AUSGABE 11
UNSERE MÜTTER UNSERE VÄTER
Eventmovie oder das Melodram schlägt zurück
Schon der Titel ist faul. Er suggeriert eine physische Nähe zum 2. Weltkrieg, die nicht mehr gegeben ist. Die Großeltern fehlen ganz, und mit unseren Eltern sollten wir inzwischen Frieden geschlossen haben, das gebietet schon ein Minimum an Lebensklugheit gegenüber den Toten. Wer's bis jetzt nicht geschafft hat, dem wird es nie gelingen.
Die Ereignisse werden durch kurz eingeblendete Originalaufnahmen und Off-Kommentare zeitlich annähernd eingeordnet, ansonsten gibt es keinen Bezug zum realen historischen Hintergrund.
Die Hauptpersonen (Wir waren fünf...) sind nach Sprache und Habitus Menschen des 21. Jahrhunderts, ihr Gebundensein an eine konkrete historische Situation vor zwei Generationen ist Kostümierung.
Am deutlichsten wird das an der Gestalt der Greta. Sie wirkt wie ein Mädel vom letzten Faschingsball mit dem Motto 30-er Jahre. Daß Beziehungen zu Juden (Viktor) 1941 einem gesellschaftlichen Stigma gleichkamen, wird übergangen. Greta möchte Schlagersängerin werden, sie läßt sich von einem SS-Offizier beschlafen, um ihre Karriere zu fördern und Viktor einen Paß zu verschaffen. Diese platte tragische Verstrickung, die uns die Schuld unserer Mütter ebenso faustdick wie archetypisch hinreiben soll, wirkt tatortmäßig ausgeklügelt. Fräulein Greta mimt einen Gattungstyp als Anziehpuppe, darum berührt auch der musikalisch angetörnte Schmerz über ihre Erschießung am Ende nicht wirklich.
Der soziale Status der Personen, ihr Herkommen, ihre Prägungen, ihre Traditionen, ihr individuelles Sosein, ihre Einstellungen zum 3. Reich, nichts davon wird auch nur annähernd thematisiert. Menschen wie du und ich, der ewige Zeitgenosse? Gesprochen wird wenig, im Vordergrund steht der Event.
Das Kriegsgeschehen bleibt unverständlich, vor allem die Dimension der Weite. Sie wird nur behauptet: Moskau noch 680 km. Ansonsten sieht man wenige, immer gleiche Männer, die in einem immer gleichen Schützengraben existenzialistisch-defaitistische Trivialbemerkungen von sich geben gepaart mit Landsersprüchen, so ist das Leben, in der Nähe werden bäuerliche Hütten abgefackelt. Gelegentlich Kampfszenen in nicht näher benannten Orten, abgefilmt mit wackliger Handkamera, die eine Perspektive von Unmittelbarkeit und Nähe suggerieren soll. Was eigentlich geschieht, versteht kein Mensch. Maschinenpistolen rattern, Handgranaten explodieren, ein Panzer fährt auf, verschwindet wieder. Getroffene sinken zu Boden, Krieg ist sinnlos, aber so ist er nun mal, und dann sind wir schon wieder in Berlin, die Schnittechnik ist hektisch, kaum eine Einstellung dauert länger als drei Minuten. Ebensowenig wie die Weite des Raums spürt man die Dimension Zeit.
Die Vorgänge im Lazarett sind wie gewohnt unangenehm klischeehaft: literweise wird Kunstblut vergossen, im Hintergrund als akustische Routinekulisse wilde Schmerzensschreie, sinnloses Herumdrücken auf Halsschlagadern, Ärzte, die Ihre weißen Kittel über den Uniformröcken tragen, Krankenschwestern sind entweder zynisch oder geil oder schwer betroffen. Charlotte denunziert ohne Not und Anlaß eine Jüdin und wirft sich dem Stabsarzt an den Hals. Soll es das sein, was der Krieg aus uns macht?
Trotz jener immer wieder behaupteten Weite des osteuropäischen Raumes begegnen sich Charlotte, Wilhelm, Friedhelm und Viktor immer mal wieder im Wald und auf der Heide, einmal sogar Greta auf Tournee für Verwundete. König Zufall regiert, Event, Event.
Daß im Krieg getötet wurde, wird als unglaublicher Vorgang präsentiert, aber ist nicht das Töten eins der Ziele des Kriegs? Gehört es nicht zum sogenannten Handwerk des Soldaten? Wird er nicht eben dazu ausgebildet, und nicht nur in dieser sondern in jeder Armee, damals wie auch heute?
Auch die Erschießung eines sowjetischen Politkommissars z.B. war eine durchaus normale, ja als notwendig erachtete, selbstverständliche Tat, waren es doch diese Kommissare, die den eigenen Truppen folgten, sie an die Front trieben und jeden erschossen, der zurückwich oder gar fliehen wollte.
Soviel zynischen Realismus von Normalität bringt der Film natürlich nicht auf, die schwachen, pazifistisch geprägten Nerven des Zdf-Konsumenten brauchen Schonung, auch ein Eventmovie muß genügend Raum für abendfüllende Betroffenheit lassen.
Doch Militarismus war in jener Zeit auf eine Weise noch virulent, die den meisten heute fremd geworden ist, durchaus in der Tradition des Kaiserreichs, davon weiß der Film nichts zu berichten.
In einer Fernsehsendung wurde gar der Begriff Paradigmenwechsel strapaziert: der Film sei mutig, hieß es, weil er Dinge zeige und zur Sprache bringe, die bisher unter den Teppich gekehrt worden seien.
Da wundert man sich nach mehr als 60 Jahren Vergangenheitsbewältigung und ganzen Biblio- und Filmotheken voller Material denn doch nicht wenig: kaum eine historische Epoche wurde so ausführlich bearbeitet wie die Geschichte des 3. Reichs und des 2. Weltkriegs und zwar mit allen verfügbaren Medien. Nie gab es ein so tiefes Zerwürfnis zwischen den Generationen durch ein geschichtliches Ereignis wie spätestens nach 1968 in der BRD.
Wenn es so etwas wie einen Paradigmenwechsel in der jüngsten erzählenden Geschichtsschreibung gegeben hat, dann war es John Littells Buch Die Wohlmeinenden, in dem ein SS-Offizier die Kriegsereignisse einschließlich Judenvernichtung als Beteiligter und Täter aus grundsätzlich bejahender Perspektive schildert. Wahrscheinlich kommt diese Zumutung der Wirklichkeit viel näher, aber es waren wohl nicht viele, die sich ihr aussetzen mochten.
Auf dem Bildschirm schlägt immer nur wieder das Melodram zu, wenn das Schreckliche kulminiert, und am Schluß, wenn Friedhelms Körper, durchsiebt von sowjetischen Kugeln, in Zeitlupe auf den Waldboden sinkt, gibt uns die Musik dazu den Rest.
In manchen Jubelmedien war sogar von einer Kollektivschuld unserer Mütter und Väter die Rede (Christian Buß auf Spiegel online u.a.), die hier gezeigt werden solle. Offenbar ist den Schreibern dieses Unfugs nicht mehr voll bewußt, daß Kollektivschuld ein Tatbestand der Nazi-Justiz war, und wenn wir uns schon anmaßen, über unsere Eltern derart pauschal moralisch urteilen zu wollen, sollten wir auf Begriffe eines totalitären Unrechtssystems vielleicht besser verzichten. In Wahrheit steht uns dieses Verdammungssurteil aber gar nicht zu, weil keiner der Heutigen sagen könnte, wie er sich in einer anderen Gegenwart verhalten hätte.
Das Eventmovie UNSERE MÜTTER, UNSERE VÄTER mag gut gemeint sein, doch, wie wir wissen, war das gut Gemeinte schon immer der schlimmste Feind des Guten. Die Macher haben trotz üppigen finanziellen Mitteln und langer Vorarbeit keine überzeugende Sprache gefunden, um die finsterste Periode der deutschen Geschichte noch einmal neu zu erzählen, kurz gesagt, der Film ist überflüssig.
Kees van de Verschredderen
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