AUSGABE 2
Amelie Fried: Am Anfang war der Seitensprung
Es sei voraus geschickt: Dies ist ein prima Buch,
trotz des platt-reißerischen Titels, der jedem Trivial-Schinken zur Ehre
gereichte! Belobigung eines literarischen Werkes ist freilich nicht direkt Sinn
und Zweck eines 'Magazins für Verrisse aller Art'. Deshalb wollen wir die
anerkennenden Bemerkungen auf das Nötigste beschränken. Gemacht werden
allerdings müssen sie - weil es das Werk erstens verdient, und weil wir zweitens
nicht immer nur giften möchten:
- Die Erzählung ist in knapper, klarer
Diktion gehalten. Sie lebt von sprachlich unambitionierten Sätzen, die zumeist
exakt auf dem Punkt sitzen. Mit anderen Worten: Man kann sich beim Lesen des
Eindrucks nicht erwehren, die Autorin drücke haargenau das aus, was sie
auszudrücken beabsichtigt. Das ist beileibe kein selbstverständliches
Leseerlebnis in deutschen Landen. Entweder tost ein gefallsüchtiger
Vokabelschwall an einem vorüber, daß einem Hören und Sehen vergeht und man in
kürzester Frist nicht mehr weiß, ob überhaupt irgendetwas und wenn ja, was denn
bitteschön, mitgeteilt werden soll (etwa Jirgl Reinhards 'Hundsnächte'). Oder
der/die Autor/in läßt nur ganz von ferne und verschwommen ahnen, was gemeint
sein könnte, weil er/sie im Kampf um den treffenden Ausdruck in neun von zehn
Fällen von der tückischen Sprache geschultert wird (z. B. Böldl Klausis 'Studie
in Kristallbildung').
- Die Autorin beherrscht die hohe Kunst, Figuren
miteinander sprechen lassen, ohne daß man Papier rascheln hört. Wer weiß, wie
schwer es zum Beispiel ist, Kindermund glaubhaft 'rüberzubringen', der wird
angesichts des Gebotenen unweigerlich den Hut ziehen.
- Die Erzählung ist
dicht, der Spannungsbogen trefflich durchgehalten. Hier wird nicht locker mal
ein halbes Dutzend luftgefüllter Sätze investiert, um das Kapitel vollzumachen
oder den intergalaktischen Leeraum bis zum nächsten brauchbaren Einfall zu
überbrücken (Spezialist hierin u. a. Hettche Tom mit allen seinen
Sprachinstallationen).
- Insgesamt gesehen erzählt Amelie Fried kohärent
und temporeich, leichtfüßig und locker, also genau auf jene Art, die ein Mann
wie M. Politycki schmerzlich vermißt in der deutschen Gegenwartsliteratur (dabei
selbst leider nur geraspelten Episodensalat zuwege bringt, siehe
'Weiberroman).
- Der Roman kann guten Gewissens zur Lektüre empfohlen
werden.
Beatus Ille
AUSGABE 2 Dezember 1998
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