AUSGABE 11
STUNDE DER DENUNZIANTEN oder PROMOTION FÜR KOPFJÄGER
Zum Fall Schavan
Der Erwerb des Doktorgrades ist ein akademischer Initiationsritus. In den meisten großen Fächern, die eher Berufsausbildung als Wissenschaft sind (Medizin, Jura etc.), ist der Titel nicht viel mehr als ein Sahnehäubchen auf den Staatsprüfungen, der auf Visitenkarten Eindruck schindet, zwingend notwendig ist er nicht, es sei denn, eine wissenschaftliche Laufbahn wird angestrebt.
Sprach man früher gern über den Erwerb des Titels, so etabliert sich nun seine Aberkennung als neues Gesellschaftsspiel. Letzte Verliererin war die ehemalige Bildungsministerin Annette Schavan. Die inkriminierten Stellen ihrer Dissertation, Person und Gewissen, sind jetzt im Internet als pdf-Datei für jedermann einsehbar. Notwendig sind die Stellen aus dem Zusammenhang gerissen, es gibt keine Hinweise auf ihre Wertigkeit im weiteren Verlauf der Arbeit. Betroffen sind, grob geschätzt, 5-10% von angegebenen ca. 360 Seiten. Und tatsächlich, Frau Schavan hat nicht wenig Text ziemlich wörtlich übernommen, ungeschickt paraphrasiert oder unzureichend zitiert. Die betroffenen Textpassagen wirken aber durch die Bank merkwürdig uninteressant, ja uninspiriert und spröde nach Art einer Pflichtübung, um nicht zu sagen, langweilig. Hoffen wir, daß der Rest der Arbeit besser ist. Ein Teil dieser Texte enthält auffallend triviale Allerweltsweisheiten, die auffallend überflüssig sind, man hätte sie streichen können; ein anderer Teil ist wohl Schlamperei und Versehen, ein dritter einer Mischung aus Naivität, Inkompetenz und Ehrgeiz zu verdanken. Die Arbeit ist also leider partiell fehlerhaft, daran gibt es nichts zu deuteln, doch hier bewußte Täuschung zu unterstellen, ist maßlos überzogen. Die demütigende Aberkennung des Titels war in Hinblick auf die plumpe Dreistigkeit Anderer zwingend nicht gerechtfertigt. Am besten wäre der Fall im Strom der Lethe gnädig untergegangen. Wie auch immer: kein Vergleich zu Herrn zu Guttenberg.
Frau Schavan war offenbar eine übereifrige und auch etwas überforderte Doktorandin, der in der Hitze des Gefechts Fehler unterlaufen sind. Nun war sie mit ihrer Arbeit aber nicht allein auf weiter Flur gelassen. Ein Doktorvater hielt doch sicher die Hand über sie, Betreuer müßten ihr zur Seite gestanden haben, produktiv und kritisch hätten sie den Fortgang des Werks verfolgen müssen, auf Fehler oder Mängel hinweisen, dazu gehört auch falsches oder unterlassenes Zitieren, denn solche Fehler mindern den Wert der Arbeit und fallen zuletzt auf den Doktorvater selbst zurück. Zudem wurde die Arbeit doch bestimmt noch von Gutachtern der Fakultät geprüft, auch da hätte die Möglichkeit zum korrigierenden Eingriff noch bestanden.
Diese kritische Überwachung ist im Schavanschen Promotionsverfahren offenbar mehr als lässig gehandhabt worden oder völlig unterblieben. Leider unterbleibt sie auch sonst in vielen Fällen, und leider aus ziemlich menschlichen Gründen: Die ernsthafte Prüfung einer Dissertation im Entstehen beschert dem Betreuer jede Menge lästige Arbeit, und ist eine These erst einmal genehmigt und gedruckt, verschwindet sie, für alle Zeiten ungelesen, in den Stauräumen der Bibliotheken, kein Hahn kräht mehr danach, und in den Fakultätsräten hackt eine Krähe der anderen ungern ein Auge aus. Wozu dann die Mühe? Daß Doktorarbeiten wissenschaftlichen Mehrwert einfahren, glaubt übrigens im Ernst kein Mensch, wie sollten sie das bei geschätzten 25.000 Promotionen pro Jahr bitte leisten? Soviel Erkenntnis wäre einfach unerträglich.
Auch der Guttenbergsche Doktorvater, Professor Peter Häberle, ein Großmogul des Internationalen Rechts, wie man las, wird die Arbeit seines Promovenden allenfalls beim zweiten Frühstück eben mal so durchgeblättert haben, obwohl er ihr sogar die Höchstnote summa cum laude verabreicht hat, die nur dann vergeben wird, wenn die Sache ein hieb- und stichfestes Meisterwerk ist, über das die Fakultät abstimmen muß. Als der Schwindel aufflog, fiel der Herr aus allen Wolken, aber meistens fliegt eben nichts auf, nicht einmal dann, wenn die Arbeiten von Gutachtern der Promotionsausschüsse unter die Lupe genommen werden.
Mit anderen Worten: Doktormütter und Doktorväter tragen eine hohe Verantwortung für die Werke ihrer Zöglinge, denn damit nehmen sie Einfluß auf den weiteren Lebensweg des Promovierten.
Wenn die Philosophische Fakultät der sehr jungen Universität Düsseldorf, nach mehr als 30 Jahren, einer Dissertation, die von einem ihrer Mitglieder betreut und von ihr selbst angenommen und für gut befunden wurde, nun schwere Mängel vorwirft, die damals fahrlässig übersehen wurden, ja sogar auf vorsätzliche Täuschung plädiert, blamiert sie sich aufs peinlichste und tritt sich und ihren Vorgängern erstens selber, und zweitens, Frau Schavans Doktorvater, Professor Gerhard Wehle, mit Verlaub, kräftig in den Hintern.
Und die Höchststrafe, die vernichtende Aberkennung des Titels, entspricht hier nicht dem Ausmaß der Verfehlungen, andere Lösungen wären denkbar gewesen, doch man dachte wohl nicht viel. Stattdessen muß nun Annette Schavan für die Versäumnisse der Universität und deren Instanzen bluten. Die Universität hat dabei nur ein Gesicht verloren, das sie vielleicht gar nicht hatte, Annette Schavan ein Lebenswerk. Im Hintergrund vermuten wir politisches Gerangel.
Was jetzt aber, nach der üblichen medialen Hysterie, auf uns kommen wird, ist sonnenklar: seuchenartig um sich greifende Juristifizierung aller Promotionsverfahren (Habilitationen am besten gleich mit), und vor allem schlägt nun die Stunde der Denunzianten, der Wutbürger, der selbst ernannten Blockwarte, die Stunde der Neider, Hasser und Besserwisser. Wühlmausartig fundamental hat die Düsseldorfer Fakultät ihr Urteil gefällt nach Art einer neue Inquisition, und gab damit das Startsignal für Heckenschützen, Kanalratten und andere Hehler der Mißgunst, die sich nur allzu gern als Hüter des Grundsätzlichen aufblasen, um von nun an jeden Mißbeliebigen aus schäbigsten Motiven, am liebsten gegen Barzahlung, geschützt durch die Anonymität des Netzes, akademisch zur Strecke zu bringen und gesellschaftlich zu ruinieren.
Wir sind sicher, die Damen und Herren Kopfjäger sind längst auf der Pirsch.
Benito Salvarsani
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