AUSGABE 2
Hella Eckert: Hanomag
Die Sprache ist das Baumaterial
des literarischen Werkes. Will ein Kritiker etwas Vernünftiges über einen Roman
sagen, muß er zuallererst an dieser Bausubstanz ansetzen und prüfen, ob die
vorgefundenen Sätze unter den Gesichtspunkten der Logik, des gesunden
Menschenverstandes, der angewandten Lebenserfahrung, von mir aus auch der
Grammatik stimmig sind. Hierbei kann er gar nicht pingelig genug sein. Denn ist
das Baumaterial schadhaft, taugt das gesamte Gebäude nichts, egal mit welch
hehren Ambitionen es errichtet wurde. Ist die Substanz aber in Ordnung, darf der
Rezensent weiterschreiten und solche Dinge wie Spannungsbogen,
Figurenentwicklung, Gesamtkomposition prüfen und bewerten. Ganz zum Schluß mag
er meinetwegen auch so blödsinnige Sachen tun, wie zu inhaltlichen Aspekten
Stellung zu nehmen ('ist mir zu viel/zu wenig Sex drin', 'der Autor hat keine
Ahnung von den wirklichen Leiden solcher Menschen', 'der Ich-Erzähler kapriziert
sich zu sehr auf...' usw; jeder blamiert sich so gut wie er kann; schöne Grüße
ans Literarische Quartett).
Wir wollen nun mit Blick auf das vorliegende
Büchlein zur ersten Analysestufe schreiten, über die wir - es sei vorab gesagt -
wegen exorbitanter Schwächen des Textes nicht hinauskommen werden. Nachfolgend
seien eine Handvoll Sätze des Werkes zitiert und näher untersucht. Dabei wird
sich zeigen, was wir mit 'Schwächen' meinen.
"Er hatte eine Werkstatt
gehabt und war mit dem Hanomag umgegangen wie mit den Menschen: ohne viele Worte
zu machen." (Seite 6) Hätte er mit dem Fahrzeug reden sollen?
"Der
Hanomag fuhr gleichmäßig und ruhig, man hörte nicht einmal das Summen des
Motors." (Seite 15) Ein Dieseltriebwerk, und man hört nicht einmal ein
Summen, wenn man hinterm Steuer sitzt? Das trifft dann aber wohl nur ab einer
Geschwindigkeit von Mach 1 zu. Oder?
"...mit alten Männern, deren Rücken
gebogen waren, als hätten sie Krummdolche verschluckt." (Seite 8)
Krummschwerter doch allenfalls, damit das Längenverhältnis stimmt. Ein
Karnickel könnte einen Krummdolch verschlucken und dann einen entsprechend
gekrümmten Rücken haben, aber kein ausgewachsener Mensch. Der hätte davon
allenfalls einen beuligen Auswuchs irgendwo an der Rückseite, der jedoch
mitnichten seine Gesamthaltung in der Weise bestimmen würde, wie es die Autorin
uns weiß machen will. Wo hat der Lektor seine Augen gehabt beim Überprüfen
dieser Passagen?
"...ich mochte Perlmutt, und ich mochte das Geräusch,
wenn das Feuerzeug aufschnappte und die Flamme hochschoß. Am liebsten mochte ich
die Lichtreflexe auf dem Metallgehäuse." (Seite 7) "Mein Vater mochte das. Er
mochte es, so im Licht der Scheinwerfer dahinzugleiten, er mochte die
Dopplereffekte." (Seite 15) Es wird viel gemocht auf den ersten fünfzehn
Seiten dieser Erzählung. Das ist keineswegs verboten. Indessen muß die Frage
gestattet sein, ob ein Autor nicht u.a. deshalb schreibt (jedenfalls liest man
aus diesem Grunde, ich jedenfalls lese deshalb), um hinter die platte Oberfläche
des bloßen 'Mögens' zu schauen und vielleicht ein 'Warum' ans Licht zu fördern.
Warum mag die Heldin das eine oder das andere? Warum der Vater? Wo ist der Witz,
von jemanden bloß zu mitzuteilen: 'er mochte' - und bumms aus? Es beschleicht
einen der Verdacht, die Autorin habe in einem Lehrbuch über das Erzählen
geblättert und den Hinweis gefunden, Romangestalten müßten charakterliche
Schrägheiten aufweisen, weil das die Plastizität, die Glaubwürdigkeit, die
Tiefenschärfe der Story erhöhe. Dies mag durchaus zutreffen. Nur hat Hella
Eckert offenbar nicht den Willen oder das Vermögen, ihren Figuren auf
erzählerische Weise Ecken und Kanten zu verpassen. Sie beschränkt sich daher
aufs verbale Etiketten-Anschießen - was den Gestalten ungefähr das Profil eines
abgefahrenen Sommerreifens verleiht. Eine äquivalente schreiberische Leistung
wäre es, einen Kinderschänder etwa mit dem Wörtchen 'gemein' zu charakterisieren
und es dabei zu belassen.
"Es kam mir so vor, als säße ich schon seit
hundert Jahren oder so in diesem Fahrzeug, und als würde ich nie etwas anderes
in meinem Leben tun, als in einem Laster zu sitzen und zuzuhören, wie in einem
Laden das Telefon klingelt.' (Seite 8). Hier haben wir es mit einer
klassischen Papierwarheit zu tun, die ein Erleben beschreibt, das gar nicht
stattgefunden hat, sondern erst 'nachher' am Schreibtisch zusammengeschustert
wurde. Die Autorin erinnerte sich vermutlich an eine gewisse Ergriffenheit in
der fraglichen Situation, an den Wunsch vielleicht, länger in dem Wagen
hockenzubleiben, als es die Zwänge ihres kindlichen Tagesablaufs gestatten und
fragte sich, an ihrem Bleistift kauend, wie denn aus dieser dünnen Empfindung
ein paar Formulierungen herauszuschlagen seien, die den Leser ob ihrer
Originalität und Literarizität aus den Socken hauen könnten. Heraus kam eine
Sequenz preziöser, an den Haaren herbeigezogener Assoziationen wie die oben
zitierte. An dieser Malaise übrigens leiden viele deutsche Romanverfasser, wie
zahllose blutleere, großmann/frau/ssüchtige Reißbrettmachwerke belegen.
"Ich wußte einfach, daß es richtig war, so zu leben, fortzufahren und
zurückzukommen, wie mein Vater, meine Mutter und ich es taten." (Seite 9) Sie
wußte einfach. Soso. Das ist von ähnlicher Qualität wie 'ich mochte...' Wenn das
denkerische Durchdringungsvermögen und, daraus entspringend, die schreiberische
Darstellungskraft versagen, flüchtet die Verfasserin in blanke Apodiktik. 'So
isses und basta'. Nicht sehr aufschlußreich für den Leser.
Wir müssen
zum Ende kommen. Das Abschlußzitat: "Hilversum, Algier, Wien, Prag, (ich
glaubte), daß in diesen Namen die Musik jener Nächte gefangen war, die meinen
Vater zu dem Menschen machte, der er war: einen, der die Stille schätzte; einen,
der sich in Straßen verliebte; einen, der etwas von der Welt wissen wollte;
einen, der rätselhafte Dinge sagte, mit einem schmalen Körper und
hervortretenden Knochen und Armen, an denen die Sehnen zu spüren waren; ..."
(Seite 11) Romantisierender Kappes. Im ungelenk Hochtrabenden dieser Sätze
spürt man den verzweifelten Drang, irgendetwas zu Papier zu bringen, was
halbwegs für Literatur gehalten werden kann und zugleich verschleiert, daß
dieses Unterfangen kläglich gescheitert ist.
Über die Seite 20 bin ich
mit der Lektüre nicht hinausgekommen. Die Kraft hat mich schlicht und einfach
verlassen. Den Gesamtwurf dieses Werkes zu würdigen, ist folglich nicht möglich
und - wie angedeutet - schon deshalb witzlos, weil die Ausführung Satz um Satz
so vieles zu wünschen übrig läßt. Wie würde man den Gesamteindruck eines
Gebäudes beurteilen müssen, in dessen tragende Mauern der Baumeister
Weichgummiteile eingefügt hat?
Kees van de Verschredderen
AUSGABE 2 Dezember 1998
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