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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 11


HERRENMODE

Eine Frage der Schere


Nicht wenige Menschen behaupten vor laufender Kamera, Mode sei ihnen schnuppe, und wenn man auf den Straßen das freud- und geschlechtslose Gewimmel versiffter Jeans und Parkas betrachtet, scheint es so zu sein. Doch in Wahrheit ist das Aussehen niemandem gleichgültig, alle sind eitel, vor allem wenn sie behaupten, sie seien es nicht. Sei's drum, die Frage ist nur: wie sieht einer sich selbst?
Hat er ein bestimmtes Bild von sich selbst, zu dem eine bestimmte Kleidung paßt, unabhängig vom Tamtam und Hoiotoho der Moden, oder betrachtet er sich durch die Brille der Modemacher und gleicht sein Selbstbild identitätslos jedem Wechsel an?
Offensichtlich gibt es Abstufungen der Anpassungsbereitschaft, abhängig von vielen soziosowieso Faktoren, die ich hier im Detail nicht belabern möchte, doch die Behauptung, man sei nicht eitel, zeugt vor allem von einer besonderen, sagen wir, höheren, wenn nicht metaphysischen Form der Eitelkeit.

Für Herren gibt es jetzt nur noch Oberbekleidung in ihrer schnödesten Form aus den Häusern Boss, Joop et al., eine Herrenmode an und für sich gibt es nicht mehr.
Meine Kritik richtet sich vor allem und ganz konkret gegen die zunehmende Verkürzung und Verknappung von Hosen, Sakkos und Mänteln. Männer konvertiert diese stoffsparende Entmannungsmode in retardierte Seppel, anorektische 17-jährige oder Spätkonfirmanden nach dem finalen Wachstumsschub. Mittlerweile wurde die krasse Hochwasserhose, unter der Jugendliche früher viel zu leiden hatten, zum Dogma erklärt, und die Verlängerung der Hosenbeine nützt nichts, wenn der Bund auf dem Schambein hängt. Vor der Verknappung der Sakkos kann man sich manchmal retten, wenn man ein oder zwei Nummern größer nimmt, im Halbdunkel geht es dann gerade mal so. Am schlimmsten sind die Kastratenmäntel, zwei Handbreit über dem Knie endend, die möglicherweise Jungbänkern vor dem nächsten Crash den letzten Schrei abquälen, bevor sie den Freitod wählen. Den gewöhnlichen Mitteleuropäer dekonstruieren sie zum Bübchen, aber der gewöhnliche Mitteleuropäer männlichen Genders, bis unter die Haarwurzeln voll mit Mamis Designerdrogen, merkt schon lange nichts mehr. Der weibliche Widerpart kämpft noch immer überraschend bodenständig gegen traditionelle Hüftschwülste und für artgerechte Schamlippengestaltung.
Im übrigen haftet der gegenwärtigen Mode in ihrer Gesamtheit etwas unangenehm Kleinliches, unerotisch Enges, Beschränktes, verkniffen Moralistisches, Zwanghaftes, ja Geiziges an, und darum fehlt ihr jegliche Eleganz, von Urbanität und Charme zu schweigen. Das sind Werte aus dem Mittelalter. Virilität ist zur Zeit ohnehin das letzte.

Das ist die Lage. Herrenmode existiert nicht mehr. Fragt sich warum?
Die Antwort ist einfach. Der Lebensentwurf HERR hat ausgedient, wahrscheinlich für alle Zeiten. Seit den Weltkriegen ging es steil bergab mit dem HERRN, der Gegenwind der Geschichte wehte ihm den Zylinder vom Kopf. Jetzt trägt er Pudelmütze.
Darum sind Briefträger heute schneidiger gewandet als Offiziere. In manchen britischen Clubs findet vielleicht hinter verschlossenen Türen das Herrenbild seine letzte Zuflucht, mit der dazu erforderlichen Selbstironie ist auf dem Kontinent nicht zu rechnen.
Sei wie du bist, lautet jetzt die krakeelende Devise, sei transparent, sei authentisch, sei einzig. Das Understatement des HERREN ist dagegen machtlos. Da zieht er sich lieber in seine Waldungen zurück und überläßt die Gosse dem Pöbel, bis die Zeiten sich ändern.
Doch die Zeiten werden sich so schnell nicht ändern. Das prägende Merkmal der herrschenden Mode ist Formlosigkeit, und Formlosigkeit prägt auch die herrschenden Zeiten.
Wo aber keine Form, da kein Inhalt.

Tabea Dorsalis






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