Medienverwalung 1914–1918: Das Kriegspressequartier (KPQ).
Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag 2016.
(Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs. Sondernummer 13).
200 S.; brosch.; m. Abb.; EUR 49.20.
ISBN 978-3-7065-5582-1.
Die vorliegende Untersuchung ist aus jener Ausstellung hervorgegangen, die das Bundeskanzleramt und das Österreichische Staatsarchiv von Juni bis Oktober 2014 unter dem Titel "Extraausgabee –!" Die Medien und der Krieg 1914–1918 im Wiener Palais Porcia gezeigt haben. Unter dem Titel "Extraausgabee –!" Die Medien und das k.u.k. Kriegspressequartier war für März 2015 im Czernin Verlag ein Buch angekündigt, das als Verfasser Peter Plener und Walter Reichel nannte. Der Verlag meldete die Publikation dann als abgesagt – nun erscheint die vorliegende Publikation unter dem Titel "Pressearbeit ist Propagandaarbeit", verfasst von Walter Reichel und publiziert in der hauseigenen Reihe Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs. Dieses Buch ist knapp 100 Seiten schmäler als das damals angekündigte, dafür mehr als doppelt so teuer und der Name Peter Plenar scheint nirgends mehr auf, auch nicht im umfangreichen Dank des Verfassers (S. 13). So ergibt gleichsam nicht nur die systematische Entbergung der von vielen Akteuren lange gut verborgenen Propagandatätigkeit für den "Großen Krieg" eine kleine Detektivarbeit, auch die Publikation selbst scheint ihre Geheimnisse zu haben.
Das tangiert nicht die Verdienste des Buches, das eine konzise Geschichte der institutionellen Organisationen im Kriegspressequartier (KPQ) liefert, inklusive der Kriegsberichterstattergruppe sowie der für "die Herstellung patriotischer Texte und Monografien" (S. 156) zuständigen "Literarischen Gruppe" im Kriegsarchiv. Einschätzung, Aufgabenstellung und Prestige dieser Propaganda-Einrichtungen unterlagen im Laufe der Jahre einigen Veränderungen. Zu Beginn war das Misstrauen des Armeeoberkommandos gegenüber der sofort gebildeten Propagandastaffel nicht gering. "Die Zeitungen plauderten das Geheimnis aus." (S. 42) Das war eine Erfahrung aus dem Krieg von 1870/71, als eine unbedachte Formulierung französischen Generälen den Tipp über deutsche Truppenbewegungen gab und ihnen damit einen entscheidenden Vorteil verschaffte. Die Schriftsteller ihrerseits beschwerten sich rasch, dass sie nur "amtliche Communiques […] kommentieren und paraphrasieren" dürften, was ihrer Begabung nicht entspreche, weshalb sie bereits am 30.8.1914 in einem Memorandum forderten, "Augenzeugen der Kriegsvorgänge" (S. 45f.) zu sein. Karl Heinz Strobel, der 1928 als einziger ein Buch über seine Tätigkeit im KPQ publizierte, beschrieb die fiebrige Aufregung und zugleich Ahnungslosikeit der schreibenden Kriegszunft: seine Vorstellung der Aufgabe eines Kriegsberichterstatters setzte sich 1914 zu 75 % aus Karl May und zu 25 % aus Jules Vernes Der Kurier des Zaren zusammen (S. 53).
Richard Bermann fand es im Rückblick beschämend, dass weder er noch – mit Ausnahme Strobls – einer seiner Kollegen im KPQ die Erlebnissen literarisch verarbeitet haben. Das ist freilich so verwunderlich nicht, wollten sich doch viele an ihren patriotischen bis chauvinistischen Übereifer späterhin nicht mehr erinnern, wie Franz Karl Ginzkey oder auch Stefan Zweig, der bereits im August 1914 um die Möglichkeit einer Mitarbeit beim KPQ ansuchte. Und auch jene, die "Kunst als Lebensversicherung" (S. 67), also die Arbeit im KPQ als Schutz vor dem Fronteinsatz nutzten, gingen im Rückblick mit diesem Faktum selten ehrlich um. Doch Akten sind oft unbestechlich, und so ist erwiesen, dass Hofmannsthal keineswegs, wie er behauptete, "gerne an der Front geblieben" (S. 95) wäre, vielmehr setzte er alle Hebel in Bewegung, um im KPQ bzw. zunächst im Kriegsfürsorgeamt im Kriegsministerium unterzukommen.
Einer, der den Schutzschirm der Gruppe Malerei und Fotografie des KPQ mit dem Verweis, es würde ihn künstlerisch einengen, ablehnte und lieber an die Front ging, war Alfons Walde (S. 109). Auch ohne seine Mitarbeit entstanden bis 1918 stattliche 8.200 Kriegs-Gemälde, die immer wieder in Ausstellungen präsentiert wurden. Fast allen Mitarbeitern des KPQ, Malern, Fotografen wie Schriftstellern, gelang es nach 1918, ihre "patriotischen Wallungen" (S. 75) vergessen zu machen. Die einzige im Buch erwähnte Ausnahme ist der für seine lyrischen Hassgesänge berüchtigte Ernst Lissauer. Doch es gibt ein zweites Beispiel, und das ist Alice Schalek, die Karl Kraus erfolgreich und nachhaltig demontiert hat. Sie ist eine der 19 Frauen von den insgesamt in den Mitgliederlisten des KPQ – mit sehr unterschiedlicher Dienstdauer – aufscheinenden 1.171 MitarbeiterInnen. Ihren weiteren Karrieren hat – mit Ausnahme von Schalek und Lissauer – die Arbeit im Dienst der Kriegspropaganda nicht nachhaltig geschadet.
Abgesehen von Kompetenzverwicklungen und wiederholten Umstrukturierungen der einzelnen Untergruppen brachte nach dem Tod Franz Josefs der neue Kaiser Karl im Rahmen seines systematischen Elitenwechsels mit dem Kommandanten Wilhelm Eisner-Bubna einen schärferen Wind in das KPQ. Selbst eine neue Musterungswelle wurde veranlasst, die allerdings für den Großteil der Einberufenen nach diversen Eingaben und Interventionen rasch wieder im KPQ endete.
Eines der großen Verdienste des Buches ist es, die verwirrenden organisatorischen Veränderungen, Zuständigkeiten, Übersiedlungen und Umstrukturierungen des KPQ in übersichtlichen Schaubildern darzustellen und eine Mitarbeiterliste anzufügen. Das macht das Buch zu einem guten Nachschlagewerk – mit Ausnahme des abschließenden Personenregisters, in dem aus unerklärlichen Gründen viele der im Text vorkommenden Namen – von D. W. Griffith über Alfred Kubin bis Wilhelm Thöny – fehlen.
Evelyne Polt-Heinzl
21. November 2017