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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 7


STRUNZEN MIT DR. STRUNZ


Oder: die Seele hat drei Gänge


Zellulitis gravis, Haarausfall, Gallensteine, erektile Dysfunktion, Bandscheibenquetschung, Hämorrhoiden, Obesitas permagna . . . lang ist die Liste jener schweren Leiden, die den Fortbestand des Homo sapiens und der westlichen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit bedrohen. Zu allem Unglück rotten sich an fernöstlichen Horizonten derzeit auch noch grippekranke Zugvögelhorden zusammen, um mit ihren Viren unserem verkommenen Immunsystem den Rest zu geben. Die Menschheit steht vor dem physischen Bankrott, das Ende unserer Rasse ist nah. Rettung ist nicht in Sicht.

Doch halt!
In höchster Not ward uns ein Erlöser gesandt: Der Wellness-Ayatollah Dr. med. Ulrich Strunz verkündet landauf landab die frohe Botschaft ewiger Fitness. Dank sei Dir, o Herr! Wacht endlich auf, ihr faulen Säcke, ihr vom Laster verwurmten Schwächlinge, ihr Wohlstandsversager, predigt uns der Meister. Lest meine Schriften, und eure morschen Leiber werden sich erheben und auferstehen zum ewigen Leben: for ever young.

Im Evangelium Strunzii (Dr. med. Ulrich Strunz: DAS LEICHTLAUF-PROGRAMM, Gräfe und Unzer Verlag München, ISBN 3-7742-4830-3) steht es geschrieben: denn wer da läuft, der wird genesen. Zum Exempel führt Dr. Strunz sich und seine eigene irreversible Gesundheit selber vor. Aus formalinbrauner Haut strunzen uns die himmelblauen Augen eines Zwölfjährigen an, von randloser Arztbrille umrahmt. Schlohweißes Haar simuliert Weisheit. Aggressiv bohrt sich der ausgestreckte Zeigefinger in unser verschrecktes kleines Büroherz.

Glauben Sie mir, ich weiß es, strunzt der Meister von der Kanzel auf uns nieder, die wir bewegungslos und schlapp das Leben im Sessel verdösen, wer würde da noch wagen zu zweifeln. Der Mensch ist ein Auto, und die Seele hat ein Dreiganggetriebe, denn wahrlich, ich sage Euch: der Läufer kann alles, eine Fremdsprache lernt er in zwei Wochen, nie wieder wird er erkältet sein, nie wieder Herzinfarkt, kein Krebs, kein Alzheimer, kein Diabetes. Füllen Sie Ihre Vitalstofftanks auf, stellen Sie Ihr Gehirn auf Glück, puschen sie das Kreativitätshormon ACTH. Botenstoffe der Euphorie hüpfen von Zelle zu Zelle und sorgen für gute Laune im Gehirn, denn Sauerstoff ist Benzin für den Lebensmotor, Kalzium polstert das Nervenkostüm, und das Powerhormon Testosteron ist der Turbolader für Mann und Frau. Darum haben Läufer ein Zwölfzylinderherz und werden 120 Jahre alt, während Nichtläufer (Cafèhaussitzer, Büromenschen, Sesselpuper) nur ein jämmerliches Zweizylinderherz haben und spätestens mit 45 bis unter die Haarwurzeln verfettet sind, weil ranziges Cholesterin ihre Rohre verstopft wie bei alten Waschmaschinen. Laborratten haben es bestätigt. Doch die Frohmedizin des Anti-aging-Heilands weiß Rat: tunen Sie Ihr Blut mit Vitalkraftstoffen, ölen Sie die grauen Zellen mit Sauerstoff, kauen Sie Gummibärchen gegen Arthrose.

Kein Zweifel, der haarsträubende Verstrunzungsgrad dieser Sprache ist nicht mehr zu überbieten. Dagegen sind wir machtlos. Doch auch für den Analphabeten ist gesorgt. Kaum eine Seite, auf der nicht sauerstoffgeölte Mutanten einer virtuellen Glückswelt im kasperbunten Sportdress den Appellschwall des Propheten kongenital illustrieren, denn: nur wer mitstrunzt, kann gewinnen.

Was aber geschieht mit jenen Schädlingen im Volkskörper, die im Sessel einfach sitzenbleiben, weiter fette Schweinebraten mampfen und Sahnetorten hinterherschieben, die jede überflüssige Bewegung meiden wie die Pest und sich trotzdem pudelwohl fühlen?
Wohin mit diesen frechen Ketzern, die sich zur masochistischen Religion des Dauerstrunzens nicht bekehren lassen, weil sie den unfaßbaren Schwulst von Plattitüden, Kraftsprüchen und Halbwahrheiten, mit denen uns dieses Buch trommelfeuerartig bombardiert, für gequirlten Bockmist halten?

Gehirnwäsche, Umerziehungslager, Rentenkürzung?

Dr. Strunz, melden Sie sich!

Prof. Dr. med. Tabea Dorsalis





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