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Michaela Bürger-Koftis, Ramona Pellegrino, Sandra Vlasta (Hg.): wokommstduher?

Inter-, Multi- und Transkulturalität im österreichischen Kontext.
Wien: Praesens-Verlag 2018.
XIV, 286 S.; brosch.; EUR 28.70 .
ISBN: 978-3-7069-0800-9.

wokommstduher? nimmt die bestehenden Verflechtungen zwischen literarischen und literaturwissenschaftlichen Texten ernst und versammelt beide Textsorten in einem Band: Die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Konzepten und Phänomenen von Multi-, Inter- und Transkulturalität (im österreichischen Kontext) wird von literarischen Texten – die als »Interventionen« (S. XIV) verstanden werden – unterbrochen (und umgekehrt), wobei für den Band die namhaften Autor*innen Yasmin Hafedh, Doron Rabinovici, Mascha Dabi?, Ekaterina Heider, Radek Knapp, Seher Cakir, Dževad Karahasan, Susanne Gregor, Thomas Wallerberger, Vladimir Vertlieb, Julya Rabinowich, Dimitré Dinev, Semier Insayif, Ilija Trojanow und Ranjit Hoskoté gewonnen werden konnten. Zu den literarischen und literaturwissenschaftlichen Textsorten kommt noch eine dritte hinzu, nämlich Interviews mit drei Kulturschaffenden (die sich um die Literatur von Autor*innen bemühen, die man ganz generell als transkulturell bezeichnen könnte): mit Christine Stippinger (von der edition exil und dem Literaturpreis schreiben zwischen den kulturen), Martin Hölblinger (vom Hohenemser Literaturpreis) und Bernhard Studlar (von den wiener wortstaetten).

Die dadurch entstehende Heterogenität ist reizvoll wie problematisch gleichermaßen: Den Reiz bilden die durch die enge Verflechtung von Literatur und Wissenschaft beim Lesen entstehenden kreativen denkerischen Querverbindungen wie auch die konsequente Berücksichtigung von Institutionen, die »an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft« tätig sind und »vermittelnde Funktion zu Politik und Gesellschaft haben« (S. XIII). Das Problem stellt sich vor allem den literarischen Texten, die wegen ihrer Kürze und der Tatsache, dass sie nur in geringen Teilen selbst Gegenstand der wissenschaftlichen Artikel sind, ein wenig verloren wirken und zum Dekorum einer Literaturwissenschaft zu werden drohen, die den Vorwurf, Elfenbeinturmbewohnerin zu sein, von sich weisen möchte. Zudem hat die Verschaltung von drei unterschiedlichen Textsorten, so reizvoll sie immer auch sein mag, den Nachteil, dass der Band ein wenig auseinanderfällt, zumal auch die wissenschaftlichen Beiträge ganz unterschiedliche Methodiken verfolgen: Einige beschäftigen sich mit den theoretischen Konzepten, andere stellen die Ergebnisse empirischer Arbeit vor (und informieren mehr als dass sie wissenschaftlich konzeptualisieren) oder befragen die Unterrichtstauglichkeit von literarischen Texten in Schulen.

Die hohe Qualität der einzelnen Beiträge hält die Fliehkräfte der Heterogenität und die Gefahr, dass die literarischen Texte marginalisiert oder als Dekorum wahrgenommen werden, allerdings in Grenzen, und daher würde der in Literatur und Germanistik altbekannte Vorwurf, dass die Literatur von außenstehenden Laien (eben: Germanist*innen) zerfleddert und vereinnahmt werden würde, dem Sammelband Unrecht tun. Die Wissenschaftler*innen gehen einerseits mit großer Umsicht und an Theorie geschultem Sachverstand mit den großen Fragen der Transkulturalitätsforschung um, andererseits thematisieren sie an der einen oder anderen Stelle explizit die »Gefahr einer Marginalisierung oder Schubladisierung« (Primus-Heinz Kucher auf S. 111) und der Bildung von »Ghettos« und »Reservaten« durch Kategorisierungen (Ramona Pellegrino auf S. 41/42).

Die Reihe an wissenschaftlichen Beiträge folgt einem bewährten Muster: Zuerst werden in zwei Beiträgen (Beate Baumann, Ramona Pellegrono) – die dem Stand der Forschung folgend mit nachvollziehbaren Argumenten den Begriff der Transkulturalität jenen der Multi- und Interkulturalität vorziehen – theoretische Positionen geklärt, dann wird die Frage gestellt, wie man mit Theorie konkrete Kulturprojekte sowie Schreib- und Unterrichtspraktiken zugänglich machen kann. Die genannte Umsicht mit den Begrifflichkeiten wird stellenweise fast zu weit getrieben: Trotz vereinzelter Problematisierung der zentralen Begrifflichkeiten von (Multi-, Inter-, Trans-)Kulturalität, die vor allem in dem ausgezeichneten theoretischen Beitrag von Ramona Pellegrino (S. 35-60) artikuliert wird, werden diese nicht nur mancherorts fast inflationär verwendet, sondern auch überwiegend, und manchmal unkritisch, positiv gesehen. Alles, was hybrid und transkulturell ist oder so erscheint, wird tendenziell begrüßt und ab und zu auch als gewaltfreies wie harmonisches Miteinander idealisiert. (Aber leben in Sarajevo »seit Jahrhunderten verschiedene Ethnien auf kleinem Raum« wirklich durchwegs in »Eintracht und Verständnis zusammen«, wie es auf S. 121 heißt?) Das ist durchaus sympathisch und als politische Strategie vielleicht auch sinnvoll, aber doch lauern hier einige Gefahren für die Geisteswissenschaften, die man doch ein wenig stärker thematisieren hätte können.

Eine Gefahr besteht in der Verwendung von Praxiskategorien als wissenschaftliche Analysekategorien, das heißt in dem, was Wolfgang F. Haug in Die kulturelle Unterscheidung. Elemente einer Philosophie des Kulturellen (2011) auf S. 22 den »Rückzug aufs positiv Vorhandene« nennt, der jene theoretische Interpretationsleistung erschwert, mit der das hinter kulturellen Sichtbarkeiten (Hautfarbe, Kleidung, Riten etc.) Verborgene (Rechtsverhältnisse, Verträge, Wirtschaft etc.) – und dazu gehören auch sozioökonomisch verursachte Ungerechtigkeiten – auszublenden droht. Es mag sein, dass der genannte Rückzug von betroffenen (und benachteiligten) Gruppen selbst auch vorangetrieben wird, verspricht er doch durch Sichtbarmachung von Kultur eine Stabilisierung und Anerkennung von (Gruppen-)Identitäten, aber man darf nicht vergessen, dass dies auch genutzt werden kann, um Ungerechtigkeiten kaschieren und das, was sichtbar gemacht werden kann, verkaufen zu können. Dabei wird die für das Erzielen eines Mehrwerts nötige Differenz als kulturelle gefeiert.

Eine zweite Gefahr liegt in der positiven Diskriminierung und dadurch tendenziellen Viktimisierung der beschriebenen Phänomene und Akteur*innen. Selbst wenn diese Opfer wären, bliebe zu fragen, wie stark sie überhaupt von geisteswissenschaftlichen Forschungen und Publikationen profitieren können und wie das Verhältnis zwischen nicht marginalisierten und nicht von Ausgrenzung betroffenen Geisteswissenschaftler*innen und den Marginalisierten thematisiert und konzeptualisiert werden könnte.

Eine allzu positive Beurteilung von transkulturellen Phänomenen und Auffassungen birgt drittens die Gefahr, dass ihren Kritiker*innen implizit die Legitimation abgesprochen wird. Aber nicht jede*r, die/der (Multi-, Inter-, Trans-)Kulturalität nicht als vollkommen selbstverständlich und positiv wahrnimmt und erfährt, ist gleich ein*e Gegnerin einer (multi-, inter-, trans-)kulturellen Gesellschaft. Allerdings suggeriert der Sammelband dies in der Einleitung schon in der vierten Zeile (also an prominenter Stelle): »›Wokommstduher?‹ ist die Frage, mit der so viele Menschen tagtäglich konfrontiert sind, mit der ihnen das ›da sein‹, aufgrund ihrer Haarfarbe, ihrer Hautfarbe, ihrer Kleidung, ihres Akzents, ihrer Mehrsprachigkeit, ihrer Ideen, ihrer Überzeugungen abgesprochen wird.« (S. XI) Mit Verlaub: Das ist überzogen und stark simplifizierend – nicht jede*r, die/der diese Frage stellt, spricht die/den Gefragte*n auch gleich die Daseinsberechtigung ab – und teilt die Welt in Gute und Böse ein. Da nützt auch das Einbringen einer weit adäquateren Sichtweise ein paar Zeilen weiter nicht mehr viel, wenn es da zurecht heißt, dass man diese Frage ja auch »weltoffen, ja weltaufnehmend […], aus neugierigem Interesse am ›anderen‹ Hintergrund dieser Kulturschaffenden« stellen könne, »denn eigentlich ist es auch das unprätentiöse Stellen dieser Frage, das die Verflechtung der Kulturen in unseren Gesellschaften in Gang bringt« (S. XI). Eben: Ohne gegenseitiges Fragen gibt es allenfalls ein multikulturelles Nebeneinander und Parallelgesellschaften, aber keine Inter- oder Transkulturalität.

Eine vierte Gefahr liegt in der im Band doch weitgehend fehlenden Thematisierung sozioökonomischer Zusammenhänge. Man kritisiert zwar immer wieder (etwa Ramona Pellegrino auf S. 45) und zurecht die inflationäre Rede von (Multi-, Inter-, Trans-)Kulturalität – verstärkt diese doch manchmal genau das, was zu kritisieren man angetreten ist: nämlich die Festschreibung von Kulturen durch ihre Anerkennung –, aber erstens ist auch der Sammelband nicht frei davon (und dann ist trotz der berechtigen Kritik am Herder'schen Kugelmodell von Kulturen wieder von »Kulturwechsel« die Rede), zweitens taucht nur an einer Stelle die Frage auf, wem denn die Rede vom Kulturbegriff ökonomisch dienlich ist, wenn Ramona Pellegrino vor dem Utilitarismus der »transkulturellen Auffassung« (S. 52) warnt und mit Thomas Wägenbaur vollkommen zurecht feststellt, dass »Transkulturalität […] im Modell des Austauschs von kulturellen Differenzen durch utilitaristische und merkantilistische Aspekte zu kurz [greift]« (ebd.). Gesehen wird das Problem also an manchen Stellen durchaus, aber es bleibt in der Analyse weitgehend unberücksichtigt. Das hat auch damit zu tun, dass bestimmte Konzepte, die aus meiner Sicht nicht ganz unproblematisch sind – etwas das Konzept Mitteleuropa – als Bezeichnung von als mehr oder weniger gegeben angenommenen Kulturen oder Kulturräumen nicht weiter hinterfragt werden. (Nur am Rande: Dass im Beitrag von Sandra Vlasta, in dem es u.a. um das »mitteleuropäische Schreiben« geht, die meines Wissens einzige systematische Überblicksdarstellung zum Thema – nämlich Eine Literaturgeschichte Mitteleuropas von Zoran Konstantinovi? und Fridrun Rinner – nicht einmal erwähnt wird, erstaunt ein wenig.)

Das alles heißt nun nicht, dass der Sammelband diesen vier Gefahren unterliegt. Aber aus meiner Sicht – und wie schon gesagt – wäre deren deutlichere Erwähnung nötig und deren nähere Thematisierung wünschenswert gewesen. Man vermisst auch ein bisschen die sonst bei Sammelbänden üblichen Informationen über die Autor*innen am Ende des Bandes. Gut, man kann ja danach im Internet suchen, aber erstens hat man auch nicht immer ein Smartphone oder einen Computer zur Hand, zweitens verlässt man sich doch lieber auf Informationen aus Autor*innen- oder Herausgeber*innen-Hand. Und mein übliches ceterum censeo: Fußnoten anstelle von Anmerkungen am Textende wären ganz wunderbar.

Dass die Lektüre des Bandes lohnt, sei aber noch einmal dezidiert festgehalten!

Martin Sexl
9. Juli 2019

Originalbeitrag

 

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