fort redete er.

Die Frau sah einen abgerissenen Kopf, bleich, wirr, hässlich. Sie wollte nichts mehr hören und eilte in die Küche. Sie hielt sich die Ohren zu.

Hörte sie nichts, verschwand das Bild des Kopfes vor ihren Augen. Lauschte sie, hörte sie den Kopf im Wohnzimmer reden. Wie ein Geisteskranker von seinem Thema redet, so hörte sie den Kopf im Wohnzimmer reden, immer einen Namen nennend, immer vom Tragen faselnd, unentwegt, laut und deutlich.

Die Frau öffnete Laden und Küchenkasten und schlug sie zu. Der Lärm sollte das Elend verscheuchen, in dem sie sich befand: mit einem abgerissenen Kopf, der aus der Wand gefallen war, allein und zusammen in der Wohnung. Was tun?

Was tun? Was tun?

Vor ihrem geistigen Auge entstand ein Bild:

Dampf stieg aus einem großen Topf. Wasser kochte brodelnd.

Den Kopf kochen? schoss es ihr durch den Kopf. Nein, verbrühen! Ihm wehtun! Ihn umbringen!

Das wurden die längsten Minuten im Leben der Frau. Sie stellte den größten Topf auf, den sie finden konnte, und wartete, wartete elende Minuten, dass das Wasser endlich heiß würde. Drin im Wohnzimmer redete der Kopf und rief sogar in die Küche herüber: „So nehmen sie mich doch. Ich muss dem Herrn Wettebner Bescheid sagen. Dauert nicht lange. Wichtig. Sehr wichtig.“

Und er redete, und das Wasser wollte einfach nicht kochen.

Kochte es endlich.

Die Frau ließ es noch aufkochen, bis es brodelte, brodelte, brodelte.

Sie nahm die Topflappen von der Wand, schlüpfte mit ihren Händen hinein, hob den Topf, atmete tief ein und marschierte in ihr Wohnzimmer.

Es zischte, bruzzelte, dampfte, knackte, als sie das kochende Wasser über den Kopf goss.

Der kreischte.

Er schrumpelte, dampfte, schrumpfte, zog alles Wasser in sich auf und lag mit einem Mal da als Papierknödel, zusammengedrückt, weiß, stumm.

Die Frau schaute.

Was tun?

Stand auf dem Papier, was der Kopf dem Schuster hatte mitteilen wollen? Die Botschaft? Der Wunsch des Kopfes?

Die Frau stellte sich entschlossen keine weiteren Fragen. Sie ging in die Küche, nahm zwei Löffel, weil ihr nichts anderes einfiel, packte zitternd mit ihnen das Papier und warf es in den Ausguss. Sie rieb ein Zündholz an.

Wird es schreien? Wird das Papier schreien?

Der Papierknödel verbrannte und verkohlte.

Kam die Frau zurück ins Wohnzimmer. Sie sah das Bild am Boden liegen. Sie hatte es fallen gelassen. Sie sah das Loch in der Wand.

Keine Veränderungen! Schoss es ihr durch den Kopf. Sie hob das Bild auf und hängte es vor das Loch.

Alles war wieder normal.

Aber wenn es hinter diesem Bild einen Kopf gegeben hatte, was bargen dann die anderen fünf Bilder?

Nie schaute die Frau nach. Sie nahm sich eine andere Wohnung.