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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 11


GESINNUNG UND SPRACHE

Unpassende Bemerkungen zum passenden Thema


Der totalitäre Hintergrund der gegenwärtigen Zensurbewegung stammt aus der sogenannten Studentenbewegung von 1968. In den USA gab sie dem Volkssport der Political Correctness mächtig Auftrieb, der in Form einer Gesinnungsnormierung reziprok in die Alte Welt zurückschwappte. Noch handelt es sich um halbprivate Aktionen eines vorauseilenden Gehorsams einiger deutscher Verlage, doch werden wir wohl nicht lange warten müssen, bis Brüsseler Behörden den Sprachgebrauch grundsätzlicher regeln werden, möglichst mit Hilfe der NATO, der WHO und der VAR. Auf dem Spiel steht die aufgeklärte Wissensgesellschaft der westlichen Welt, die vielleicht nur eine orientalische Fatamorgana ist.

Nun ist der Gedanke, daß Sprache Rassismus transportieren könne, alles andere als falsch, und der daraus resultierende Wunsch, die Sprache von derartigen Falschheiten zu reinigen, nicht völlig abwegig, doch reinigt man durch solche Säuberungen auch Gehirne? Auffällig ist, daß gerade in den USA, wo politische Korrektheit längst den Rang eines Dogmas einnimmt, Rassismus, vor allem gegen Menschen dunkler Hautfarbe, noch immer sehr präsent ist, um es milde auszudrücken, obwohl dort schon seit langem das Wort Nigger gesellschaftlich geächtet und durch den wenig griffigen Begriff Afroamerikaner ersetzt ist. Dem Rassismus hat das nicht geschadet, er hat sich, wie man jetzt gern und gräßlich sagt, einfach neu erfunden und ist dabei der alte geblieben.

Wie ist das möglich? Vermutlich deshalb, weil Begriffe, Nomenklaturen, Namen in den Abgründen rassistischen Denkens keine Rolle spielen.
Es spielt nämlich keine Rolle, wie ICH, wenn ICH Rassist bin, den nenne, den ICH hasse, wenn ICH ihn hasse, weil er für mich immer ein Wesen fremder Ordnung ist und bleibt, es spielt keine Rolle, wie ICH den nenne, den ICH mit ganzer Seele von mir unterscheide, ICH unterscheide ihn, wie auch immer er heißt, auch wenn er Afroamerikaner heißt, denn dieses Wort ändert nichts an dem, was ICH an diesem Wesen verachte, hasse und verfolge und auslöschen will, ihr Schwarzsein und alles Andere an ihnen, was anders ist als an mir, denn mein Feind ist dieses ANDERE, es benötigt keinen besonderen Namen, um mein Feind zu sein, und wenn mir der Staat vorschreibt, wie ICH den ANDEREN zu nennen habe, dann nenne ICH ihn so, wie der Staat es gerne hätte und denke ihn so wie ICH will, und verfolge ihn weiter mit dem ganzen Haß, zu dem meine weiße Seele fähig ist, denn ICH muß das ANDERE auslöschen, um von dem ANDEREN nichts selber ausgelöscht zu werden, um ICH selbst bleiben zu können, und das Recht, dies mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln zu tun, gehört zum Recht meiner unveräußerlichen und freien Persönlichkeit, welches die Verfassung meines Landes mir garantiert. MEIN Kampf gegen das ANDERE ist ein Kampf ums Überleben.

Nun fiel mir neulich ein Argument auf, das die Säuberung einiger Kinderbücher von rassistischem Wortgut rechtfertigen sollte: Das ist notwendig, sagte da ein besorgter Vater, denn wenn das Wort Neger auftaucht, wie soll ich meinem Kind erklären, was das bedeutet, und warum man das heute nicht mehr so sagt?
Klingt irgendwie plausibel, doch wenn ich als Pädagoge mithören muß, wie ganz normale Schulkinder sich zur Zeit am liebsten anpöbeln, gerate ich ins Grübeln: Schwuler, Behinderter, Spast nehmen die ersten Plätze einer möglichen Häufigkeitsliste ein, aber auch das gute alte Arschloch ist durchaus noch im Schwange, und Nigger wird jetzt immer häufiger. Kinder haben einen sicheren Instinkt für Provokation.
Wie soll ich nun meinen Zehn- bis Vierzehnjährigen erklären, daß der Schwule auf dem Schulhof ein anderer ist, als der Schwule in der Zeitung, und was das überhaupt ist, schwul? Sie werden es von mir nicht hören wollen, sie wissen es längst. Wie soll ich erklären, daß Homophilie nichts Abartiges ist, obwohl sie in Saudiarabien, Iran und andernorts mit schwersten Strafen bis zur Todesstrafe geahndet wird? Wie erkläre ich, daß auch Worte und Begriffe einen gesellschaftlichen Status haben können. Wie soll ich erklären, daß jener stille Mitschüler mit den leicht mädchenhaften Zügen in der letzten Reihe, den sie täglich und bei jeder Gelegenheit mit sadistischer Lust Schwuler nennen, vielleicht leiden könnte, weil er sich diskriminiert fühlt und nicht versteht, wie ihm geschieht? Wie soll ich ferner klarmachen, daß Spastiker und Behinderte die gleichen Menschenrechte genießen wie die Starken und Gesunden?

Kommen wir zur Konklusion. Umständliches Erklärungsgedöns hilft hier nicht weiter. Wenn es stimmt, daß Bücher Rassismus, Klassenhaß und Diskriminierung fördern, dann müssen diese Bücher weg.
Und zwar muß als erstes das Buch der Bücher weg. Ein derartiges Ausmaß von unversöhnlichem Haß gegen Fremdvölker (Philister, Amalekiter, die Hure Babylon, Ungläubige, Heiden und und und), noch dazu gesponsort durch einen Gott, der Rache und Vernichtung aller seiner Feinde predigt, ist einfach unerträglich und kann den unschuldigen Gemütern unseres Nachwuchses nicht länger zugemutet werden. Mit ein paar Streichungen anstößiger Stellen ist es hier nicht getan.
Das gleiche gilt für das antike Schrifttum, insbesondere Epen, Tragödien und den gesamten mythologischen Hintergrund, die sogenannten Götter- und Heldensagen, die immer noch als hehres Bildungsgut in Ausgaben für die Jugend kursieren und an sogenannten humanistischen Gymnasien pausenlos wiedergekäut werden. Den Sohn zu schlachten und den Göttern zum Mahl vorzusetzen, wie pervers ist das denn?
Einige Oden des Horaz, die sich in harmlosen Landschaftsbeschreibungen zu ergehen scheinen, mag man lassen, doch Vorsicht ist geboten. Der antike Dichter neigte dazu, seine Ansichten durch komplizierte rhetorische Wendungen zu camouflieren, hier muß sorgfältig geprüft und notfalls grundlegend redigiert werden. Der Altphilologie erschließen sich da interessante neue Aufgaben.
Auch das Schrifttum des Mittelalters steht zur Debatte. Ein derart blutrünstiges Geschehen wie im Nibelungenlied, um nur ein Beispiel zu nennen, ist vom pädagogischen Standpunkt hochgradig verwerflich und kann in der überlieferten Form nicht länger geduldet werden.
Grimms Märchen, bis dato als harmlose Kinderlektüre verantwortungslos bagatellisiert, sind in keiner Weise mehr tolerabel, strotzen sie doch nur so vor Sadismus, Mord, Inzest, Kannibalismus und menschlicher Niedertracht jeglicher Art.

Ist man erst einmal sensibilisiert, wird man schnell fündig: überall droht Entartung. Sie auszumerzen, ist das Gebot der Stunde. Unsere gesamte Kultur gehört auf den Prüfstand, und viel wird nicht übrigbleiben, das garantieren wir. Auch wenn die Säuberung der Hirne anfangs noch hinterherhinkt, sie wird kommen, auch dafür gibt es Mittel und Wege, verlaßt euch darauf!

Elsbeth von Johlen und Schwallbach






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