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Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   




AUSGABE 2


Hella Eckert: Hanomag


Die Sprache ist das Baumaterial des literarischen Werkes. Will ein Kritiker etwas Vernünftiges über einen Roman sagen, muß er zuallererst an dieser Bausubstanz ansetzen und prüfen, ob die vorgefundenen Sätze unter den Gesichtspunkten der Logik, des gesunden Menschenverstandes, der angewandten Lebenserfahrung, von mir aus auch der Grammatik stimmig sind. Hierbei kann er gar nicht pingelig genug sein. Denn ist das Baumaterial schadhaft, taugt das gesamte Gebäude nichts, egal mit welch hehren Ambitionen es errichtet wurde. Ist die Substanz aber in Ordnung, darf der Rezensent weiterschreiten und solche Dinge wie Spannungsbogen, Figurenentwicklung, Gesamtkomposition prüfen und bewerten. Ganz zum Schluß mag er meinetwegen auch so blödsinnige Sachen tun, wie zu inhaltlichen Aspekten Stellung zu nehmen ('ist mir zu viel/zu wenig Sex drin', 'der Autor hat keine Ahnung von den wirklichen Leiden solcher Menschen', 'der Ich-Erzähler kapriziert sich zu sehr auf...' usw; jeder blamiert sich so gut wie er kann; schöne Grüße ans Literarische Quartett).

Wir wollen nun mit Blick auf das vorliegende Büchlein zur ersten Analysestufe schreiten, über die wir - es sei vorab gesagt - wegen exorbitanter Schwächen des Textes nicht hinauskommen werden. Nachfolgend seien eine Handvoll Sätze des Werkes zitiert und näher untersucht. Dabei wird sich zeigen, was wir mit 'Schwächen' meinen.

"Er hatte eine Werkstatt gehabt und war mit dem Hanomag umgegangen wie mit den Menschen: ohne viele Worte zu machen." (Seite 6)
Hätte er mit dem Fahrzeug reden sollen?

"Der Hanomag fuhr gleichmäßig und ruhig, man hörte nicht einmal das Summen des Motors." (Seite 15)
Ein Dieseltriebwerk, und man hört nicht einmal ein Summen, wenn man hinterm Steuer sitzt? Das trifft dann aber wohl nur ab einer Geschwindigkeit von Mach 1 zu. Oder?

"...mit alten Männern, deren Rücken gebogen waren, als hätten sie Krummdolche verschluckt." (Seite 8)
Krummschwerter doch allenfalls, damit das Längenverhältnis stimmt. Ein Karnickel könnte einen Krummdolch verschlucken und dann einen entsprechend gekrümmten Rücken haben, aber kein ausgewachsener Mensch. Der hätte davon allenfalls einen beuligen Auswuchs irgendwo an der Rückseite, der jedoch mitnichten seine Gesamthaltung in der Weise bestimmen würde, wie es die Autorin uns weiß machen will. Wo hat der Lektor seine Augen gehabt beim Überprüfen dieser Passagen?

"...ich mochte Perlmutt, und ich mochte das Geräusch, wenn das Feuerzeug aufschnappte und die Flamme hochschoß. Am liebsten mochte ich die Lichtreflexe auf dem Metallgehäuse." (Seite 7)
"Mein Vater mochte das. Er mochte es, so im Licht der Scheinwerfer dahinzugleiten, er mochte die Dopplereffekte." (Seite 15)
Es wird viel gemocht auf den ersten fünfzehn Seiten dieser Erzählung. Das ist keineswegs verboten. Indessen muß die Frage gestattet sein, ob ein Autor nicht u.a. deshalb schreibt (jedenfalls liest man aus diesem Grunde, ich jedenfalls lese deshalb), um hinter die platte Oberfläche des bloßen 'Mögens' zu schauen und vielleicht ein 'Warum' ans Licht zu fördern. Warum mag die Heldin das eine oder das andere? Warum der Vater? Wo ist der Witz, von jemanden bloß zu mitzuteilen: 'er mochte' - und bumms aus? Es beschleicht einen der Verdacht, die Autorin habe in einem Lehrbuch über das Erzählen geblättert und den Hinweis gefunden, Romangestalten müßten charakterliche Schrägheiten aufweisen, weil das die Plastizität, die Glaubwürdigkeit, die Tiefenschärfe der Story erhöhe. Dies mag durchaus zutreffen. Nur hat Hella Eckert offenbar nicht den Willen oder das Vermögen, ihren Figuren auf erzählerische Weise Ecken und Kanten zu verpassen. Sie beschränkt sich daher aufs verbale Etiketten-Anschießen - was den Gestalten ungefähr das Profil eines abgefahrenen Sommerreifens verleiht. Eine äquivalente schreiberische Leistung wäre es, einen Kinderschänder etwa mit dem Wörtchen 'gemein' zu charakterisieren und es dabei zu belassen.

"Es kam mir so vor, als säße ich schon seit hundert Jahren oder so in diesem Fahrzeug, und als würde ich nie etwas anderes in meinem Leben tun, als in einem Laster zu sitzen und zuzuhören, wie in einem Laden das Telefon klingelt.' (Seite 8).
Hier haben wir es mit einer klassischen Papierwarheit zu tun, die ein Erleben beschreibt, das gar nicht stattgefunden hat, sondern erst 'nachher' am Schreibtisch zusammengeschustert wurde. Die Autorin erinnerte sich vermutlich an eine gewisse Ergriffenheit in der fraglichen Situation, an den Wunsch vielleicht, länger in dem Wagen hockenzubleiben, als es die Zwänge ihres kindlichen Tagesablaufs gestatten und fragte sich, an ihrem Bleistift kauend, wie denn aus dieser dünnen Empfindung ein paar Formulierungen herauszuschlagen seien, die den Leser ob ihrer Originalität und Literarizität aus den Socken hauen könnten. Heraus kam eine Sequenz preziöser, an den Haaren herbeigezogener Assoziationen wie die oben zitierte. An dieser Malaise übrigens leiden viele deutsche Romanverfasser, wie zahllose blutleere, großmann/frau/ssüchtige Reißbrettmachwerke belegen.

"Ich wußte einfach, daß es richtig war, so zu leben, fortzufahren und zurückzukommen, wie mein Vater, meine Mutter und ich es taten." (Seite 9)
Sie wußte einfach. Soso. Das ist von ähnlicher Qualität wie 'ich mochte...' Wenn das denkerische Durchdringungsvermögen und, daraus entspringend, die schreiberische Darstellungskraft versagen, flüchtet die Verfasserin in blanke Apodiktik. 'So isses und basta'. Nicht sehr aufschlußreich für den Leser.

Wir müssen zum Ende kommen. Das Abschlußzitat:
"Hilversum, Algier, Wien, Prag, (ich glaubte), daß in diesen Namen die Musik jener Nächte gefangen war, die meinen Vater zu dem Menschen machte, der er war: einen, der die Stille schätzte; einen, der sich in Straßen verliebte; einen, der etwas von der Welt wissen wollte; einen, der rätselhafte Dinge sagte, mit einem schmalen Körper und hervortretenden Knochen und Armen, an denen die Sehnen zu spüren waren; ..." (Seite 11)
Romantisierender Kappes. Im ungelenk Hochtrabenden dieser Sätze spürt man den verzweifelten Drang, irgendetwas zu Papier zu bringen, was halbwegs für Literatur gehalten werden kann und zugleich verschleiert, daß dieses Unterfangen kläglich gescheitert ist.

Über die Seite 20 bin ich mit der Lektüre nicht hinausgekommen. Die Kraft hat mich schlicht und einfach verlassen. Den Gesamtwurf dieses Werkes zu würdigen, ist folglich nicht möglich und - wie angedeutet - schon deshalb witzlos, weil die Ausführung Satz um Satz so vieles zu wünschen übrig läßt. Wie würde man den Gesamteindruck eines Gebäudes beurteilen müssen, in dessen tragende Mauern der Baumeister Weichgummiteile eingefügt hat?

Kees van de Verschredderen




AUSGABE 2    Dezember 1998


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