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Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   




AUSGABE 2


Kurze Bemerkung zu R. Goetz und 1 Kritiker anläßlich 'Rave'


Es gibt Schreiber, denen nehmen wir nichts krumm, die dürfen machen, was sie wollen, wir bleiben stets gleichermaßen freundlich interessiert. Sie buddeln sich tief hinein in die Flöze der menschlichen Existenz, und wir folgen ihnen dorthin mit vor Spannung angehaltenem Atem - obwohl wir es mit dem Folgen ansonsten wahrlich nicht haben. Wir schnappen gierig nach den Karfunkeln, die uns bei der Wühlarbeit um die Ohren pfeiffen. Und noch der Abraum, der ans Licht spritzt, hat seine Reize für uns.
Eine halbe Handvoll solcher Schreiber kennen wir im deutschsprachigen Raum. Sie sind uns Tröstung in den düsteren Stunden. Günther Grass zum Beispiel rechnen wir nicht in diese Riege, ebensowenig Johsinnes Mario Hammel; und die Traktate des Herrn Enzensberger waren uns immer schon bißchen zu schlau, um Trost zu sein. Sie können äußerstenfalls der Erbauung, dem hochverfeinerten ästhetischen Genusse dienen. Das nur nebenbei.

Nun gibt es in der Republik ganz offenbar Leser, die sehen die Dinge anders als wir. Wo wir aufrechten Herzens empfehlen würden, die rare Spezies der Tiefenwühler ruhig ein wenig nach angelsächsischer Manier zu verehren, weil sie uns doch soviel Freude bereiten, glauben diese anderen Leser, unsere Wühler mittels öffentlicher Rezension angreifen und verkleinern zu müssen. So geschehen im löblichen Spiegel von 30. 3. des Jahres. Der Rezensent Patrick Walder zieht gegen den Schreiber Rainald Goetz vom Leder, daß es eine Art hat. Und es klingt prima facie gar nicht so übel, was der junge Mann da zu Papier bringt: geschliffen, treffsicher, richtig hübsch bös, genauso wie wir's mögen. Unglücklicherweise verflüchtigt sich dieser positive Eindruck bei näherem Hinsehen rasch. Führen wir uns ein paar Walder-Argumente zu Gemüte:

Walder-Vorwurf 1: "Exzessives Nachtleben mit Party und Drogen läßt aber nur wenig kritischen Verstand zu..", und ergänzend zum selben Thema: "Wer sich im Glanz der Popstars sonnen will, beraubt sich vorsätzlich der eigenen Kritikfähigkeit."
Analyse des Vorwurfs: Mal abgesehen davon, daß es sich bei diesen Sentenzen um reines Vokabulieren (wie wir es nennen) handelt, nämlich das Dreschen von illustriertengängigen Hochglanzphrasen, deren einziger Sinn darin besteht, extrem gut zu klingen (Heilandzack, kein Mensch beraubt sich 'vorsätzlich' der eigenen Kritikfähigkeit; wie soll das gehen: Hält der Betreffende mit sich selber einen inneren Parteitag ab, auf dem dann mit 1 gegen 0 Stimmen die Abschaltung des Großhirns beschlossen wird??), abgesehen von der erlesenen Phrasenhaftigkeit der Sentenzen also, lautet deren implizites Postulat: Man muß allzeit wach und kritisch gegen seine Umwelt sein. Ja, wieso eigentlich? Weil der Rezensent aufgeschnappt hat, daß man unter Leuten seines Schlages das heutzutage so macht: immer hübsch kritisch sein? Lachhaft. Aber selbst wenn Walder recht hätte mit seiner Forderung, wäre es dann vielleicht denkbar, daß der Kritikus einen Begriff von 'kritisch' hat, der sich nicht mit jenem des geschmähten Autors deckt. Und falls er sich wider Erwarten doch deckte, wäre es möglich, daß der Rezensent nur eine beschränkte Anzahl von Varianten, 'Kritik' auszudrücken, kennt und, daß die Ausdrucksweisen des Autors hierunter nicht fallen?
Wertung des Vorwurfs: Subjektive Norm, die Geltungsanspruch ohne jede Begründung erhebt.

Walder-Vorwurf 2: "Goetz macht sich zum jugendlich Pubertären, der die Abenteuer des Nachlebens als Prüfung begreift, die nur echte Männer bestehen."
Analyse des Vorwurfs: Selbst wenn der Vorwurf zuträfe (was keineswegs der Fall ist), muß gefragt werden, wo denn bitte festgelegt ist, daß man sich nicht zum 'jugendlich Pubertären' machen darf? Nirgends natürlich, lautet die Antwort, außer im Kopf des Rezensenten.
Wertung des Vorwurfs: Subjektive Norm, die Geltungsanspruch ohne jede Begründung erhebt.

Walder-Vorwurf 3: "Doch Goetz will zu reichlich später Stunde das Ganze nochmals abfeiern; selbst die ganz kaputte Szene kann ihn nicht daran hindern, die Party ins Erhabene zu schreiben."
Analyse des Vorwurfs: Gewiß weiß Walder, was das 'Erhabene' ist, nur versäumt er es leider, dies dem tumben Leser mitzuteilen. Nichtsdestotrotz ist eines völlig klar: das Erhabene hat im Kontext von Drogen und Suff absolut nichts zu suchen. Warum eigentlich nicht? Nun, wie gehabt: weil es dem Besprecher mißfällt.
Wertung des Vorwurfs: Subjektive Norm, die Geltungsanspruch ohne jede Begründung erhebt.

Die kurze Beweisaufnahme zeigt, daß der Rezensent an einer unter deutschen Kritikern weit verbreiteten Krankheit leidet und zwar in einem für sein jugendliches Alter, 31, erstaunlichen Grad. Wir bezeichnen diese Krankheit als 'Ranicki-Syndrom'. Gemeint ist das begründungslose Urteilen auf der Basis subjektiv-geschmäcklerischer Normen, die samt und sonders abgeleitet sind aus der Mutter aller Kritiker-Ressentiments: "Du blöder Autor siehst die Welt ja ganz anders als ich schlauer Resenzent - eine Frechheit ist das!"
Dieser Kritik-Ansatz kommt uns, zumal für eine Spiegel-Rezension, etwas arg dürftig vor.

Sal Baader




AUSGABE 2    Dezember 1998


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