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Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   




AUSGABE 2


Gabriel Barylli: Denn sie wissen, was sie tun

Für einen Schreiber wie diesen muß ein Rezensent aus tiefstem Herzen dankbar sein, zumal, wenn ihm erst kürzlich die Ehre widerfahren ist, in den erlauchten Kreis der Lit-eX-Scharfrichter aufgenommen zu werden. An diesem famosen Schriftsteller und seinem berückenden Werk kann er, der Kritikus, zeigen, was er taugt, kann er sich einen Stammplatz im Redaktionpeloton auf Lebenszeit sichern. Das Werk ist so unsäglich, daß es nicht die geringsten Schwierigkeiten macht, in den glänzendsten Wendungen darüber herzuziehen. Deshalb zuallererst ein Stoßseufzer in die Richtung des Autors: Gepriesen seiest du hundertfach dafür, daß du geboren bist und mir diese einmalige Gelegenheit bescherst. Zum Einstieg drei Zitate, gewissermaßen als Anschauungs- und Beweismaterial:
1. "Sehnsucht war in ihrem Blick und Furcht vor Verletzung, Angst vor den Schmerzen des Lebens und gleichzeitig ein Ruf nach Geborgenheit und Nähe und Zärtlichkeit und Liebe." (S. 20)
2. "Kaum waren unsere Körper wieder nahe beisammen, begann es in uns zu brennen, als sollten wir an diesem Tag zu einem Feuer werden, das nur mehr Asche hinterließ und alles vernichtete, was bisher war ..." (S. 36)
3. "Ich hätte alles in der Welt getan - vom ersten Augenaufschlag an diesem Morgen an bis zum letzten Atemzug in dieser Welt, um ihr zu zeigen, daß sie die Frau war, mit der ich zusammensein wollte. Zusammensein nicht nur für eine Nacht, nicht nur für ein Abenteuer - sondern zusammensein für den Rest des Lebens." (S. 52)
Der Rezensent versichert, daß diese drei Passagen repräsentativ sind für den Gesamttext.

Zunächst ist nun folgendes festzustellen: Hier erzählt jemand von den Situationen der Liebe und tut das in der Formelsprache der in Regenbogenblättern vorfindbaren 'Schicksalsromane'. Was das vorliegende Werk von letzteren unterscheidet, ist seine Ungelenkheit. Während die Regenbogenautoren in der Mehrzahl ihr Metier wenigstens insoweit beherrschen, als sie eine flotte, flüssige Schreibe am Leibe haben (manche sind geradezu Virtuosen der Abgedroschenheit; man kann das durchaus - in Maßen - bewundern), liefert Barylli, neben der Abgedroschenheit seiner Wendungen, auch noch jede Menge windschiefer, unplausibler Sätze ab, die nicht selten die Grenze zur Stilblüte überschreiten - wie im Fall des Zitats Nummer 2. (Der Lektor hat hier von seinem Verlagschef gewiß die Weisung erhalten: 'Schau da nicht so genau hin. Das ist zwar ein gewaltiger Mist, aber er verkauft sich glänzend, wie die Vorläuferwerke beweisen - also laß öfter mal Fünfe gerade sein.')

So weit, so gut.
Man fragt sich nun, welches Motiv ein Autor haben mag, sich in diesem Stil über die Liebe und das Böse in der Welt zu verbreiten. 'Suche nach Wahrheit' kann der Beweggrund nicht sein. Denn 'wahr' ist das nicht, was er schreibt. Jeder halbwegs zurechnungsfähige Mensch mit einem Minimum an Leseerfahrung wird bei jedem einzelnen Satz dieses Machwerks innerlich ausrufen: 'So ist es nicht!' Hier wird, das begreift der Leser, keiner Wirklichkeit nachgespürt, sondern allenfalls einem Abziehbild dieser Wirklichkeit - und das auch noch schlecht (hingegen stellen manche Illustrierten-Romanciers dieses Abziehbild nahezu perfekt vor unsere Augen hin). Oder würde Herr Barylli behaupten wollen, das zu Papier Gebrachte entspringe wahrhaft seinem eigenen Erleben und Empfinden (nur darüber kann ein Autor 'authentisch' schreiben, ansonsten ist er eben Schundfabrikant)? Wenn ja, so wäre der Mann von Herzen zu bedauern. Denn wer in derart geschwollenen, grobgerasterten, abgedroschenen Kategorien denkt und fühlt ('zusammensein für den Rest des Lebens', 'hätte alles in der Welt getan', 'Sehnsucht nach Geborgenheit'), der hat das Leben in seiner unendlichen Vielfalt von Wirklichkeitspartikeln, von Erlebnisschattierungen und Empfindungsnuancen überhaupt nicht mitbekommen. Der muß hinieden seine Zeit damit verbringen, stumpf durch die Gegend zu trotten und sich zu wundern, daß er nicht glücklich wird.
Wir wollen zugunsten Baryllis annehmen, daß er zu diesen armen Geschöpfen nicht gehört, sondern durchaus differenziert erlebt, nur eben schriftstellerisch nicht in der Lage ist, von diesem Erleben Mitteilung zu machen - weil ihm die Phantasie fehlt, das Einfühlungsvermögen (für das eigene Selbst; ja, das gibt es) und die sprachlichen Ausdruckmöglichkeiten.

Suche nach Wahrheit ist Baryllis Schreibmotiv also nicht. Welchen Beweggrund zur Abfassung seines Werkes hat er dann? Nun, es ist geläufige Alltagserfahrung, daß jemand gerade da, wo er 'nicht kann', einen besonders starken Drang verspürt, sich zu profilieren. Das Nicht-Können soll sozusagen öffentlich bestritten, bzw. der Mythos des Alleskönners (Schauspieler, Dramatiker, Romancier) aufgebaut werden. Nicht selten läuft das Resultat dieser an sich achtbaren Bemühung den Intentionen diametral zuwider. Leider ist das in diesem Fall so. Bei ernstzunehmenden Leuten ist der Autor nach "Denn sie wissen, was sie tun" unten durch.

Hallux Valgus




AUSGABE 2    Dezember 1998


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