(= Limbus Preziosen)
Innsbruck: Limbus 2015
120 Seiten. € 10,- A/D, CHF 14,90 UVP
ISBN 978-3-99039-042-9
Ein fesselnder, angenehm zu lesender Essay über Stefan Zweigs Leben von 1934, ja von 1925 bis zu seinem Selbstmord. Wilczek unterstellt, so geistreich wie überzeugend, Zweigs Essay über Nietzsche (in: Der Kampf mit dem Dämon, 1925) sei das Modell für diese letzten Lebensjahre des Autors gewesen, in denen dieser allen Erfolgen zum Trotz „an seiner Zeit und sich selbst“ zerbrochen sei. Interessant schon die Überlegungen zum Nietzsche-Essay selbst und zu dessen Abstand vom konservativ-nationalen Bild des Philosophen.
Doch nicht die Interpretation von Werken Zweigs steht im Mittelpunkt des kleinen Buchs. Wilczek legt den Akzent mehr auf die Biografie des Autors, zunächst auf seine Unterschätzung der politischen Entwicklung in den 20er und 30er Jahren, dann auch auf belastende Entwicklungen in seinem Privatleben. Ein erschreckender Einschnitt war die Hausdurchsuchung in Salzburg durch die Dollfuß-Polizei 1934. Von diesem Zeitpunkt an bestimmen Angst und Heimatlosigkeit Zweigs Leben. Er zieht nach London, heiratet dort Lotte Altmann, deren wiederkehrende Asthma-Anfälle noch zusätzlich Angst auslösen. Auch weitere Details der Biografie des Autors ordnet Wilczek zu einem unumkehrbaren Weg in die Katastrophe an, an dem Zweigs finanzielle Sicherheit im Exil nichts ändern kann; seit den späten 30er Jahren denkt er an Selbstmord als Ausweg.
Zum Verständnis von Zweigs Werk tragen die Überlegungen zur Präsenz Nietzsches in der Welt von gestern und der Schachnovelle bei; über diese steht hier Bedenkenswertes. Noch eindrucksvoller ist die Parallelisierung von Zweigs letzten Lebensmonaten mit der Einsamkeit des späten Nietzsche. Wilczek versteht es zu zeigen, dass dieser Zustand für das Exil typisch ist, auch in der Verklärung: „Stefan Zweigs Selbstmord ist nicht der […] Abgang eines Ruinierten, sondern ein letzter großer Akt der Dignität, der Humanität und der Nobilität.“ Dieses Bild entsteht unabhängig davon, dass vielleicht da und dort ein Detail nicht belegt werden kann; Wilczek versucht sich eben als Essayist in die letzten Jahre Zweigs einzufühlen.
Bei aller Bewunderung für den dargestellten Schriftsteller ist Wilczek ihm gegenüber nicht ganz unkritisch, sieht vor allem da und dort stilistische Schwächen (27). Kritik würde ich meinerseits vor allem an der Deutung von Zweigs Grabrede auf Joseph Roth üben, in der der Redner vielleicht bewusst mit der Sprache der Gegner gearbeitet und sie nicht naiv gebraucht hat.
Das und anderes sind Kleinigkeiten gegenüber der Leistung einer neuen Deutung des Tods eines bedeutenden Menschen in jener unmenschlichen Epoche. Selbst wenn die Parallelisierung zu Nietzsche nur ein literarisches Mittel sein sollte – mich überzeugt sie –, bleibt die Erschütterung.
Sigurd Paul Scheichl
8. Juli 2015
Originalbeitrag