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Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   




AUSGABE 2


Amelie Fried: Am Anfang war der Seitensprung


Es sei voraus geschickt: Dies ist ein prima Buch, trotz des platt-reißerischen Titels, der jedem Trivial-Schinken zur Ehre gereichte! Belobigung eines literarischen Werkes ist freilich nicht direkt Sinn und Zweck eines 'Magazins für Verrisse aller Art'. Deshalb wollen wir die anerkennenden Bemerkungen auf das Nötigste beschränken. Gemacht werden allerdings müssen sie - weil es das Werk erstens verdient, und weil wir zweitens nicht immer nur giften möchten:

- Die Erzählung ist in knapper, klarer Diktion gehalten. Sie lebt von sprachlich unambitionierten Sätzen, die zumeist exakt auf dem Punkt sitzen. Mit anderen Worten: Man kann sich beim Lesen des Eindrucks nicht erwehren, die Autorin drücke haargenau das aus, was sie auszudrücken beabsichtigt. Das ist beileibe kein selbstverständliches Leseerlebnis in deutschen Landen. Entweder tost ein gefallsüchtiger Vokabelschwall an einem vorüber, daß einem Hören und Sehen vergeht und man in kürzester Frist nicht mehr weiß, ob überhaupt irgendetwas und wenn ja, was denn bitteschön, mitgeteilt werden soll (etwa Jirgl Reinhards 'Hundsnächte'). Oder der/die Autor/in läßt nur ganz von ferne und verschwommen ahnen, was gemeint sein könnte, weil er/sie im Kampf um den treffenden Ausdruck in neun von zehn Fällen von der tückischen Sprache geschultert wird (z. B. Böldl Klausis 'Studie in Kristallbildung').

- Die Autorin beherrscht die hohe Kunst, Figuren miteinander sprechen lassen, ohne daß man Papier rascheln hört. Wer weiß, wie schwer es zum Beispiel ist, Kindermund glaubhaft 'rüberzubringen', der wird angesichts des Gebotenen unweigerlich den Hut ziehen.

- Die Erzählung ist dicht, der Spannungsbogen trefflich durchgehalten. Hier wird nicht locker mal ein halbes Dutzend luftgefüllter Sätze investiert, um das Kapitel vollzumachen oder den intergalaktischen Leeraum bis zum nächsten brauchbaren Einfall zu überbrücken (Spezialist hierin u. a. Hettche Tom mit allen seinen Sprachinstallationen).

- Insgesamt gesehen erzählt Amelie Fried kohärent und temporeich, leichtfüßig und locker, also genau auf jene Art, die ein Mann wie M. Politycki schmerzlich vermißt in der deutschen Gegenwartsliteratur (dabei selbst leider nur geraspelten Episodensalat zuwege bringt, siehe 'Weiberroman).

- Der Roman kann guten Gewissens zur Lektüre empfohlen werden.

Beatus Ille




AUSGABE 2    Dezember 1998


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