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Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   




AUSGABE 2


Friedrich Ani: Die Erfindung des Abschieds


Wer nichts wird, wird Wirt.
Wer gar nichts wird, wird Bahnhofswirt.
Wer das auch nicht erreichen kann,
der schreibt 'nen Kriminalroman.
(Volksgut)

Hin und wieder schaue ich gern nach, was alte Bekannte heute so treiben. Friedrich Ani kenne ich aus Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat. Ich schätze ihn als einen Mann von Urteilsvermögen, Pfiffigkeit und jenem Maß an Selbstironie, das kluge Leute auszeichnet. Umso erstaunter bin ich, daß er mit seinem jüngsten Werk einen völlig ungenießbaren Brocken von Kriminalroman vorlegt - und gleich noch mit einer Reihe von Folgebänden droht.

Nun ist es keineswegs so, daß mich das Verbrechen und seine tief in der Menschenseele wurzelnden Motive nicht interessierten. Im Gegenteil. Doch erfahre ich darüber in den allermeisten Kriminalromanen nichts. Ich erfahre in der Regel nur, ob ein Autor das Literaturgenre 'Kriminalroman' beherrscht oder nicht. Streut er Indizien spannungssteigernd aus? Kriegt er 'Suspense' hin? Ist der Kriminalkommissar kantig genug. Mixt er die rechte Portion Sex zum Crime? Und so weiter und so fort. Ich kenne das vollständige Inventar der Bauvorschriften für den Kriminalroman nicht. Und es interessiert mich auch nicht. Ich weiß nur, daß mich bei der Lektüre solcher Bücher in beinahe allen Fällen das Gefühl überkam: Hier arbeitet einer nach bestimmen Strickmustern; ich habe es - weitab von jeder Authentizität - mit einem Exerzitium in Sachen Kriminalgenre zu tun, der schreiberischen Geschicklichkeitsübung eines mehr oder weniger großen Könners. Und wenn dieses Gefühl aufkam, war ich sofort beleidigt und habe das Buch weggelegt, meist auch gleich zum Antiquariat getragen. Sollten sich andere an dem Mist erbauen. Mir war meine Zeit zu schade dafür.

Friedrich Anis Buch würde ich auf dieser 'Schiene' kritisieren, wenn es mich nicht in weit grundlegenderer Hinsicht enttäuschte.
Voraussetzung für das Gelingen jeder Schreibarbeit ist die Beherrschung der Sprache im Sinne eines zweckgerechten Einsatzes. Das heißt im Klartext: Ich stelle mir vor, daß es bei jedem Werk darauf ankommt, den ihm angemessenen Ton zu finden. Ich halte - so ergibt sich implizit aus dem vorangehenden Satz - verschiedene Tonlagen ('Stilvarianten' ließe sich auch sagen) für möglich. Welche die richtige ist, kann der Autor nur selbst entscheiden. In dieser Hinsicht erfreche ich mich nicht, ihm Vorschriften zu machen. Um eines allerdings würde ich dringend bitten: Wenn er eine Tonlage gewählt hat, sollte er diese auch beibehalten. Die Wirkungen des Tonlagenwechsels sind gravierend und müssen aus plausiblem Grunde gewollt sein. Widerfährt der Wechsel dem Autor unbewußt, kommt es zum GAU für seinen Text.

Und hier liegt der Ansatzpunkt für meine Kritik: Zum einen ist Anis Buch ein regelrechter Friedhof abgenutzter, beinahe nichts mehr besagender Standardfloskeln ("..stellte überrascht fest", "regungslos starrte er hinüber", "tiefe innere Unruhe", "erwiderte ihren Blick ausdruckslos", "Die Scheinwerfer ... tauchten den Hof in ein kaltes Licht." usw.), andererseits stößt man immer wieder auf höchst pretiöse Wendungen ("Wind kam auf und fegte den Himmel grau", "dann wäre ihm Schlaf vergönnt wie einem lächelnden Toten", "als der Morgen anbrach, perlten die Tränen auf ihren Körpern wie Kristalle aus Eis", "wie faustgroße Schlosse hagelten die Worte auf sie herunter"; hier sind auch diverse Kapitelüberschriften zu nennen, etwa "Hotel der hellen Träume", "Die Wiege der Lüge" sowie der Titel des Werkes), ...höchst pretiöse Wendungen, sage ich, von denen manche der Stilblüte nahekommen.
Diese scheppernden Stildiskrepanzen schieben die Form, also die Sprache selbst, immer wieder in die Wahrnehmung des Lesers und lenken ihn damit vom Eigentlichen des Kriminalromans, dem Inhalt, ab. 'Was soll das', fragt der Leser sich, 'was will der Autor mir damit sagen? Irgendein zwingender Grund muß doch dahinter stecken.' Aber er findet ums Verrecken keinen, es sei denn jenen, daß die kostbarlichen Formulierungen allein deshalb in den Text geflochten würden, um ihn - dessen Unerheblichkeit der Autor selber spürt - durch ein paar 'poetische Tupfer' literarisch aufzupeppen. Und dieser Grund ärgert den Leser, also mich. In einem Krimi wünsche ich mir nämlich eine Sprache, die sich selbstlos und unauffällig in den Dienst der Inhaltsübermittlung stellt, statt sich mit Getöse aufzuspielen, um die allgemeine Schwäche des Textes zu überdecken. Ab sofort entziehe ich dem Autor das Vertrauen. Jeder Stilschlenker, überhaupt jede Erzählaktion wird fortan beargwöhnt. Der ganze Roman scheint mir plötzlich der anfängerhafte Versuch zu sein, mich in ein zweifelhaftes Lesevergnügen hineinzutölpeln. Da spiele ich nicht mit, 'mache zu', stelle die Lektüre ein. Und das eben ist dann der GAU für den Text.

Die kritisierten Floskeln und poetelnden Wendungen sind die Garnierung der Erzählung. Deren tragende Substanz indessen bilden Sätze wie die folgenden:
"Seit elf Jahren leitete Karl Funkel das Dezernat; seine Kollegen, von denen er einige seit langem kannte, bildeten ein zuverlässiges Team, auf das er sich, auch in Zeiten schlechter Presse oder hausinterner Zwistigkeiten verlassen konnte." (Seite 25).
Oder:
"An der Suche nach der verschwundenen Lucia, die gerade ihre erste Hauptrolle in einer Fernsehserie gespielt hatte und wegen ihrer blonden Haarpracht und ihrer sphärischen Erscheinung den Spitznamen "Engelchen" bekommen hatte, beteiligten sich sämtlich deutschen Medien, die die Bevölkerung aufforderten, jede scheinbar unbedeutende Beobachtung sofort der Polizei zu melden." (166)
Oder:
"Sollte er sagen, daß es ihm leid tue und er sich im Ton vergriffen habe, wie er das manchmal seinen Kindern gegenüber tat, wenn sie ihn wieder einmal derart genervt hatten, daß er keine andere Wahl hatte, als sie anzubrüllen und zu beschimpfen." (381)

Die zitierten Sätze (beispielhaft für zahllose andere derselben Machart angeführt) sind grammatikalisch gesehen natürlich korrekt. Das ist allerdings auch das Einzige, was sie an Erfreulichem zu bieten haben. Zähflüssig wie Sirup rinnen sie über das Papier. Und ebenso zähflüssig sickert ihre Bedeutung, Morphem für Morphem, ins Hirn des armen Lesers. Der muß ein ausgemachter Masochist sein, sich solche Erfassungsmühen mehr als ein paar zermürbende Seiten lang anzutun. Wie kann der Autor annehmen, mit derartig drögen, leblosen, pedantisch Informationen aufhäufenden Bandwurm-Mitteilungen auch nur die flüchtigste Form von Spannung und also Leselust zu erzeugen? Warum hat ihm denn niemand gesagt, daß man auch schon nach fünf oder sechs Worten einen Punkt setzen kann, statt erst nach 20 oder 47? Die berüchtigte Haidhauser Werkstatt in München mag einen schlechten Ruf haben, aber dieses Geheimnis der deutschen Syntax hätte man ihm dort unzweifelhaft offenbart. Wie kommt es, frage ich mich, daß ein Mann, der immerhin Polizeireporter gewesen ist und also kurze, knochenharte, atemlose Sätze zu verfassen gelernt haben muß, diese Tugend völlig vergißt, zugunsten einer weitschweifigen, umständlichen Konsistorialratsdiktion? Ich kann mir nur einen einzigen Grund denken: Unlust. Die Schreibarbeit ist für Ani schwere Fron. Sie macht ihm absolut keinen Spaß, zumal er sie sich in so gewaltigem Pensum auferlegt (weiß Gott, aus welchen Gründen: mangelnde künstlerische Anerkennung durch Vervielfachung der Ausstoßmenge erzwingen?). Ihn treibt allein eiserner Schaffenswille voran. Mit dem bis an die Zähne bewaffnet, ringt er Abschnitt um Abschnitt des Textes seiner, wie mir scheint, an Verzweiflung grenzenden Unlust ab. Diese heroische, aber dürftige Motivation reicht jedoch gerade nur zu grammatisch korrekten Arbeitspensums-Exekutionssätzen, die jede Art von Inspiration vermissen lassen. Ein entsetzlich bemühtes, unelegantes, langweiliges Machwerk ist dabei entstanden. Die in der Nachbemerkung genannte Lisa hätte besser daran getan, ihren Friedrich im "Meer des Zweifels" (von dem an nämlicher Stelle die Rede ist) eigenhändig zu ertränken, statt ihn fahrlässig zu ermutigen, diesen eklatanten Fehlschlag von Krimi auf den Markt zu werfen. Halleluja.

Pater Ralf de Frikassee




AUSGABE 2    Dezember 1998


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