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Joe

Nicht weit von hier, gleich hinter dem Horizont, liegt das Schneeland. Da gibt es Schnee im Winter, im Frühling, im Herbst und auch im Sommer. Da gibt es immer Schnee, jeden Tag. Mitten im Schneeland liegt ein Zoo, da gibt es alle Tiere, die den Schnee lieben: Schneeleoparden, Schneehasen, Schneeeulen, Schneeelefanten, Schneeaffen, Schneelöwen und Schneezebras. Alle sind ganz weiß und leben in ihren Gehegen, auf den Schneehängen, auf den Schneeflächen, in den Schneehöhlen und in der Schneesavanne. In diesem Zoo ist es lustig spazieren, und es gibt zu jeder Jahreszeit Eis zum Schlecken, das mögen Kinder und Erwachsene ganz besonders.

Einmal im Sommer brachte die Mamma den kleinen Johann in das Schneeland. Sie fuhr mit dem Auto hinter den Horizont und parkte neben den Gittern des Zoos. Dann zog sie Klein-Johann den Overall an und machte sich auf, mit ihrem kleinen Sohn den Zoo anzuschauen. Klein-Johann war in einem weißen Overall gekleidet- wie hatte er geschrien und gestrampelt, um ihn zu bekommen! Nun ging er ganz zufrieden an der Hand seiner Mutter und betrachtete alles, was sich ihm bot. Und natürlich fasste er den Schnee an.

Beim Pinguinbecken blieb Klein-Johann stehen und wollte nicht weiter. Pinguine waren für ihn interessant. Er schaute sie an, wie sie gingen, wie sie schwammen, wie sie sich unterhielten und wie sie zwischen den hohen Eisblöcken verschwanden.

Auf einmal war auch Klein-Johann verschwunden. Seine Mutter hatte kurz zum gegenüberliegenden Gehege hingesehen, wo es in Schnee und Eis große Eisbären gab. Als sie wieder zurückschaute, war Klein-Johann verschwunden. Sofort begann die Mutter zu suchen und sie dachte, Klein-Johann in seinem weißen Overall sei bei all dem Eis und Schnee schwer zu sehen. So sehr sie ihre Augen anstrengte, sie konnte Klein-Johann nirgends entdecken.

In ihrer Verzweiflung holte sie die Zoowärter und bat diese, ihr zu helfen. Die Zoowärter waren alle Eskimos und kannten sich im Schneeland gut aus. Sofort suchte einer nach den Spuren der kleinen Füße im Schnee. Er fand auch Klein-Johanns Spuren. Da, wo er gestanden war und die Pinguine betrachtet hatte, sah er die Abdrücke der kleinen Stiefel. Aber weiter fand er nichts. Er richtete sich auf und blickte mit seinen scharfen Augen überall hin, wie es nur Eskimos im Schnee können, und da rief er: „Da ist unser kleiner Ausreißer! Bei den Pinguinen ist er!“

Tatsächlich war da ein kleines Kind in einem weißen Overall: Klein-Johann. Mitten unter den Pinguinen ging er herum und unterhielt sich mit ihnen. Aber wie war er da hingekommen? Alle rätselten. Besonders seine Mutter fragte sich, wie er in dem kurzen Augenblick, den sie weggesehen hatte, zu den Pinguinen geklettert war. Klein-Johann machte sich nichts aus der Aufregung um ihn. Er spazierte an der Hand seiner Mutter weiter, nachdem die Wärter ihn aus dem Gehege geholt hatten. Er schaute sich noch besonders lange die Schneezebras an, dann war alles zuviel, und er wollte nach Hause. Er bekam ein Eis, und als die beiden, Mutter und Sohn, je ihr Eis schleckten, war die Mutter doch neugierig und fragte Klein-Johann, wie er denn zu den Pinguinen gekommen sei.

„Weil ich ein Pingwin bin“ antwortete Klein-Johann.

„Ein Pingwin“, sagte seine Mutter.

„Ein Pingwin", sagte Klein-Johann.

„Weil du ein Pingwin bist?“

„Ich bin ein Pingwin und kann fliegen.“

Das glaubte die Mutter nicht.

Aber so war es. Zog Klein-Johann seinen weißen Overall an, konnte er fliegen, und alle wunderten sich, und weil die Leute ihn fliegen sehen wollten und weil ihm dies gefiel, trat Klein-Johann im Circus auf. Hier flog er, und die Leute klatschten, und jeder wollte wissen, wieso er fliegen könne.

„Weil ich ein Pingwin bin“ antwortete er „und einen weißen Overall habe.“

Aus dem kleinen Johann wurde mit den Jahren der große, sensationelle Joe, der unter der Zirkuskuppel flog und der die Leute begeisterte.

„Meine Damen und Herren!“ kündigte ihn der Zirkusdirektor an. „Der große, der einmalige, der unvergleichliche Joe. Gleich werden Sie erleben, wie er fliegt, und sie werden aus dem Staunen nicht herauskommen.“

Und Joe flog von der Manege hinauf unter das Zirkuszelt und zeigte Kunststücke und Sensationen, bei allen denen er in seinem weißen Overall flog und flog und flog. Er war ein großes Ereignis in jeder Stadt. Die Reporter fragten ihn, wie er es anstelle zu fliegen, aber Joe sagte nur bei jedem Mal:

„Weil ich ein Pingwin bin.“

Dabei beließ er es.

Und weil er den Circus liebte, blieb er da sein ganzes Leben lang, und wenn er nicht gestorben ist, so fliegt er heute noch von der Manege hinauf unters Zirkuszelt und alle Menschen staunen.