Hrsg. von Susanne Blumesberger und Jana Mikota
(= biografiA – Neue Ergebnisse der Frauenbiografieforschung; 13)
Wien: Praesens Verlag 2013
282 Seiten, Klappenbrosch., mit Abb., EUR A 32,00 / EUR D 31,10
ISBN 978-3-7069-0738-5
Die 1888 in Wien geborene und 1960 in Hollywood gestorbene Schriftstellerin Vicki Baum war eine der großen Erfolgsautorinnen der Zwanziger Jahre, und auch nach ihrer Übersiedlung in die USA 1932 reüssierte sie beim Publikum mit ihren nun teilweise in englischer Sprache erschienenen, teilweise aber auch in dem deutschen Exilverlag Querido in Amsterdam herausgekommenen Romanen. Die Nationalsozialisten setzten ihre sämtlichen Schriften auf den Index. Noch heute erfreut sich ihr Werk, insbesondere Menschen im Hotel von 1929, einer gewissen Popularität, jedenfalls ist dieser Roman ebenso wie einige andere Werke, darunter das Stück Pariser Platz 13, aktuell im Buchhandel lieferbar. In Wien erinnert seit 1999 die „Vicki-Baum-Straße“ an die Autorin, in Berlin-Grunewald findet sich eine Gedenktafel an jenem Haus in der Königsallee, in dem sie Menschen im Hotel schrieb.
Anlässlich des 50. Todestages der Autorin fand 2010 am Wiener Institut für Wissenschaft und Kunst im Rahmen des verdienstvollen Projekts „biografiA. datenbank und lexikon österreischer frauen“ eine Tagung statt, die der hier angezeigte Band dokumentiert. Sieben der zwölf Beiträge widmen sich dem Werk vor 1932/33, die übrigen dem amerikanischen Oeuvre, die Verfasser und Verfasserinnen sind Julia Bertschik, Veronika Hofeneder, Cordula Seger, Johannes Pankau, Nicole Streitler-Kastberger, Ernst Seibert, Jörg Thunecke, Fangfang Xu, Alexandra Tyrolf, Christa Gürtler, sowie die beiden Herausgeberinnen und Annegret Pelz mit einem kurzen Grußwort.
Ausgangspunkt ist die Titelfrage der Tagung und des Buches: „Lifestyle – Mode – Unterhaltung oder doch etwas mehr?“ Hinter der Frage nach der „Unterhaltung“ steht gewiss auch jenes Unbehagen, das die prominente Autorin und Angestellte des Ullstein-Verlages Vicki Baum selbst plagte – dass sie womöglich als bloße Unterhaltungsschriftstellerin und nicht auch als seriöse Autorin Anerkennung fände. Ihre bekannte Selbstaussage: „Ich bin eine erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte“ (S. 85) zielt in diese Richtung. Nun scheint mir dieser Ansatz, dies vorweg, zumindest missverständlich. Gerade in der Literatur und den einschlägigen Literaturdebatten der Zwanziger Jahre geht es immer wieder darum, die traditionelle und überholte Dichotomie von E- und U-Literatur, von Hochkultur und Höhenkammliteratur auf der einen und von Unterhaltungsliteratur auf der anderen zu hinterfragen und zu unterminieren. Hier sei nur auf die diesbezüglichen Überlegungen von Benjamin, Brecht u.a. verwiesen. Ausführlicher geht darauf allein Johannes Pankau in seinem weit ausholenden Beitrag über Menschen im Hotel ein, der seine wissenschaftsgeschichtliche Ausführungen zum lang anhaltenden germanistischen Desinteresse an der Autorin (und nicht allein dieser Autorin) mit Überlegungen zu einer Unterhaltungsliteratur „des Gut-Gemachten“ (Pankau, S. 87) verbindet. Es sollte nicht oder zumindest nicht nur gehen um ein „etwas mehr“ als „Unterhaltung“ (und Lifestyle und Mode), sondern gerade diese Art der Unterhaltung müsste allererst auf den Prüfstand gestellt und nicht von vornherein denunziert werden, auch wenn mit Ullstein oft genug Triviales verbunden sein mag – oder etwas, was als solches angesehen wurde. Aber, zur Erinnerung: Ullstein-Autoren waren auch Brecht, Tucholsky und Heinrich Mann, um hier einmal prominenten ‚Linke‘ zu nennen.
Allerdings spielt, wie gesagt, in den Beiträgen diese übergeordnete Frage nach ‚Unterhaltung‘ kaum eine Rolle, weil sich die Beiträger und Beiträgerinnen mit guten Gründen einig sind, dass Vicki Baum doch auch literarisch ernst zu nehmende Werke geschrieben hat. Allen voran Menschen im Hotel (Seger, Pankau, auch Streitler-Kastberger), ein Roman, der von Thematik und Machart her als innovatives Beispiel für den Gruppenroman beurteilt wird. Seine multimediale Vermarktung – Roman, Film, Theaterstück, Musical erscheint als hochmodernes Marketing von Ullstein, der in späteren Ausgaben fortgelassene Untertitel Kolportageroman mit Hintergründen liest sich zudem wie ein Beitrag zur Frage der Unterhaltungs- bzw. Trivialliteratur. Wechselbeziehungen zwischen Vicki Baum und die ebenfalls lange vergessene und unterschätzte Ullstein-Autorin Gina Kaus, die zeitweilig ähnliche Selbstzweifel plagten wie Vicki Baum, werden insbesondere in beider Kurzprosa aufgewiesen (Hofeneder), zudem werden die vielfältigen Vernetzungen innerhalb des „transnationalen Literatursystems der Weimarer Republik“ anhand der Ullstein-Zeitschrift Die Dame herausgearbeitet, die ganz neue Schlaglichter auf den spezifisch österreichischen Anteil an der „luminosen Konstruktion der ‚goldenen zwanziger Jahre‘“ (Bertschik) werfen. Bisher kaum wahrgenommen wurde Vicki Baums Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur, so ihr Roman Bubenreise (Blumesberger) und ihre drei Kinderstücke, die z.T. im Wiener Burgtheater gegeben wurden (Seibert).
Auf die immerhin fast 30 Jahre währende literarische Produktion in den USA beziehen sich die folgenden Arbeiten: auf Genderaspekte, genauer „Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit“ in den Romanen dieser Zeit (Mikota), auf Vicki Baums Amerika-Kritik in ihrem späten Roman Kristall und Leben (Thunecke) und ihre Verhältnis zu den USA (Gürtler), auf ihren weiteren Hotelroman Hotel Shanghai im Vergleich mit Anna Seghers‘ Das siebte Kreuz (Xu), schließlich auf ihre Autobiographie (Tyrolf). Eine für die erste Orientierung nützliche, wenn auch nur ausgewählte Bibliographie sowie eine Zeittafel beschließen den Band.
Mit seinen größtenteils neuen Perspektiven, teilweise auch neuen bzw. bisher wenig bekannten oder berücksichtigten Materialien eröffnet dieser Sammelband neue Blicke auf eine Autorin, die nun endlich ihren angemessenen „Ort in der Literaturgeschichtsschreibung der Weimarer Republik“ (S. 90) zugewiesen bekommen hat – und darüber hinaus. Dabei muß man ja nicht gleich von einer „genialen Weise“ sprechen, mit der Vicki Baum den „Zeitgeist“ in ihren drei Hotelromanen „eingefangen“ habe (Streitler-Kastberger, S. 126).
Es sollte, dies als Resümee, nicht darum gehen, in der Literatur ‚Unterhaltung‘ zu desavouieren und Vicki Baums Romane nun auf einmal nicht mehr als (auch) ‚unterhaltend‘ zu lesen, sondern das ästhetische Phänomen Unterhaltung und seine Behandlung in der Literaturwissenschaft genauer zu analysieren. Dass Vicki Baum ihr Millionenpublikum unterhalten hat, sollte man ihr nicht vorwerfen – es geht vielmehr um Machart und Besonderheit ihrer Schreibstrategien und ihre Positionierung im literarischen Feld vor und nach 1932/33. Dazu liefert der vorliegende Band erfreuliche und zur Weiterarbeit einladende Beiträge.
Walter Fähnders
8. Juli 2015
Originalbeitrag